Freitag, 22. November 2013

Der richtige Preis ist eine Frage der Sichtweise

Die Badische Zeitung unterscheidet in ihrem allgemeinverständlich gehaltenen Artikel


Der richtige Preis ist eine Frage der Sichtweise

zwischen Wert und Preis des Unternehmens:


"Welchen Preis ein Unternehmen beim Verkauf von Anteilen hat, liegt letztlich am Betrachter. Zwei Parteien, der Käufer und der Verkäufer, müssen sich auf einen Preis einigen – der tatsächliche Wert des Unternehmens, das den Besitzer wechselt, bleibt dabei im Dunkeln. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es den einen Unternehmenswert gar nicht gibt.

Letztlich müssen Käufer sich also fragen, wie hoch der laufende Gewinn eines Unternehmens ist – und dann ausrechnen, wie viel Kapital sie benötigten, um mit einem vergleichbar riskanten Geschäft anderswo ebenso viel Gewinn zu erzielen, beziehungsweise, wie viel die erwarteten künftigen Gewinne gemessen am heutigen Kapitaleinsatz wert sind. Das ist dann der Ertragswert der Firma. Jedenfalls theoretisch. Denn praktisch liegen die Einschätzungen über die Ertragsperspektiven eines Unternehmens zwischen Käufer und Verkäufer oft auseinander. Zudem haben beide unterschiedlich gute Kenntnisse über das Innenleben des Unternehmens. Das erschwert die Sache für den Käufer – und deshalb ist er gut beraten, sich genau zu informieren." Weiter

Die Unterscheidung zwischen Wert und Preis ist von grosser Bedeutung.  Thomas HERING und Roland ROLLBERG:


Theorie und Praxis sollten aus der jüngsten Finanzkrise die Konsequenz ziehen, die Prinzipien der vermeintlich „objektiven“ angelsächsischen Wertlehre aufzugeben und sich stattdessen verstärkt dem Gedankengut der österreichischen Grenznutzenschule und der subjektiven deutschen Bewertungstheorie zuzuwenden. Durch eine derartige Umorientierung werden künftige Krisen zwar nicht ausgeschlossen, sie werden aber auch nicht durch lebensfremde Weltanschauungen und unvorsichtige Verhaltensweisen „angeheizt“ [auch im Folgenden 10].




Das Kernproblem der angelsächsischen Bewertungstheorie ist die realitätsferne Prämisse eines bei vollständiger Konkurrenz im Gleichgewicht befindlichen vollkommenen und vollständigen Marktes. Dies führt zu einer Gleichsetzung von Wert und Preis eines Gutes sowie zu unweigerlich daraus resultierenden betriebswirtschaftlichen Fehlentscheidungen.




In der Realität sind Finanz- und Realgütermärkte unvollkommene und unvollständige Märkte, auf denen der Preis eines Gutes nur im Ausnahmefall mit seinem individuellen Wert aus Sicht eines spezifischen Marktteilnehmers übereinstimmt. Betriebswirtschaftliches Handeln setzt deshalb stets eine subjektive Bewertung voraus, die sowohl die individuelle Zielsetzung als auch das individuelle Entscheidungsfeld des jeweiligen Bewerters explizit berücksichtigt. Eine Orientierung an subjektiven Entscheidungswerten statt an vermeintlich „objektiven“ Marktpreisen wirkt einem Krisen forcierenden gleichgerichteten „Marktverhalten“ weitgehend entgegen. Vollständiger Beitrag


Freitag, 3. Mai 2013

Crowdinvesting und Unternehmensbewertung



Dieses Praxisbeispiel bezieht sich auf ein Finanzierungsangebot aus dem Jahr 2012 als beim Crowdinvesting die stille Beteiligung die gängige Beteiligungsform war. Inzwischen sind partiarische Nachrangdarlehen vorherrschend. Eine entsprechende Praxisstudie folgt.

Die Art und Weise, wie man sich an einem Unternehmen beteiligt, hat in der Regel keinen Einfluss auf die Unternehmensbewertung. Allein der Zweck der Bewertung ist relevant. Wer vor der Frage steht, sich an einem bestimmten Unternehmen zu beteiligen oder sein Geld anders zu verwenden, hat ein investitionstheoretisches Problem zu lösen, indem er mithilfe eines Kapitalwertkalküls seinen Entscheidungswert ermittelt.

Als Kleinanleger, der 50 € oder 250 € in eine stille Beteiligung an einem "kurz und knackig" präsentierten Startup stecken möchte, mag man sich diese Mühe vielleicht nicht machen. Dann muss aber auch klar sein, dass dieses Geld eher den Charakter einer Zuwendung hat. Wer sein Geld zurückhaben möchte, sobald die stille Beteiligung kündbar ist, muss genauer hinsehen. Dabei fallen merkwürdige Angebote auf den Crowdinvesting-Plattformen auf, wonach Anteile mit einem Renditeversprechen von mindestens 300 % zum Nominalwert von 50€/250€ gekauft werden können:

Wer heute 1.000 € investiert, erhält in vier Jahren 4.000 € zurück (Zitat auf einer Crowdinvesting-Plattform).

Dass für zukünftige finanzielle Überschüsse der Barwert zu ermitteln ist, hat sich offensichtlich noch nicht bis zu den Betreibern dieser Plattform herumgesprochen (Kapitalwertkalkül). Grund genug, sich eingehender mit derartigen Angeboten zu befassen.


Unternehmensbewertung aus Sicht des Crowdinvestors


Ein anonymisierter Praxisfall:

Preis pro Anteil an einer vier Jahre laufenden stillen Gesellschaft: 250 €
Alternative Anlage: Anteil am Investmentfonds ABERDEEN GLOBAL EMERGING MARKETS, Zeitraum 4 Jahre, Rendite 38,6 % p.a.

Wird im Rahmen einer Unternehmensbewertung die Entscheidungsalternative (das Basisprogramm) des Käufers betrachtet, sind Äquivalenzanforderungen zu beachten, wie sie von Inga DEHMEL und Michael HOMMEL beschrieben werden (Dehmel/Hommel, Äquivalenzanforderungen in der Unternehmensbewertung, S. 119-136, in: Petersen/Zwirner/Brösel, Hrsg., HANDBUCH UNTERNEHMENSBEWERTUNG, Bundesanzeiger Verlag, 2013). Aus Gründen der Vereinfachung wird in diesem Praxisfall davon abgesehen und kurzerhand angenommen, dass der oben genannte Investmentfonds eine äquivaltente Anlageform des Käufers sei.
 
 
Startup







2012 2013 2014 2015 2016

Beträge in €




EBIT




822.219







Ausschüttbarer Gewinn





des Unternehmens
-54.673 52.603 142.726 227.738 705.780







Gewinnanteil des





stillen Gesellschafters 0,0375% 0 20 54 85 265







Nominalwert stille Einlage
250



Rückzahlung stille Einlage




1.849,06







Kapitalisierungszins 38,60%











Unternehmenswert laut





Investmentangebot 667.000











Barwerte

14 28 32 573
Wert der stillen Einlage      647






Demnach war ein Anteil in Höhe von nominal 250 €, der 2012 in dieser Höhe einbezahlt worden ist, per 31.12.2012 insgesamt 647 € wert (Summe der Barwerte). Das sind zwar bei weitem keine 300 % Rendite auf den einbezahlten Betrag, aber der Wert des Anteils an der stillen Gesellschaft liegt  deutlich über dem dafür bezahlten Preis.

Der Betrag für die erstmals mögliche Rückzahlung der stillen Einlage wurde - den Angaben des Plattformbetreibers entsprechend - wie folgt berechnet: EBIT 2016 in Höhe von 822.219 € multipliziert mit dem Faktor 6 (Gemäß Beteiligungsvertrag) = 4.933.314 € dividiert durch den Unternehmenswert laut Investmentangebot in Höhe von 667.000 (Die Berechnung dieses Wertes ist nicht transparent) = Faktor 7,3962. Nominalwert der stillen Einlage 250 € multipliziert mit dem Faktor 7,3962 = 1.849,06 €. Die Vorgehensweise des betreffenden Plattformbetreibers ist also eindeutig auf den Exit im Jahre 2016 orientiert; die Gewinne der Vorjahre fließen in keiner Weise in die vertragsgemäße Berechnung des "Unternehmenswerts" bei Kündigung ein.

Im Jahr der Beendigung der stillen Einlage, im Praxisfall ist es das Jahr 2016, wird der "Unternehmenswert" nach den Informationen auf der Crowdinvesting-Plattform gemäß der Formel "EBIT x 6" berechnet. Offen bleibt jedoch die Frage, wie hoch der Rückzahlungsbetrag für die stille Einlage ist, wenn der Unternehmenswert im Jahre 2016 niedriger ist als der Unternehmenswert laut Finanzierungsangebot. Muss sich der Inhaber der stillen Beteiligung Wertverluste zurechnen lassen? Der vorgenannten Formel für den "Unternehmenswert" entsprechend, können Wertverluste auch dann eintreten, wenn das Startup keine Verluste macht:



Startup mit Wertminderung






2012 2013 2014 2015 2016

Beträge in €




EBIT geschätzt




17.475







Ausschüttbarer Gewinn





des Unternehmens
-54.673 0 5.000 10.000 15.000







Gewinnanteil des





stillen Gesellschafters 0,0375% 0 0 2 4 6







Nominalwert stille Einlage
250



Rückzahlung stille Einlage




39,30







Kapitalisierungszins 38,60%











Unternehmenswert laut





Investmentangebot 667.000











Barwerte

0 1 1 12
Wert der stillen Einlage    14






Das Kommunikationsverhalten des Plattform-Betreibers lässt aus der Sicht des Crowdinvestors sehr zu wünschen übrig.

Unternehmensbewertung aus Sicht des zu finanzierenden Startups


Dem stillen Gesellschafter kann entweder eine feste Verzinsung seiner Einlage angeboten werden, oder - wie es beim Crowdinvesting üblich ist - ein Gewinnanteil. Im Praxisfall erhält der Crowdinvestor auf einen Anteil von 250 € einen Gewinnanteil in Höhe von 0,0375 %. Bei einem Finanzierungslimit von 100.000 € werden 400 Anteile ausgegeben. Insgesamt würde das Startup also 15 % seines jährlichen Gewinns an die stillen Gesellschafter ausschütten. Die an einer möglichst hohen Liquidität für den Geschäftsbetrieb interessierte Geschäftsführung des Startup  muss jedoch aus betriebswirtschaftlicher Sicht bestrebt sein, die jährlichen Gewinne zu minimieren. 

Besonders wichtig ist dies im Jahr der erstmals möglichen Beendigung der stillen Gesellschaft, um zu vermeiden, dass die stillen Gesellschafter an Wertzuwächsen partizipieren und dem Startup Liquidität entziehen. Im Worst Case - Szenario des Praxisfalls müsste das Startup bei einem planmäßigen Verlauf für die 400 ausgegebenen Anteile einen Betrag in Höhe von 739.624 € (= 1.849,06 € x 400) an die stillen Gesellschafter zurückzahlen. Hinzu käme ein Gewinnanteil für das Jahr 2016 in Höhe von 106.000 € (265 € x 400). Insgesamt würde den stillen Gesellschaftern eine Summe in Höhe von 845.624 € zufließen. Bei kumulierten Gewinnen der Jahre 2013 bis 2016 von 1.128.847 € wären das 75 % der bis dahin erwirtschafteten Gewinne des Startup. 

Der vom Plattform-Betreiber festgelegte Berechnungsmodus für den "Unternehmenswert" im Jahr der Beendigung der stillen Gesellschaft wird zwar bei erwartetem planmäßigem Geschäftsverlauf des Startup viele Crowdinvestoren anlocken, liegt jedoch keinesfalls im Interesse des Unternehmens. Diese Regelung muss sogar als für das Startup existenzgefährdend betrachtet werden. 

Hier liegt also ein Interessenkonflikt zwischem Startup und Plattform-Betreiber vor. Dieser Konflikt kann nur dadurch vermieden werden, dass die Phase nennenswerter Gewinne auf die Zeit nach der erstmals möglichen Kündigung der stillen Gesellschaften verschoben wird. Das würde jedoch wiederum Konflikte mit den Crowdinvestoren nach sich ziehen. 

Freitag, 15. März 2013

Wissen in Form


Individuelles Wissen ist nicht reproduzierbar und kann deshalb im unternehmerischen Wettbewerb ein wichtiger Erfolgsfaktor sein. Wer diese Chance nutzen will, muss verstehen, das Wissensmanagement als Querschnittsfunktion eine besondere Führungsaufgabe ist. Wissensmanagement findet nicht nur in den Chefetagen, sondern überall im Unternehmen statt. Jeder, der im Unternehmen Verantwortung trägt, ist ein Wissensmanager. Und jeder, der im Unternehmen arbeitet, ist ein Wissensträger.

Bei TCHIBO geben die Lagerarbeiter regelmäßig bessere Absatzprognosen ab als die hochkarätig besetzte Planungsabteilung. Das gibt zu denken! Unter den Bedingungen fortschreitender Wettbewerbsintensität ist es für die Verantwortlichen eines Unternehmens unerlässlich, die Perspektiven eines modernen Wissensmanagements zu kennen und anzuwenden. Eine gute Gelegenheit bietet die 

Internationale Konferenz für angewandtes Wissensmanagement


der Donau - Universität Krems. In diesem Jahr steht sie unter dem Motto

"Wissen nimmt Gestalt an".

Die Konferenz will einen Erfahrungsaustausch aus der Praxis für die Praxis sein. In der Eröffungsrede erklärt Medienexperte Martin Eppler von der Universität St. Gallen Nutzen und Möglichkeiten der Visualisierung von Wissen. Folgendes Video mag einen kleinen Eindruck vermitteln:



  
 Außerdem bietet die Veranstaltung in Krems anschauliche Praxisbeispiele aus namhaften Unternehmen und Organisationen wie dem Bundesdenkmalamt, dem Bundesministerium für Finanzen, der Telekom Austria, Asfinag, CONTINENTAL AG und 4dimensions. 

Einen Höhepunkt bildet die Podiumsdiskussion


"Wie viel Theorie braucht Wissensmanagement?"

am Dienstag, 23. April.

Die Kremser Wissensmanagement-Tage werden durch ein begleitendes Ausstellerforum mit Mikro-Workshops und ein unterhaltsames Rahmenprogramm ergänzt. Man darf gespannt sein.
 
2. Kremser Wissensmanagement-Tage

23. und 24. April 2013

Donau-Universität Krems – Audimax

Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30

3500 Krems


Programm und Anmeldung unter www.wima-krems.at



Donau-Universität Krems im Sommer 2010

Samstag, 23. Februar 2013

Leben ohne Zins und Wachstum


DenkwerkZUKUNFT hat sich auf seiner 3. Konferenz mit folgenden Themen befasst:

Geld- und Zinswirtschaft ohne volkswirtschaftliches Wachstum


Impulsvortrag von Richard WERNER





Impulsvortrag von Thomas MAYER





Diskussion





Ohne Zins und Wachstum - Gesellschaftliche Perspektiven



Impulsvortrag von Stephan LESSENICH





Impulsvortrag von Wolfgang STREECK





Diskussion


 





Freitag, 22. Februar 2013

Wert und Preis bei Konzernintegration


Steter Tropfen höhlt den Stein. Der griechische Epiker Choirilos von Samos (zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts v.Chr.) sagte in seinem Gedicht über die Perserkriege: 

"Der Tropfen höhlt den Stein durch Beharrlichkeit".

Mit großer Beharrlichkeit weisen die Vertreter der investitionstheoretisch fundierten Bewertungsmethoden darauf hin, dass nur im Ausnahmefall der Preis eines Unternehmens mit seinem individuellen Wert aus der Sicht eines spezifischen Marktteilnehmers übereinstimmt. Die von vollkommenen Märkten ausgehende Annahme der Übereinstimmung von Wert und Preis, wie sie in allen DCF-Modellen zu finden ist, ist unrealistisch. Thomas HERING und Roland ROLLBERG schreiben in Ihrem Artikel "Aus der Traum - 'Demaskierung' der angelsächsischen Bewertungslehre" (Business + Innovation 01/2011):

"Dabei ist das Auseinanderfallen von gezahltem Marktpreis und subjektivem Ressourcenwert Grundvoraussetzung für das Zustandekommen jeglicher Transaktionen. Nur wenn der Kaufpreis nicht höher (der Verkaufspreis nicht niedriger) als der Wert des Gutes aus Sicht des Nachfragers (Anbieters) ist, kann es zu einem Kauf (Verkauf) von Faktoren, Faktorbündeln, Produkten oder Liquidität kommen."

Diese Beharrlichkeit zahlt sich langsam aus. Die Anhänger der DCF-Methoden beginnen, das Thema "Wert und Preis" zu diskutieren; wenn auch zunächst nur im Zusammenhang mit nicht börsennotierten KMU:

Joerg SCHNEIDER, Konzernexperte Projekt- und Unternehmensbewertung der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, hält im Rahmen des von Wolfgang BALLWIESER geleiteten "Jahresforum Unternehmensbewertung" am 15. und 16. Mai 2013 in Frankfurt am Main den Vortrag

"Wert und Preis - Entscheidungsunterstützung bei der potenziellen Integration von (jungen) KMU in einen Konzernverbund"

  • Unterschiede zwischen Wert und Preis
  • Berücksichtigung operativer Einflussnahme
  • Erwartungswerttreue der Plan-Cash-Flows
  • Transparenz über tatsächliche Entscheidungsalternativen

Man darf gespannt sein.

"Marktwertorientierte" Bewertung

 

Wert und Preis in der Unternehmensbewertung





Donnerstag, 21. Februar 2013

Unternehmensbewertung, Funktionen - Methoden - Grundsätze


Die vierte, vollständig überarbeitete und erweiterte, Auflage der

Unternehmensbewertung

Funktionen - Methoden - Grundsätze


von 

Manfred Jürgen Matschke
und
Gerrit Brösel

ist erschienen. Wer sich als Praktiker, Studierender oder Wissenschaftler mit Unternehmensbewertung befasst, kommt an diesem hochaktuellen Lehrbuch der funktionalen Unternehmensbewertung nicht vorbei. 

In meiner wöchentlichen Kolumne auf www.cfoworld.de habe ich die Bedeutung der funktionalen Unternehmensbewertung grob umrissen:

In aeternum: Es zählt nur der Zweck


Ein Unternehmen kann gleichzeitig mehrere Werte haben. Deren Höhe ist von dem jeweiligen Zweck abhängig, der mit der Bewertung verfolgt wird. Eric Schreyer führt aus.

Anfang der 1970er Jahre stand die Berufsvereinigung der Wirtschaftsprüfer ihrer täglichen Aufgabe der Unternehmensbewertung noch ziemlich ratlos gegenüber, wie Wolfgang Dörner es im WP-Handbuch 1973 dokumentierte:

„..., so daß aus diesem Zwang unter Anwendung des betriebswirtschaftlichen Instrumentariums vom Wirtschaftsprüfer gewisse Bewertungsverfahren entwickelt wurden, die als ‚Spezialistenwissen’ keinen unmittelbaren Niederschlag in der Literatur gefunden haben [...] Die Arbeiten sind allerdings noch nicht abgeschlossen [...] Da der Stoff ohnehin noch sehr stark im Fluß ist, bleibt es den folgenden Auflagen vorbehalten, die niedergelegten Standpunkte weiter zu festigen.“

Seinerzeit gab es in Deutschland noch kein in sich geschlossenes Theoriegebäude und auch im angelsächsischen Raum hatte noch niemand herausgefunden, dass Discounted Cash Flow-Modelle am leichtesten weltumspannend vermarktet werden können.

Wert als Funktion des Zwecks


Damals stellten die Bewertungspraktiker grundsätzliche, bis heute gültige, Überlegungen an, wonach der Wert nicht als eine dem Unternehmen anhaftende objektive Eigenschaft, sondern vielmehr das Ergebnis aus einer Subjekt-Objekt-Beziehung ist:

„Aus dieser wertbestimmenden Beziehung zeigt sich, daß die Bewertung eine Methode zur Lösung von Entscheidungsproblemen darstellt, da der Wert nicht als eine dem Gegenstand innewohnende (objektive) Eigenschaft, sondern als Funktion des verfolgten Ziels (subjektiv) zu betrachten ist.“ 

Maßgebender Begründer dieses Modellansatzes ist der nach wie vor sehr aktive Wirtschaftswissenschaftler Manfred Jürgen Matschke. Seine im Jahr 1973 vorgelegte Dissertation Der Entscheidungswert der Unternehmung bildete den Ausgangspunkt des bis heute gültigen theoretischen Bezugsrahmens für die streng auf den Zweck der Unternehmensbewertung gerichtete Funktionale Unternehmensbewertung. Die Entscheidung über den Kauf respektive den Verkauf von Unternehmensanteilen, die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien und die Argumentation zur zielgerichteten Beeinflussung des Verhandlungspartners sind ihre drei Hauptfunktionen.

Realistik


Im Unterschied zur angelsächsischen Bewertungslehre geht die Funktionale Unternehmensbewertung von unvollkommenen Absatz-, Beschaffungs- und Kapitalmärkten aus. Sachliche, persönliche, räumliche und zeitliche Präferenzen eröffnen einen Spielraum für Preisdifferenzierungen, weil sich der Unternehmenswert in Höhe des individuellen Grenznutzens des möglichen Käufers oder Verkäufers ergibt. Der für das Unternehmens gezahlte Preis stimmt nur in seltenen Ausnahmefällen mit diesem individuellen Wert überrein. Dieses Auseinanderfallen von Wert und Preis ist eine Grundvoraussetzung für jegliche Transaktionen. Nur wenn aus Sicht des möglichen Käufers (Verkäufers) der Preis des Unternehmens nicht höher (nicht niedriger) als der individuelle Wert ist, kann es zu einem Kauf (Verkauf) kommen.

Die Funktionale Unternehmensbewertung kann sogar qualitative Informationen verarbeiten: Gerrit Brösel, der gemeinsam mit Karl Petersen und Christian Zwirner das Handbuch Unternehmensbewertung [9] herausgab, schreibt darin auf Seite 172:

„Menschen handeln in zahlreichen Bewertungssituationen intuitiv; nicht immer lassen sich alle Entscheidungen rational begründen oder gar ableiten. Solche Verhaltensweisen können nicht ohne weiteres in klassischen Bewertungsmodellen abgebildet werden; vielmehr muss ein Ansatz gefunden werden, der die verschiedenen qualitativen Informationen mehrdimensional abbilden kann. Die funktionale Unternehmensbewertungsanschauung ist hierzu besonders gut geeignet, weil Modelleffizienz und Realistik einander nicht ausschließen.“

Konfliktlösungsorientierung


Die Verhandlungsparteien begründen ihre Angebote mithilfe von Argumentationswerten. Dadurch können auch Informationen „zugespielt“ werden, um den vermuteten Einigungsbereich zu erweitern. Ein Argumentationswert ist aber nur brauchbar, wenn er glaubwürdig ist. Es ist stets ein überzeugender, wenig angreifbarer, „realistischer“ Wert, der von der Gegenseite akzeptiert wird und dadurch Interessengegensätze überbrückt. Auf diese Weise haben Verhandlungen Erfolg, die sonst vielleicht gescheitert wären.

Aus meiner Sicht als Praktiker ist die Konfliktlösungsorientierung der funktionalen Unternehmensbewertung besonders relevant. Auch zu diesem Aspekt habe ich mich auf CFOworld geäußert:


Grenzen des Discounted Cash Flow


Der Börsengang von Talanx verlief konfliktreich. Das DCF-Verfahren ist in solchen Situationen zum Scheitern verurteilt. Eric Schreyer rät dazu, mitunter gegen den Strom zu schwimmen.

Es geschieht selten. Aber wenn Börsengänge oder Verkaufsverhandlungen scheitern, bleibt oft ein Scherbenhaufen zurück. Ein aktuelles Beispiel ist Talanx. Mitte September 2012 wurde der seit Jahren vorbereitete Börsengang kurzerhand abgesagt. Als Ursache nannte das Unternehmen ein großes Missverständnis.

Nach eigenen Angaben sollte der Börsengang nämlich nicht der Kapitalbeschaffung [8] dienen, sondern wie ein Ritterschlag sein. Daran ist zu erkennen, dass es zwischen dem mitunter auf überraschende Weise subjektiven Wert eines Unternehmens und dem Preis, den die Emissionsbanken für angemessen halten, unglaublich viele verschiedene Interessenlagen geben kann. Am 2. Oktober 2012 erfolgte völlig unerwartet dann doch die Erstnotiz im Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse. 25,5 Millionen Aktien wurden zu einem Ausgabekurs von 18,30 Euro verteilt - dies entspricht einer Kapitalisierung von 4,7 Milliarden Euro. Wodurch die Emissionsbanken ein Umdenken bei Talanx bewirkten, blieb allerdings verborgen.

Interessenlagen zwischen Wert und Preis


Ein Bewertungsmodell, das Wert und Preis gleichsetzt, so wie es in den von der Bankenwelt favorisierten Discounted Cash Flow-Verfahren (DCF) geschieht, ist in derartigen Konfliktsituationen zum Scheitern verurteilt. Die Emissionsbanken waren überzeugt, dass der von ihnen festgelegte Ausgabepreis einen Erfolg des Börsengangs gewährleisten würde. Dass dieser zweifellos marktgerechte Preis den Wert von Talanx widerspiegeln soll, muss das Unternehmen in seinem Selbstverständnis tief verletzt haben. Aufsichtsratschef Wolf-Dieter Baumgartl und Vorstand Herbert Haas sahen sich im Konzern mit Hannover Rück und Gerling endgültig im Olymp der Versicherer angekommen und wollten dafür die ihres Erachtens längst überfällige Anerkennung der internationalen Finanzwelt. Das bedeutet: Sie streben auf mittlere Sicht in den DAX und erwarten für Talanx dann etwa den gleichen Börsenwert wie ihn Münchner Rück und Allianz erreichen.

Die konfliktlösungsorientierte Funktionale Unternehmensbewertung hätte mit dieser Problematik umgehen können. Zwischen Emissionsbanken und Talanx gab es bei realistischer Betrachtung immerhin einen handfesten Konflikt und nicht bloß ein Missverständnis, wie es die Banken mangels geeigneter Verfahren zur Konfliktlösung verlauten ließen. Unterschiedliche Auffassungen über den Wert eines Unternehmens lassen sich nicht einfach mit der Begründung, der „vollkommene“ Finanzmarkt bestimme den Preis, beiseite schieben. Subjektive Argumente müssen ernst genommen werden und in den Verhandlungsprozess einfließen.

Argumentationswerte


Mithilfe der Funktionalen Unternehmensbewertung hätten die Verhandlungspartner ihre Situation als konfliktär akzeptiert und ein leistungsfähiges Instrument zur Hand gehabt, um ihre gegensätzlichen Standpunkte auf eine akzeptable Art und Weise anzunähern. Argumentationswerte sind immer offenbarte Größen und somit ein probates Mittel der Kommunikation zwischen den Konfliktparteien. Vor allem sind sie glaubwürdig und haben deshalb stets die Kraft, den Verhandlungspartner zu beeindrucken und ihn zu Zugeständnissen zu bewegen. Im Grunde eröffnet die Argumentationsfunktion einen vorteilhaften Spielraum, etwa indem der zunächst einzige konfliktlösungsrelevante Sachverhalt, meistens der Preis, in verschiedene abgeleitete Sachverhalte zerlegt wird: Zukunftserfolg, Akquisitionsstrategie, Volumen der auszugebenden Aktien, künftige Risikobereitschaft der Unternehmensführung und so weiter.

[...]

Unternehmensbewertung, Funktionen - Methoden - Grundsätze, hat folgenden Inhalt:


Vorwort
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Symbolverzeichnis

  1. Grundlagen der Unternehmensbewertung
    1.1 Begriffliche Grundlagen
    1.2 Konzeptionen der Unternehmensbewertung
    1.3 Funktionen der Unternehmensbewertung und ihre Wertarten
    1.4 Anlässe der Unternehmensbewertung
    1.5 Matrix der funktionalen Unternehmensbewertung und Methoden der Unternehmensbewertung im Überblick
    1.6 Ausgewählte Kontrollfragen

  2. Entscheidungsfunktion und Entscheidungswert
    2.1 Grundlagen
    2.2 Ermittlung mehrdimensionaler Entscheidungswerte
    2.3 Ermittlung eindimensionaler Entscheidungswerte in nicht dominierten, disjungierten Konfliktsituationen vom Typ des Kaufs/Verkaufs
    2.4 Ausgewählte Probleme bei der Entscheidungswertermittlung
    2.5 Ausgewählte Kontrollfragen

  3. Vermittlungsfunktion und Argumentationswert
    3.1 Grundlagen
    3.2 Wertermittlung in nicht dominierten Konfliktsituationen
    3.3 Wertermittlung in dominierten Konfliktsituationen
    3.4 Ausgewählte Kontrollfragen

  4. Argumentationsfunktion und Argumentationswert
    4.1 Grundlagen
    4.2 Wertermittlung
    4.3 Ausgewählte Kontrollfragen

  5. Grundsätze der Unternehmensbewertung
    5.1 Grundsätze der Unternehmensbewertung als Normensystem
    5.2 Grundsätze funktionsgemäßer Unternehmensbewertung
    5.3 Ausgewählte Kontrollfragen

Anhang
Literaturverzeichnis
Rechtsquellenverzeichnis
Verzeichnis der Rechtsprechung
Autoren des Lehrbuches
Schlagwortverzeichnis



Unternehmensbewertung

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