Nach der in den 1970er Jahren entwickelten funktionalen Theorie der Unternehmensbewertung bestimmen Bewertungsfunktion und -zweck die anzuwendende Methode. Hauptfunktionen sind Beratungsfunktion, Vermittlungsfunktion und Argumentationsfunktion.
Die inzwischen stärkere Kapitalmarktorientierung der Unternehmen hat für den Bewerter zu einem breiteren Aufgabenspektrum geführt. Es hat sich, neben der Bewertung für die wertbasierte / strategische Unternehmensführung und der Fair Value - Ermittlung im Reporting, um die relative Bewertung am Kapitalmarkt erweitert.
Multiplikatorverfahren zur relativen Bewertung am Kapitalmarkt haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ihr Grundprinzip, das auf dem "Law of one Price" beruht, ist allerdings alt. SCHMALENBACH hat bereits 1949 in seinem Werk "Beteiligungsfinanzierung" dieses Prinzip ausführlich als "Leistungseinheitswertmethode" beschrieben. Im Multiplikatorverfahren wird der Marktwert eines Unternehmens aus den Marktpreisen vergleichbarer Unternehmen gewonnen. Damit folgt es einer Systematik, die sich von den zahlungsstromorientierten Verfahren auf den ersten Blick grundsätzlich unterscheidet. Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch: Die Verwendung eines Multiplikators bedeutet nicht, dass jemand bereit ist, einen Preis für eine Gewinn- oder Umsatzgröße zu bezahlen. Der Multiplikator ist vielmehr eine Hilfsgröße für die Schätzung des Barwerts künftiger Einzahlungsüberschüsse.
Ein Multiplikator besteht aus einer Stromgröße (Gewinn, Cash Flow, Umsatz etc.) oder Bestandsgröße (z.B. Buchwert des Eigenkapitals) sowie einer Wertgröße (Börsenkurs, Transaktionspreis).
Für börsennotierte Unternehmen sind Multiplikatoren auf der Basis von Kurs - Gewinn - Verhältnissen oder von Enterprise Value (Bewertung des Gesamtkapitals) zu EBIT – Relationen sehr populär. Mit ihrer Hilfe werden beispielsweise Unternehmenswerte mit deren Marktkapitalisierungen verglichen, um Über- bzw. Unterbewertungen aufzudecken.
Multiplikatoren können grundsätzlich auf den Kapitalwertkalkül zurückgeführt werden. Vor allem für Ergebnismultiplikatoren ist der Zusammenhang zu den kapitalwertorientierten Bewertungsverfahren deutlich erkennbar. Unter vereinfachenden Annahmen, wie z.B. der Gültigkeit des Rentenmodells (d.h. zukünftig gleichbleibende Einnahmeüberschüsse bzw. Cash Flows) sowie der Übereinstimmung von Wert und Preis einer Unternehmung, entspricht die Multiplikation des zukünftigen Ergebnisses mit einem Ergebnismultiplikator formal der Multiplikation mit dem Kehrwert des Kalkulationszinsfusses. Wenn in einem derartigen Multiplikator die Kapitalkosten enthalten sind, welche die Risikoneigung des Investors berücksichtigen, würden die Bewertungsergebnisse durch Multiples und durch den Kapitalwertkalkül übereinstimmen.
Bei der Bewertung junger Unternehmen durch die Venture Capital - Methode wird zur Bestimmung des zukünftigen Unternehmenswertes (Future Value) aufgrund der einfachen Handhabung häufig auf Multiplikatoren zurückgegriffen, die aus Exit - Erlösen vergleichbarer Unternehmen bekannt sind. Exit - Erlöse werden dabei zu Unternehmenskennzahlen (z.B. EBIT oder Umsatzerlöse) in Beziehung gesetzt. Es werden aber nicht nur Finanzkennzahlen herangezogen, sondern auch operative Kennzahlen wie Kundenzahl, Anzahl von Softwarenutzern, durchschnittliche Lizenzerlöse etc. Die Anwendung operativer Multiplikatoren kommt besonders bei technologieorientierten jungen Unternehmen vor.
Zu beachten ist, dass mit Hilfe von Multiples kein intrinsischer (fundamentaler) Unternehmenswert, sondern der Marktwert des Unternehmens unter der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarktes bestimmt wird. Es wird als ihr Vorteil eingeschätzt, dass Multiplikatorverfahren im Gegensatz zu Zukunftserfolgswerten dazu in der Lage sind, Marktstimmungen abzubilden.
Auch für einen Finanzinvestor, der seine Rendite allein durch einen Exit (Börsengang oder trade sale) erzielen möchte, ist der Multiplikatoransatz von nicht unerheblicher Bedeutung. Er ist nicht am intrinsischen Unternehmenswert interessiert, sondern braucht einen Schätzer für den Marktwert.
Während bei börsennotierten Vergleichsunternehmen (Peer Group) unterstellt wird, dass durch den Kapitalmarkt eine "richtige" Bewertung vorgenommen wurde und der Aktienkurs multipliziert mit der Anzahl der ausgegebenen Aktien den Unternehmenswert widerspiegelt, sind insbesondere für KMU kaum Börsenkurse von Vergleichsunternehmen und selten Transaktionspreise öffentlich bekannt. Mangels einer KMU - spezifischen Datenbasis ist die Ermittlung von Vergleichswerten mit großen Schwierigkeiten behaftet. Multiplikatorbewertungen von KMU unterliegen umfangreichen subjektiven Schätzungen. Nur für wenige homogene Gruppen von KMU, wie z.B. Freiberuflerpraxen, gibt es einigermaßen aktive Märkte.
Generell ist die Auswahl geeigneter Vergleichsunternehmen problematisch. Selbst die Branchengleichheit der Vergleichsunternehmen garantiert noch keine gute Peer Group. Auch innerhalb einer Branche können beispielsweise die Risiko- und Margenstrukturen unterschiedlich sein. Letztendlich ist eine möglichst hohe Übereinstimmung hinsichtlich der relevanten Parameter anzustreben. Hat dieser Recherchevorgang keine passenden Referenzunternehmen hervorgebracht, ist von einer Anwendung des Multiplikatoransatzes abzusehen.
Ebenso problembehaftet ist die Auswahl des passenden Multiplikators. In einem ersten Schritt sollte man festlegen, ob ein Equity Value – oder ein Enterprise Value – Multiplikator angewendet wird. Erst im zweiten Schritt sollte über die Bezugsgröße entschieden werden. Bei annähernd gleicher Kapitalstruktur bietet sich ein Equity – Multiple (z.B. Price Earnings - Multiple) wegen seiner scheinbaren Einfachheit an. Bei unterschiedlichen Kapitalstrukturen sind eher die Enterprise Value – Multiples geeignet, da diese sowohl Eigen – als auch Fremdkapital eines Unternehmens bewerten.
Der Kapitalstruktureffekt muss eingehender betrachtet werden.
Bei der Anwendung eines Equity Value – Multiplikators (z.B. Kurs – Gewinn – Verhältnis) bleibt nämlich die Erkenntnis unberücksichtigt, dass der Verschuldungsgrad die Eigenkapitalkosten beeinflusst: hoch verschuldete Unternehmen haben höhere Eigenkapitalkosten als niedrig verschuldete Unternehmen. Da ein Kurs – Gewinn – Verhältnis als Kehrwert der Eigenkapitalkosten abzüglich einer nachhaltigen Wachstumsrate interpretiert werden kann, müssen „richtige“ Multiplikatoren mit steigendem Verschuldungsgrad abnehmen. Der Vergleich von Equity Value – Multiplikatoren bei Unternehmen mit unterschiedlichem Verschuldungsgrad führt somit zu falschen Ergebnissen.
Dieses Problem kann mit Hilfe von Enterprise Value (EV) – Multiplikatoren (z.B. EV / EBIT) scheinbar behoben werden, denn sie errechnen sich durch die Fiktion eines nicht-verschuldeten Unternehmens. Nach dem ersten Theorem von MODIGLIANI / MILLER ist die Kapitalstruktur eines Unternehmens für seinen Marktwert irrelevant. Dieses Theorem gilt nur unter sehr strengen Bedingungen: keine Steuern, keine Insolvenzkosten, keine asymmetrischen Informationen, vollkommener Kapitalmarkt. Obwohl diese Voraussetzungen in der Praxis nie zutreffen, lässt sich aus dem Theorem folgendes ableiten: Wenn die Kapitalstruktur für ein Unternehmen Bedeutung hat, dann weil mindestens eine der obigen Annahmen nicht gilt. Daraus folgt für die Anwendung von Enterprise Value – Multiplikatoren, dass insbesondere der Steuereffekt nicht unberücksichtigt bleiben darf. Bei dem Einbezug von Steuern zeigt sich aber, dass auch das EV / EBIT – Verhältnis nicht in der Lage ist, Unterschiede in der Kapitalstruktur zu kompensieren.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich eine Bewertung von Unternehmen mit unterschiedlicher Kapitalstruktur nicht auf eine vereinfachte Bewertung mithilfe von Multiplikatoren stützen kann.
Kleinere Unterschiede in den Kennzahlen zwischen dem zu bewertenden Unternehmen und der Gruppe der Vergleichsunternehmen können durch eine Justierung des Multiplikators berücksichtigt werden. Wird beispielsweise eine etwas höhere Wachstumsrate der Einnahmeüberschüsse für das zu bewertende Unternehmen erwartet, ist eine pauschale Anhebung des Multiplikators zu erwägen. Darüber hinaus sind Unterschiede in der Transaktionssituation zu beachten. Für die Vergleichsunternehmen liegen meistens Börsenkurse vor. Diese bilden sich gewöhnlich für marginale Anteilsübertragungen. Soll ein Marktwert für eine Mehrheitsposition bzw. für das gesamte Eigenkapital eines Unternehmens bestimmt werden, wird dies durch eine Kontrollprämie zu berücksichtigen sein, um die Realisierung von Synergieeffekten abzugelten. Ist das Bewertungsobjekt dagegen nicht börsennotiert und ist auch kein Börsengang vorgesehen, sind Illiquiditätsabschläge wegen der mangelnden Fungibilität der Unternehmensanteile angebracht.
Zudem sollte berücksichtigt werden, dass Rechnungslegungsvorschriften zwischen den Vergleichsunternehmen umso bedeutender werden, je tiefer die Bezugsgröße in der Gewinn- und Verlustrechnung angesiedelt ist. Während der Umsatz auch von größeren Bilanzierungsunterschieden überwiegend unbeeinflusst bleibt, hängt die Höhe des Jahresüberschusses von zahlreichen Ansatz- und Bewertungswahlrechten ab.
Der Vorteil der Multiplikator – Methode liegt möglicherweise in der Anwendbarkeit als vereinfachtes Bewertungsverfahren auch in den Fällen, in denen eine exakte Bewertung aufgrund eines unzureichenden Informationsstandes des Bewerters nur schwer möglich zu sein scheint. Im Gegensatz zu den zahlungsstrom- und zukunftsorientierten Bewertungskonzeptionen müssen keine expliziten Annahmen über den Kalkulationszinsfuss (einschließlich der Fragen nach Basiszins, Risikozuschlag, Kapitalstruktur und Inflation) sowie über die Cash Flow - Struktur (mit Überlegungen zu unternehmensindividuellen Erfolgsfaktoren und Marktentwicklungen) getroffen werden.
Dieser Vorteil besteht jedoch nur scheinbar, denn derartige Annahmen sind in den Multiplikatoren implizit enthalten und werden durch ihre Auswahl ebenso getroffen, nur eben nicht in expliziter Form. Eine richtige Anwendung der Multiplikator - Methode setzt die Identität aller Parameter bei Vergleichs- und Bewertungsobjekt voraus; dann ist die Bewertung allerdings trivial. Unterschiede in den Parametern erfordern die Anpassung der Multiplikatoren um die Unterschiede zwischen den Unternehmen; dadurch wird die Multiplikator - Methode ebenso komplex und fehlerintolerant wie die Zukunftserfolgs - Methoden. Ihr Vorteil der Einfachheit entfällt. Aufgrund dessen stehen Bewertungstheoretiker diesem Verfahren kritisch gegenüber.
Ein mit Hilfe von Multiples ermittelter Unternehmenswert verdeckt also die implizit gesetzten Prämissen und führt deshalb leicht zu Fehlbewertungen.
Der Zusammenhang zwischen Fehlbewertungen und der Multiplikatormethode erfordert jedoch eine differenziertere Betrachtung. Der Aktienkurs eines Unternehmens bestimmt sich an der Börse nach Angebot und Nachfrage und reflektiert die Erwartung der Marktteilnehmer bezüglich seiner Zukunftsaussichten. Derartige Erwartungen werden durch markt- und unternehmensspezifische Einflussfaktoren bestimmt. Wenn sich die Marktfaktoren verbessern, ist es schwer einzusehen, warum Unternehmen einer Peer – Group nicht gleichgerichtet – wenn auch möglicherweise in unterschiedlichem Maße – von dieser Entwicklung profitieren sollten. Bei einer ausschließlichen Veränderung unternehmensspezifischer Faktoren dürfte sich diese Entwicklung dagegen nicht einstellen. Zu Fehlbewertungen mit dem Multiplikatoransatz kommt es in diesem Fall also nur dann, wenn diese Veränderung unternehmensspezifischer Erfolgsfaktoren ohne weiteres auch für andere Unternehmen angenommen wird.
Schließlich sei darauf hingewiesen, dass in dominierten Entscheidungssituationen das Multiplikatorverfahren nicht angewendet werden kann. Bei dem Ausschluss eines Gesellschafters oder bei Erbauseinandersetzungen ist die Einhaltung allgemein anerkannter Bewertungsgrundsätze zur Ermittlung eines Unternehmenswertes zwingend, um sowohl die Nachvollziehbarkeit der Bewertungsannahmen und -ergebnisse als auch die Angemessenheit des Unternehmenswertes zu gewährleisten.
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