Wodurch wird ein relativ starker - für sich genommen aber nicht besorgniserregender - Börsenabschwung derart verstärkt, dass er krisenhafte Ausmaße annimt? Herdentrieb ist es nicht, Panik auch nicht! Es ist nicht das menschliche Tun, das den Börsenhandel bestimmt.
Im Eigenhandel der Universalbanken, bei Investmentbanken sowie von institutionellen Anlegern werden automatisierte Handelssysteme genutzt. Je kürzer die Reaktionszeit des Investors, desto mehr Möglichkeiten zur Renditesteigerung hat er. Der außerbörsliche Handel - Umsatzanteil mind. 30 % mit steigender Tendenz - läuft ausschließlich über elektronische Handelsplattformen.
Im Eigenhandel der Universalbanken, bei Investmentbanken sowie von institutionellen Anlegern werden automatisierte Handelssysteme genutzt. Je kürzer die Reaktionszeit des Investors, desto mehr Möglichkeiten zur Renditesteigerung hat er. Der außerbörsliche Handel - Umsatzanteil mind. 30 % mit steigender Tendenz - läuft ausschließlich über elektronische Handelsplattformen.
Computer haben kein Gedächtnis, das Erinnerungen speichert und verzerrt, Computer haben keine Angst und deshalb auch kein "immaterielles Organ" zur Bewältigung von Angst. Kurz gesagt: Computer haben keine Psyche. Und ohne Psyche gibt es nunmal keinen Herdentrieb. Peter BOFINGER ist anderer Ansicht. In einem am 6. August 2011 auf ZEIT ONLINE veröffentlichten Interview liest man auszugsweise:
Frage: Herr Bofinger, die Kurse fallen seit Tagen, Spitzenpolitiker der EU reagieren konfus. Woher kommt die Panik an den Finanzmärkten?
Peter Bofinger: Das Problem an den Märkten ist immer, dass sie einem Herdentrieb folgen. Das kann sich dann letztlich auch völlig von den fundamentalen Faktoren ablösen. Durch die starken psychologischen Faktoren kann dort eine Eigendynamik auftreten.
Frage: Für wie dramatisch halten Sie die Lage?
Bofinger: Die Aktienkurse spielen für die Nachfrage in Deutschland und Europa nicht so eine zentrale Rolle wie zum Beispiel für die USA. Dort ist das Engagement der privaten Haushalte in Aktien sehr viel größer. Wir haben in Deutschland schon extreme Einbrüche erlebt und die Effekte haben sich in Grenzen gehalten. Das ist ein immenses psychologisches Problem, aber kein so großes fundamental-ökonomisches.
Elektronische Handelsplattformen haben keine Psyche, kein Bewusstsein, keine Seele und keinen Geist, sie nutzen jedoch durch hochkomplexe Softwareprogramme die Erkenntnis, dass insbesondere bei der schematischen Durchführung massenhafter Aufträge die Maschine dem Menschen überlegen ist. Dafür gibt es trotz der Analogien zwischen Mensch und Maschine gute Gründe:
Der Computer ist die wichtigste Anwendung an der Grenzfläche zwischen Mensch und Maschine. (...) Nervenzellen und Netzwerke von Nervenzellen eignen sich als Paradigma für die strukturelle Organisation eines Computers. Wiener legt großes Gewicht auf die Hypothese von McCulloch und Pitts, die in einem Papier von 1943 postuliert haben, dass Nervenzellen nach einem alles-oder-nichts-Prinzip funktionieren. Nervenzellen kennen danach nur zwei Aktivitätszustände. Sie befinden sich entweder in einem Zustand der Ruhe oder alternativ in dem Zustand, in dem sie einen Impuls aussenden (firing). Eine solche streng binäre Strukturierung an jedem einzelnen Verzweigungspunkt erscheint als die einfachste Form, ein Netzwerk für die Durchführung langer Ketten numerischer Operationen zu nutzen. Auf diese Weise kann das Vorkommen von Fehlern minimiert werden. Weiterhin müssen um der Geschwindigkeit willen die Verschaltungen elektrisch funktionieren, und es ist schließlich wichtig, dass in einer langen Kette von Operationen nie die Intervention eines Menschen erforderlich wird, dass dieser vielmehr nur für Input und Output zuständig ist. Das ist ein interessantes, gleichsam deduktiv entwickeltes System eines Computers, das aus der Analogie zu Nervensystemen heraus skizziert wird.
Der abschließende Punkt in der Analyse des Computers betrifft den Speicher, den Norbert Wiener ein Gedächtnis (memory) nennt. Immer wieder betont er die Eigenschaften eines solchen Speichers: er muss schnell aufzeichnen, schnell gelesen werden können und auch schnell wieder gelöscht werden. Dagegen profiliert sich die Eigentümlichkeit des menschlichen Gedächtnisses, dass sich dadurch auszeichnet, dass es niemals vollständig gelöscht werden kann. Vielleicht der wichtigste und auch interessanteste Punkt ist aber die These, dass ein Gedächtnis so funktionieren muss, dass die Elemente des Systems, die bei Speichervorgängen verändert werden, zu jenen Elementen gehören sollen, die das laufende Operieren des Systems beeinflussen. Gedächtnis wird also nicht als eine Art Archiv verstanden, auf das man nur in den seltenen Fällen zugreift, in denen einem die retrospektive Klärung eines vergangenen Geschehens wichtig erscheint. Es ist vielmehr als ein operativ unablässig angesprochener Hintergrund allen operativen Geschehens aufgefasst und erweist sich insofern in diesem Verständnis als ein anderer Begriff für das, was andere Wissenschaftler die Struktur eines Systems nennen. Nur ist dies eben eine Struktur, mit Blick auf die die Akte des Einlagerns in das Gedächtnis, der Zugriff auf die vorhandenen Abspeicherungen und schließlich die Vorgänge der Löschung deutlicher vor Augen treten als dies üblicherweise in einer Analyse der Fall ist, die sich als Strukturanalyse versteht. Diese Auffassung von Gedächtnis verbindet sich mit dem methodologischen Selbstverständnis von Wiener, der das eigene Vorgehen gern unter den Titel des Behaviorismus subsumiert hat, aber mit Behaviorismus eine Zugangsweise meinte, die das zukünftige Verhalten eines Organismus nicht auf der Basis seiner Struktur zu erforschen versucht, vielmehr früheres Verhalten als Grundlage des Studiums benutzt. Damit wird die Forschung über Gedächtnis für jede Wissenschaft von Systemen zentral, weil sie die Frage betrifft, wie früheres Verhalten in einem Gedächtnis so gespeichert wird, dass es in einer jeweiligen Gegenwart als die entscheidende Verhaltensdeterminante fungieren kann. (...) (Stichweh, Rudolf: Über Norbert Wiener, "Cybernetics or Control and Communication in the Animal and in the Machine", in: Baecker, Dirk, Hrsg., Schlüsselwerke der Systemtheorie, S. 21-24).
Zur Realität elektronischer Handelssyteme:
Das einfachste Handelssystem hat nur ein einziges Strukturelement, nämlich sogenannte "Stop-Loss-Orders" zur Begrenzung von Vermögensverlusten. "Stop-Loss-Orders" reagieren darauf, dass sich Engagements entgegen den ursprünglichen Erwartungen entwickeln. Professionelle Anwender elektronischer Handelssysteme nutzen Verlustbegrenzungsmarken in Verbindung mit der Bestimmung von Positionsgrößen. Im Position - Sizing wird ein Betrag vorgegeben, den der Verwalter eines Portfolios pro Trade riskieren darf. Die Stop - Loss - Marken werden jedoch nicht direkt von den Positionsgrößen abgeleitet, sondern automatisch aus der Charttechnik errechnet. Je größer die vom System akzeptierte Verlustspanne ist, desto kleiner ist die Position, die für ein Papier eingegangen werden darf. Die Berechnungsmodelle für Stop - Kurse stützen sich zumeist auf die Schwankungsbreite der entsprechenden Wertpapierkurse. In wenigen Programmen werden anstelle der Volatilität auch Wahrscheinlichkeitsrechnungen in Verbindung mit der Charttechnik zur Festsetzung von Stop - Levels verwendet.
Die von Profis benutzten Handelsplattformen haben eine Vielzahl von Strukturelementen, wodurch Tradingstrategien automatisch realisiert werden. Dadurch lassen sich emotional bedingte Fehlentscheidungen des Traders weitestgehend ausschließen. Eine Handelssoftware kann aber erheblich mehr als nur vordefinierte Handelssignale umsetzen, sie analysiert beispielsweise selbständig die Märkte und generiert daraus eine Anpassung der jeweiligen Tradingstrategie. Im Kern geht es darum, ein effizientes
Money - Management
zu implementieren. Das Money - Management weist dem Erhalt des eingesetzten Kapitals im Rahmen der Portfoliostrategie die höchste Priorität zu. Zu diesem Zweck bedienen sich die Trader eines konsequenten Risiko - Mangement - Systems. Die oberste Regel lautet: Diversifikation. In der Trading - Praxis ist es keine Seltenheit, dass Handelssysteme auf mehr als einhundert Märkten aktiv sind, wobei diese Märkte zueinander möglichst schwach korreliert sein sollten. Weitere Elemente eines erfolgreichen Money - Managements sind
a) bei kurzfristigen Tradings eine schnelle Orderausführung bei geringem Slippage, bei Arbitragegeschäften kommt es im "Kampf der Maschinen" auf Mikrosekunden an;
b) großzügig bemessene Margins, um stets die nötige Handlungsfreiheit zu haben; und
c) Obergrenzen für Transaktionskosten, die bei länger andauernden Verlustphasen durchaus Summen erreichen, die das Ziel des Kapitalerhalts gefährden können.
Dagegen sind irrationale Verhaltensweisen, wie der sogenannte "Herdentrieb", auf diskretionäre Händler beschränkt, die keine automatisierten Handelsplattformen einsetzen. Diskretionäre Händler verlassen sich auf ihr durch Erfahrungen geprägtes und somit subjektives Urteilsvermögen sowie auf ihre Intuition. Gleichwohl betrachten sie derartige Eigenschaften als Vorteil gegenüber schematisch agierenden "Maschinen". Trotzdem ist ihr Einfluss auf die Börsenkurse mittlerweile sehr gering. Die Anzahl diskretionärer Händler ist schon lange kein Massenphänomen mehr. Wissenschaftler, die sich mit "Behavioral Finance" beschäftigen, bringen im Kern stets zwei Nachrichten: Die schlechte Nachricht ist, dass das menschliche Verhalten irrational ist. Die gute, dass diese irrationalen Verhaltensmuster berechenbar sind.
Wer auf Handelssysteme setzt, sich jedoch vorbehält, selbst in die Systeme einzugreifen, geht einen Mittelweg. Die Performance dieser "halb-diskretionären" Systeme mag vereinzelt gut sein, für irrationale Verhaltensweisen der Trader bleiben sie anfällig.
Die spannende Frage ist, ob elektronische Handelssysteme ebenso panikartige Kursstürze verursachen können, wie sie der Herdentrieb zu einer Zeit bewirkte als es noch keine elektronischen Handelssysteme gab. Bei der Beantwortung dieser Frage reicht es nicht aus, sich nur mit der Exit-Strategie (Stop-Loss) eines Handelssystems zu befassen. Auch die Entry-Strategie muss beachtet werden. Entry - Zeitpunkte und Entry - Kurse werden häufig durch Trendfolge - Modelle bestimmt, die zu den am häufigsten angewendeten Analysetechniken gehören. Ein Trendfolgesystem beobachtet, ob ein bereits erkennbarer Trend durch bestimmte Kursbewegungen fortgesetzt wird. Die erste Phase eines Trends wird dieses System immer verpassen. Handelssignale setzen erst ein, wenn sich ein Trend stabilisiert hat. Bei fallenden Kursen werden die entsprechenden Positionen nach Maßgabe des Money- bzw. Risikomanagements solange gekauft, bis ein Ende des Abwärtstrends signalisiert wird.
Anmerkungen zu Erklärungsansätzen für Kursverluste
Vieles spricht dafür, dass sinkende Kurse als Kaufsignale dienen, die ein ungebremstes Abrutschen der Kurse verhindern. Bei genauer Betrachtung erkennt man also schnell, dass weder ein irrationaler "Herdentrieb" noch rational agierende Handelssysteme mit "Stop-Loss-Orders" geeignete Erklärungsansätze für die Kursentwicklung der vergangenen Tage bieten. Die wirklichen Ursachen liegen tiefer als die scheinbaren!
Die Soziologin Rena SCHWARTING bietet folgende Analyse an:
Das einfachste Handelssystem hat nur ein einziges Strukturelement, nämlich sogenannte "Stop-Loss-Orders" zur Begrenzung von Vermögensverlusten. "Stop-Loss-Orders" reagieren darauf, dass sich Engagements entgegen den ursprünglichen Erwartungen entwickeln. Professionelle Anwender elektronischer Handelssysteme nutzen Verlustbegrenzungsmarken in Verbindung mit der Bestimmung von Positionsgrößen. Im Position - Sizing wird ein Betrag vorgegeben, den der Verwalter eines Portfolios pro Trade riskieren darf. Die Stop - Loss - Marken werden jedoch nicht direkt von den Positionsgrößen abgeleitet, sondern automatisch aus der Charttechnik errechnet. Je größer die vom System akzeptierte Verlustspanne ist, desto kleiner ist die Position, die für ein Papier eingegangen werden darf. Die Berechnungsmodelle für Stop - Kurse stützen sich zumeist auf die Schwankungsbreite der entsprechenden Wertpapierkurse. In wenigen Programmen werden anstelle der Volatilität auch Wahrscheinlichkeitsrechnungen in Verbindung mit der Charttechnik zur Festsetzung von Stop - Levels verwendet.
Die von Profis benutzten Handelsplattformen haben eine Vielzahl von Strukturelementen, wodurch Tradingstrategien automatisch realisiert werden. Dadurch lassen sich emotional bedingte Fehlentscheidungen des Traders weitestgehend ausschließen. Eine Handelssoftware kann aber erheblich mehr als nur vordefinierte Handelssignale umsetzen, sie analysiert beispielsweise selbständig die Märkte und generiert daraus eine Anpassung der jeweiligen Tradingstrategie. Im Kern geht es darum, ein effizientes
Money - Management
zu implementieren. Das Money - Management weist dem Erhalt des eingesetzten Kapitals im Rahmen der Portfoliostrategie die höchste Priorität zu. Zu diesem Zweck bedienen sich die Trader eines konsequenten Risiko - Mangement - Systems. Die oberste Regel lautet: Diversifikation. In der Trading - Praxis ist es keine Seltenheit, dass Handelssysteme auf mehr als einhundert Märkten aktiv sind, wobei diese Märkte zueinander möglichst schwach korreliert sein sollten. Weitere Elemente eines erfolgreichen Money - Managements sind
a) bei kurzfristigen Tradings eine schnelle Orderausführung bei geringem Slippage, bei Arbitragegeschäften kommt es im "Kampf der Maschinen" auf Mikrosekunden an;
b) großzügig bemessene Margins, um stets die nötige Handlungsfreiheit zu haben; und
c) Obergrenzen für Transaktionskosten, die bei länger andauernden Verlustphasen durchaus Summen erreichen, die das Ziel des Kapitalerhalts gefährden können.
Dagegen sind irrationale Verhaltensweisen, wie der sogenannte "Herdentrieb", auf diskretionäre Händler beschränkt, die keine automatisierten Handelsplattformen einsetzen. Diskretionäre Händler verlassen sich auf ihr durch Erfahrungen geprägtes und somit subjektives Urteilsvermögen sowie auf ihre Intuition. Gleichwohl betrachten sie derartige Eigenschaften als Vorteil gegenüber schematisch agierenden "Maschinen". Trotzdem ist ihr Einfluss auf die Börsenkurse mittlerweile sehr gering. Die Anzahl diskretionärer Händler ist schon lange kein Massenphänomen mehr. Wissenschaftler, die sich mit "Behavioral Finance" beschäftigen, bringen im Kern stets zwei Nachrichten: Die schlechte Nachricht ist, dass das menschliche Verhalten irrational ist. Die gute, dass diese irrationalen Verhaltensmuster berechenbar sind.
Wer auf Handelssysteme setzt, sich jedoch vorbehält, selbst in die Systeme einzugreifen, geht einen Mittelweg. Die Performance dieser "halb-diskretionären" Systeme mag vereinzelt gut sein, für irrationale Verhaltensweisen der Trader bleiben sie anfällig.
Die spannende Frage ist, ob elektronische Handelssysteme ebenso panikartige Kursstürze verursachen können, wie sie der Herdentrieb zu einer Zeit bewirkte als es noch keine elektronischen Handelssysteme gab. Bei der Beantwortung dieser Frage reicht es nicht aus, sich nur mit der Exit-Strategie (Stop-Loss) eines Handelssystems zu befassen. Auch die Entry-Strategie muss beachtet werden. Entry - Zeitpunkte und Entry - Kurse werden häufig durch Trendfolge - Modelle bestimmt, die zu den am häufigsten angewendeten Analysetechniken gehören. Ein Trendfolgesystem beobachtet, ob ein bereits erkennbarer Trend durch bestimmte Kursbewegungen fortgesetzt wird. Die erste Phase eines Trends wird dieses System immer verpassen. Handelssignale setzen erst ein, wenn sich ein Trend stabilisiert hat. Bei fallenden Kursen werden die entsprechenden Positionen nach Maßgabe des Money- bzw. Risikomanagements solange gekauft, bis ein Ende des Abwärtstrends signalisiert wird.
Anmerkungen zu Erklärungsansätzen für Kursverluste
Vieles spricht dafür, dass sinkende Kurse als Kaufsignale dienen, die ein ungebremstes Abrutschen der Kurse verhindern. Bei genauer Betrachtung erkennt man also schnell, dass weder ein irrationaler "Herdentrieb" noch rational agierende Handelssysteme mit "Stop-Loss-Orders" geeignete Erklärungsansätze für die Kursentwicklung der vergangenen Tage bieten. Die wirklichen Ursachen liegen tiefer als die scheinbaren!
Die Soziologin Rena SCHWARTING bietet folgende Analyse an:
Politische Zeit unterläuft Marktzeit
Drei Meldungen seien für die Börsenturbulenz ausschlaggebend gewesen. Die Schuldenkrise in den USA, der EU und die (damit verkettete) weltweite Konjunkturerwartung. Eine vierte Nachricht habe dann noch mehr Sand ins Börsengetriebe geworfen als am Donnerstag EU-Kommissionspräsident Barroso in einem Schreiben an die 17 Staats- und Regierungschefs der Eurozone eine deutliche Aufstockung des Rettungsfonds EFSF forderte.Der Fall ist ein Beispiel dafür, dass die Politik mit ihren Entscheidungen chronisch hinter der potenzierten Zeit der Finanzmärkte hinterher läuft. Doch so sehr sie sich in den letzten (Urlaubs-)Wochen um Sparprogramme, Rettungspakete, Umschuldungen und letztlich auch um eine Beruhigung der Märkte bemüht hatte, so sehr wurde diese (noch nicht kollektiv bindende) Nachricht für die allgemeine Verunsicherung verantwortlich gemacht. Dies sind alles jedoch keine neuen Neuigkeiten.
SelbstverunsicheurngDas Mehr der Staatsschulden ist seit Monaten bekannt. Selbst die Herabstufung der Bonitätsbewertung der USA seitens Standard & Poor’s sollte zumindest weder für Politiker noch für institutionelle Anleger eine allzu große Überraschung sein – hatten die Agenturen doch in der Vergangenheit zu oft eine just in time Anpassung versäumt. Die Talfahrt scheint vor diesem Hintergrund weniger eine allgemeine Verunsicherung als eine Selbstverunsicherung gewesen zu sein. Den Kurskorrekturen ging eine Kumulation von Erwartungskorrekturen voraus, die soziologisch weniger mit dem Verweis auf politisch verstörte Einzelmeldungen als mit sozialen Mechanismen wechselseitiger Situationsdefinitionen erklärt werden können.
(Aus-)Tausch von Erwartungserwartungen
Wenn auf dem Parkett und an den Telefonen der Händler die Orders eingehen, Preise für Finanztitel verhandelt und daran geknüpfte Zahlungsversprechen getauscht werden, kann dies noch so turbulent und chaotisch erfolgen, es stabilisiert damit zugleich eine dynamische Sozialordnung. Diese Ordnung beruht auf wechselseitigen Verhaltenserwartungen zwischen Marktteilnehmern, die bei unterschiedlichen Zeit- und Preisdifferenzen die Wahl zwischen Kauf- und Verkaufsoptionen haben. Käufer und Verkäufer seien beispielsweise die Personen A und B: A erwartet, dass B erwartet, dass A zu jenem Kurs kauft und B erwartet umgekehrt, dass A erwartet, dass B zu jenem Kurs verkauft. Nach diesem Schema beobachten und orientieren sich Marktteilnehmer wechselseitig. Der eine erwartet, was der andere tut, während der andere erwartet, was der eine tut. Nicht erfüllte (Kauf-)Erwartungen können deshalb nicht selten zu Enttäuschungen führen. Im Gegensatz zu Produktmärkten können auf Kapitalmärkten Kauf- und Verkaufsrollen auch von derselben Person eingenommen werden („switch-role markets“). Dies ändert wenig an der allgemeinen Verhaltensausrichtung von Erwartungen, jedoch dynamisiert es die Sozialordnung von Märkten ungemein.
Selbstverunsicherung durch kumulative (Erwartungs)effekte
Die Erwartungen, an denen die Marktteilnehmer ihre Entscheidungen ausrichten, sind immer auch anders möglich. Sie orientieren sich an vergangenen Entscheidungen und unterschiedlichen Prognosen über ihr Kaufverhalten. Im Gegensatz zu gemachten Zahlungen können modellierte Zukunftsaussichten jedoch wieder geändert und revidiert werden. Prognosebasierte, erwartungsgesteuerte Entscheidungen sind daher auch der Selbstverunsicherung ausgesetzt. Sie müssen mitrechnen, dass sie im nächsten Moment bereits vergangen sind und damit den Folgen einer veränderten Bewertung seitens der Marktteilnehmer unterliegen. Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt to kauft, kann zu einem Zeitpunkt t1 wieder verkaufen. Wer auf steigende Kurse setzte, kann Sekunden später auf fallende setzten und umgekehrt.
Situationsdefinitionen gehen ihrer möglichen Ursachen voraus
Wenn beispielsweise ein Kurs nicht weiter steigt, setzt ein Bewertungsumschlag der Erwartung ein. Wird dieser Kursfall als unerwartet hoch beschrieben, kann sich das Marktgeschehen an dieser Beschreibung orientieren und damit die Situation erst hervorrufen, ohne dass dafür eine neue „externe“ Information als Auslöser eindeutig identifizierbar wäre, und ohne dass sich die befürchteten Erwartungen überhaupt einstellen. Gerade wenn bei Kursfällen (oder -Anstiegen) bestimmte Richtwerte oder Grenzwerte über DAX-Kurse oder andere Indices bei Anlegern eingehen, laufen vorprogrammierte Kaufs- und Verkaufsentscheidungen ab. Sie lassen sich hinterher schwer auf eine Einzelhandlung zurechnen, sind jedoch Ausdruck umstrukturierter Erwartungen und Situationsdefinitionen.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
Derartige Selbstverstärkungseffekte ergeben sich vor allem bei großen Volumina und sekundenschneller Transaktionsströme – v.a. aber wenn ähnliche Situationsbeschreibungen (insbesondere über Wachstumsaussichten oder mögliche Ursachen von Kursverlusten) gleichzeitig zusammentreffen. Und dies ist angesichts der heutigen Echtzeitübertragung der Kurse auf wenigen virtuellen Marktplätzen ein nicht selten erwartbares Ereignis. Dass derartige Handlungsschemata nicht allein auf Kaufentscheidungen an Finanzmärkten beschränkt sind, beschreibt das so genannte Thomas-Theorem: If men define situations as real, they are real in their consequences – bekannter unter der verkürzten Formel sich selbsterfüllender Prophezeiungen.
(Quelle: www.sozialtheoristen.de)
Kommentare auf www.sozialtheoristen.de (09.08.2011, 11:34 Uhr) zu Rena SCHWARTING:
Henrik
(08.08.2011 um 21:32 Uhr)Ich würde da vor allem zwei Sachen zu anmerken wollen:
1) zum einen das sicher interessante Zusammenspiel von Technik und Akteuren auf den Finanzmärkten. Was passiert bspw. wenn per Computerprogramm An- und Verkäufe konditioniert werden? Wenn also die beschriebene doppelte Kontingenz zwischen zwei Akteuren wegfällt und an ihre Stelle Computer treten. Man kann hier zumindest vermuten, dass in diesem Falle die Erwartungintransparenz noch einmal steigt und die Übersicht über die Märkte noch einmal abnimmt – und zwar nicht nur für die Politik als vermeintliche Kontrollinstanz, sondern auch für die Organisationen, die die Programme einsetzen, selber.
2) zum zweiten kann man anhand des Barosso Beispiels, denke ich, ganz gut erkennen, dass es schon strukturelle Kopplungen, also gegenseitige Erwartungen mit hoher Sensibilität, zwischen Finanzsystem und Politik gibt. Hier könnte man ja einmal drüber nachdenken, wie man das näher definiert. Läuft die strukturelle Kopplung hier über ein Medium, eine Organisation (bspw. EZB oder die EU selber), etc.
Stefan Schulz
(08.08.2011 um 23:00 Uhr)
Henriks erster Punkt ist auch meiner. Die Entkopplung des high-frequency-tradings vom akteursgetriebenen Marktgeschen und wiederum die Kopplung zwischen Wirtschaft und Politik ist derzeit, während der vollen Entfaltung der Krise, wirklich hochinteressant. Ich vermute auch, dass die vorrauseilende Programmierung der HF-Skripte im totalen Blindflug erfolgt und selbst die Skriptschreiber stauend erleben, an welchen Kaskaden sie beteiligt sind. Die Kursverluste sind kaum zu erklären und am aller wenigstens von den letzten echten Menschen, die für die Kameras die Stellung auf dem Börsenparkett halten.
Und auf der anderen Seite stimmt es auch, dass diese Kursbewegung beinah nichts mit realen Wertveränderungen zu tun haben. 2.5 Billionen Dollar Wertschwankung innerhalb ein paar Tage. Ich habe darüber gerätselt, ob das eigentlich überhaupt was bedeutet. Etwas flappsig würde ich sagen, das heißt einfach gar nichts. Solange die ganze Welt gleichmässig ihre Börsenwerte abwertet, sollte es höchstens Aliens stören, die ihr Geld auf anderen Planeten investeren könnten.
Zum Glück sind wir alle arm und belassen es beim konsumieren, sonst würden wir uns den ganzen Tag den Kopf zerbrechen und wären doch jeden Abend erneut enttäuscht.
Rena Schwarting
(09.08.2011 um 10:43 Uhr)High-Frequency-Trading ist im Text als vorprogrammierte (Ver-)Kaufsentscheidungen angesprochen. Den Punkt, dass HFT in solchen Krisenstunden die doppelte Kontingenz der Erwartungen teilweise einfangen, ist zunächst richtig. Dies ist v.a. bei dem hohen Zeitdruck und der hohen Transaktionsvolumina, die dann auf den Screens wie unkontrollierbar schnelle Wellen einschlagen, geschuldet. Bei dem Tempo kann dann auch gleichzeitig nichts mehr umgeschrieben werden. Ich denke, mann muss aber gewisse Zeitmomente unterscheiden: das Anbahnen und Verstärken der Selbstverunsicherung.
HFT findet permanent statt und nicht erst seit den letzten 10 Tagen. Das ANBAHNEN solcher Kursentwicklungen – und darum ging es mir in dem Text – hat zunächst viel mit Erwartungsumschlägen einiger großer institutioneller Anleger und der damit verbundenen Selbstverunsicherung anderer Marktteilnehmer zu tun.
Für das VERSTÄRKEN ist insbesondere ausschlaggebend, dass bestimmte “Kursmarken” unterstritten werden. Wenn Indices wie der Dow Jones oder der DAX (und viele andere mehr) unter bestimmte Grenzerte wie beispielsweise die 11.000 oder 6.000 Punkte fallen, dann werden bestimmte Programme zugleich ausgelöst. Aber solche Kurswerte müssen sich erst ereignen. Die Marktteilnehmer haben aber im Moment des Anbahnens bestimmte mögliche Zukunftsaussichten und viele erwarten, dass solche Kaskaden-Effekte eintreten, wenn sich bestimmte Kursentwicklungen abzeichnen, obwohl sie sich noch nicht ereignet haben. Derzeit beobachten wir dagegen ihr Ereignen.
Drittens läuft die Tatsache, dass HFT und andere Techniken im (Zusammen-)Spiel sind und welche Auswirkungen dies zu bestimmten Zeitpunkten haben kann, zugleich als Erwartung bei den Marktakteuren mit. Dies kann schließlich auch zum Umschreiben oder zur Revision der einzelnen Programme und Modelle führen, die ich wiederum als Folge der Selbstverunsicherung sehen würde.
Henrik
(09.08.2011 um 11:05 Uhr)Aber was erwartet man von Maschinen?
Also es geht hier ja nicht um vorprogrammierte Kaufentscheidungen, sondern um die Frage, wie sich das Marktgeschehen verändert, wenn sich nicht mehr Käufer beobachten, sondern “Unbeteiligte” Maschinen beobachten, die programmiert sind und die viel zu schnell reagieren als dass man sie synchron kontrollieren kann. Und genau hier wird eben keine doppelte Kontingenz eingefangen. Sie entsteht gar nicht erst, weil die Computer sich gegenseitig, wenn überhaupt?, nur anhand von Preisen beobachten und nicht mehr im Hinblick auf zukünftige/vergangene Marktentwicklungen, usw. Und selbst wenn man jetzt sagen sollte: okay, wenn sie sich anhand von Preisen beobachten, dann machen sie nichts anderes als andere Marktteilnehmer, dann kann man dem immer noch die Geschwindigkeit entgegenhalten in der dies geschieht und die verhindert, dass ein Abtasten wie bei vorhandener doppelter Kontingenz, überhaupt entsteht!
Dass dennoch Selbstverstärkungseffekte entstehen, Grenzwerte unter- bzw. überschritten werden, usw. steht außer Frage!!! Selbstverständlich schalten Maschinen das Akkumulieren von Erwartungstendenzen auf den Märkten nicht aus. Oder anders formuliert: sie schalten Wirtschaft per se natürlich nicht aus. Deswegen ist der Hinweis auf HFT auch abgelöst von dem, was aktuell passiert!!! Aber das nach dem Einführen des HFT die Finanzwelt dieselbe wie vorher ist, würde man wahrscheinlich auch nicht sagen wollen.
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