Freitag, 1. Juli 2011

Bemerkungen zum verschuldungsabhängigen Unternehmenswert



Lutz KRUSCHWITZ und Andreas LÖFFLER äußerten in einem älteren Beitrag (FB 2003, S. 731) die Auffassung, wonach Wolfgang BALLWIESER  bei der Beurteilung von DCF - Verfahren der Unternehmensbewertung Missverständnissen erlegen sei:

  • ...
  • Missverständnis 2: WACC und APV führen zu identischen Ergebnissen. Wenn autonom finanziert wird, heißt das: der Bewerter kennt die zukünftigen Fremdkapitalmengen des Unternehmens. Eine Bewertungsgleichung, die sich unter dieser Annahme anbietet und den korrekten Unternehmenswert liefert, ist die APV - Gleichung. Damit ist das Rechnen mit dem adjusted present value (APV) an die autonome Finanzierung gebunden.


    Wenn wertorientiert finanziert wird, heißt das: der Bewerter kennt die zukünftigen Fremdkapitalquoten des Unternehmens. Eine Bewertungsgleichung, die unter dieser Voraussetzung den richtigen Unternehmenswert liefert, ist die WACC - Formel. Damit ist das Rechnen mit gewichteten Kapitalkosten an die wertorientiert Finanzierung gebunden.


    Wir geben gerne zu, dass in der Literatur "Mischformeln" hergeleitet worden sind, die wie WACC - Formeln aussehen und sich dennoch dazu eignen, bei autonomer Finanzierung eingesetzt zu werden, oder wie APV - Formeln aussehen und trotzdem auch bei wertorientierter Finanzierung verwendet werden können. Aus theoretischer Sicht sind solche Bewertungsgleichungen interessant, praktisch bedeutsam sind sie nicht.


    Ein autonomer Bewerter unterstellt sichere künftige Fremdkapitalmengen. Welchen Sinn macht dann die Fiktion, dass er diese Fremdkapitalmengen nicht kennt (sonst bräuchte er nur mittels der APV - Formel zu bewerten), sondern stattdessen zu den unsicheren, erwarteten Fremdkapitalquoten greift, um sie in eine WACC - Formel einzusetzen? Ebenso liegt der entgegengesetzte Fall: wenn ein Investor zukünftige sichere Fremdkapitalquoten unterstellt, warum sollte er dann fingieren, dass er sie nicht kennt, sondern stattdessen Zugang zu den unsicheren erwarteten Fremdkapitalmengen besitzt, um sie in eine APV - Formel einzusetzen?

    ...

    Es dürfte klar geworden sein, dass es mindestens zwei voneinander abweichende Finanzierungsannahmen gibt. Beide Annahmen unterscheiden sich durch die Art und Weise, wie in der Zukunft Fremdkapital aufgenommen beziehungsweise getilgt wird. Im ersten Fall sind Steuervorteile aus der Fremdfinanzierung sicher (autonome Finanzierung), im zweiten Fall sind sie unsicher (wertorientierte Finanzierung). Da sichere Zahlungen aus dem Blickwinkel risikoaverser Investoren stets wertvoller sind als unsichere Zahlungen, ist es vollkommen plausibel, wenn man vermutet, dass beide Annahmen zu unterschiedlichen Unternehmenswerten führen. Darauf wurde in der Literatur inzwischen oft genug hingewiesen. WACC und APV müssen demnach - zumindest bei ökonomischer Vorgehensweise - zu verschiedenen Unternehmenswerten führen.


BALLWIESER antwortete (FB 2003, S. 734):


Beim zweiten Missverständnis werde ich getadelt, weil ich behaupten würde, WACC und APV führten zu identischen Ergebnissen. Tatsächlich würden den Verfahren aber unterschiedliche Annahmen zugrunde liegen. 

Auch wenn ich die unterschiedlichen Annahmen als Grundlage der Verfahren gar nicht angreife, erscheint mir die Kritik als falsch. Kruschwitz / Löffler schreiben selbst: "Wir geben gerne zu, dass in der Literatur Mischformeln hergeleitet worden sind, die wie WACC - Formeln aussehen und sich dennoch dazu eignen, bei autonomer Finanzierung eingesetzt zu werden, oder wie APV - Formeln aussehen und trotzdem auch bei wertorientierter Finanzierung eingesetzt werden können (mit Zitat Wallmeier). Aus theoretischer Sicht sind solche Bewertungsgleichungen interessant, praktisch bedeutsam sind sie nicht."

Ich halte die Formeln von Wallmeier, mit denen ich in Ballwieser (2001) wie (2002) arbeite und deren Resultate nicht angegriffen werden, nicht nur theoretisch für interessant. In praxi rechnen bestimmte Bewerter mit dem WACC - Ansatz, andere mit dem Ertragswertverfahren. Wenn man zeigen kann, dass Wertunterschiede auf Annahmenunterschiede zurückzuführen sind, ist dies eine relevante Information. Wenn man ferner zeigen kann, wie man aus einem (annahmegemäß) ungeliebten WACC - Verfahren zu einem (annahmegemäß) bevorzugten Ertragswertverfahren mit identischem Wert gelangen kann, ist auch das praktisch bedeutsam, selbst wenn Werte nur rekonstruiert werden. Nach meiner Erfahrung ist die Vorliebe für WACC auf wenige Unternehmen und wenige Spezialisten begrenzt, gilt aber weder für die Mehrzahl der Wirtschaftsprüfer noch der Angehörigen in Controlling-, Rechungswesen- und Finanzabteilungen.

Darüber hinaus kennen Kruschwitz / Löffler offenbar richtige WACC - Formeln und solche, die "wie WACC - Formeln aussehen" (entsprechendes gilt für APV). Ich bezweifle, dass diese Unterscheidung die Diskussion, welche mittlerweile kompliziert genug ist, befruchtet. 

Zuletzt ist die Feststellung von Kruschwitz / Löffler, "zumindest bei ökonomischer Vorgehensweise" resultierten verschiedene Unternehmenswerte nach WACC - und APV - Ansatz, nur dann richtig, wenn der Bewerter in praxi den Planungsaufwand scheut, um beide Verfahren kompatibel zu machen. Ein theoretisches Argument ist dies indes nicht. Theoretisch verbleibt von "Kruschwitz / Löfflers Mißverständnis 2" nur die Trivialität, dass bei verschiedenen Finanzierungsstrategien unterschiedliche Unternehmenswerte resultieren.


Kruschwitz / Löfflers triviale Erkenntnis, wonach verschiedene Finanzierungsstrategien zu unterschiedlichen Unternehmenswerten führen, ist kürzlich von Kruschwitz / Lorenz (CF biz März 2011, S. 94) vertieft worden:

Eine Anmerkung zur Unternehmensbewertung bei autonomer und wertorientierter Verschuldung

I. Einleitung

Es ist absolut unbestritten, dass der gegenwärtige Wert künftiger Einzahlungen aus der Perspektive eines risikoaversen Kapitalanlegers umso größer ist, je größer sie ausfallen, je früher sie stattfinden und je sicherer sie sind. Weil Kreditzinsen zu künftigen Steuereinsparungen führen, ist die Verschuldungspolitik eines Unternehmens wertrelevant. Eine autonome Finanzierungspolitik generiert sichere Steuervorteile, während eine wertorientierte Politik unsichere Steuervorteile nach sich zieht. Daher sollte ein Unternehmen, das autonom finanziert ist, ceteris paribus mehr wert sein als ein Unternehmen, welches eine wertorientierte Verschuldungspolitik verfolgt. Ob und unter welchen Bedingungen das tatsächlich der Fall ist, soll im Folgenden genauer analysiert werden. 

IV. Fazit

Es wurde untersucht, ob autonome Verschuldung (mit konstantem Fremdkapitalbestand) oder eine wertorientierte Finanzierungspolitik (mit konstantem Verschuldungsgrad) ceteris paribus zu einem höheren Unternehmenswert fürht. Bei der Beantwortung dieser Frage spielen zwei gegenläufige Effekte eine Rolle:

1. Bei Risikoaversion ist der Barwert von sicheren Steuervorteilen größer als der von unsicheren. Das spricht für autonome Finanzierung.

2. Der Barwert von im Zeitablauf ansteigenden Steuervorteilen fällt höher aus als dies bei konstanten Steuervorteilen der Fall ist. Bei den hier unterstellten Finanzierungspolitiken spricht das für wertorientierte Verschuldung. 

Wird von einem Null - Wachstum der Cashflows ausgegangen, liefert demnach stets die autonome Finanzierung höhere Marktwerte. Bei einer positiven Cashflowentwicklung hingegen haben wir eine kritische Grenze für die Wachstumsrate aufgezeigt, ab der der zweite Effekt überwiegt. 













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