1898 ist das Geburtsjahr der deutschsprachigen akademischen Betriebswirtschaftslehre: im April wurden die Handels- Hochschulen Leipzig und Aachen gegründet. In dem selben Jahr kamen die Exportakademie des Kaiserlich – Königlichen Österreichischen Handelsmuseums in Wien sowie die Handels – Hochschule St. Gallen hinzu.
Erste Veröffentlichungen zu Fragen der Unternehmensbewertung gab es allerdings schon um das Jahr 1835 herum. Seinerzeit befasste man sich bereits systematisch mit der Schätzung des Wertes von Bergbauunternehmungen.
In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird seitdem darüber diskutiert, ob bzw. in welchem Maße der Unternehmenswert eine objektive oder eine subjektive Größe sei. Die Anhänger der subjektiven Wertlehre halten Bewertungsverfahren für angemessen, die investitionstheoretisch fundiert sind. Für sie sind Preis und subjektiver Wert eines Unternehmens stets verschieden. In den kapitalmarktorientierten Verfahren zur Unternehmensbewertung wird eine Übereinstimmung von Preis und Wert als Ergebnis von Arbitrageprozessen postuliert. Man meint, auf diese Weise zu einem objektiven Wert gelangen zu können.
Seit den ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema bis hinein in die 1950er Jahre herrschte in den deutschsprachigen akademischen Publikationen die Meinung vor, dass ein methodisch ermittelter Unternehmenswert eine objektive Größe sein müsse.
„Es kann nicht Aufgabe der Bewertungslehre sein, den Käufer zu beraten, wie er am besten sein Kapital anlegt. Ihre Aufgabe ist es, den objektiven Nutzen des Betriebes festzustellen, unabhängig von den verschiedenen Interessenlagen von Käufer und Verkäufer.
Die Betriebswirtschaftslehre muss also ihren Ausgangspunkt vom Standpunkt der Unternehmung aus nehmen.“
(Mellerowicz: Der Wert der Unternehmung als Ganzes, Essen 1952, S. 12 ff.)
In dieser so genannten Lehre vom Unternehmen an sich kam dem Substanzwert in der Unternehmensbewertung die unangefochtene Hauptrolle zu. Es ist hoch interessant, dass diese Denkschule keine Parallele im anglo – amerikanischen Raum hat.
Zu einer Korrektur dieses deutschen Sonderweges kam es als Günter Sieben, ein Schüler Hans Münstermanns, Anfang der 1960er Jahren seine Schrift „Der Substanzwert der Unternehmung“ vorlegte.
„Diejenigen Bewertungstheoretiker, die die Unternehmung allein nach ihren künftigen Erfolgen bewerten, haben den Beweis erbracht, daß nur auf diesem Wege der Gesamtwert einer Unternehmung exakt bestimmt werden kann. Dessenungeachtet mißt die Bewertungspraxis weiterhin dem Substanzwert eine hohe Bedeutung bei. Dieser Widerspruch läßt sich nur aus der Existenz irgendwelcher mystischer Vorstellungen von der Wichtigkeit des Substanzwertes für die Ermittlung des Wertes ganzer Unternehmen erklären. Die Hartnäckigkeit, mit der der Substanzwert noch immer vertreten wird, mag darin begründet sein, daß es in der betriebswirtschaftlichen Literatur bis heute an einer umfassenden und geschlossenen Untersuchung aller mit dieser Wertgröße verbundenen Fragen grundsätzlicher Art fehlt.“
(Sieben: Der Substanzwert der Unternehmung, Wiesbaden 1963, Vorwort.)
1922 muss sich Eugen Schmalenbach, akademischer Lehrer Hans Münstermanns, mit seiner Schrift „Finanzierungen“ wie ein einsamer Rufer in der Wüste vorgekommen sein. In diesem Werk hebt er die Abhängigkeit des Unternehmenswertes vom Zukunftserfolg sowie vom Nutzen des individuellen Unternehmers hervor. Schmalenbach legte damit die theoretischen Grundlagen für das bis heute gebräuchliche Ertragswertverfahren, das der subjektiven Wertlehre zuzurechnen ist.
Eine gewisse Synthese dieser konkurrierenden Bewertungskonzepte – allerdings unter der Prämisse der Subjektbezogenheit aller Bewertung – bot die in den 1970er Jahren entwickelte "funktionale Bewertungslehre“, die an der Universität Köln von Münstermann, Sieben, Busse von Colbe und Matschke entworfen wurde. Dieser Lehre liegt der Gedanke zugrunde, dass der Bewerter bei der Wahl einer Methode den Anlass der Bewertung, seine eigene Funktion dabei sowie den Bewertungs-Zweck berücksichtigen muss.
Der seit Jahrzehnten überwunden geglaubte „Objektivismus“ kehrte in den 1980er Jahren als kapitalmarktorientierte Unternehmensbewertung wieder und ist bis heute das insbesondere unter Analysten, Venture Capital – Investoren und Investmentbankern gebräuchlichste Bewertungsverfahren. Die Discounted Cash Flow – Methode (DCF) basiert auf der Idee (böse Zungen sprechen von Ideologie) des neoklassischen Gleichgewichtspreises. Danach stimmt aufgrund angenommener Arbitrageprozesse der Wert eines Unternehmens mit seinem Preis überein. Wie sehr man damit falsch liegen kann, offenbart die globale Kreditkrise, deren Auswirkungen wir gegenwärtig spüren. Der Praktiker Tom Copeland (Mc Kinsey) hat die DCF – Methode populär gemacht, eine umfassende theoretische Untersuchung verdanken wir Aswath Damodaran.
Die Preisblasen, die 2008 am amerikanischen Immobilienmarkt und wenige Jahre vorher weltweit beim Crash der New Economy an den internationalen Aktienmärkten platzten, wurden mit dieser Methode der „objektiven Marktpreis“ – Ermittlung nicht erkannt. Möglicherweise hat diese so schön standardisierte und mit der „Macht des Marketings“ international verbreitete DCF – Methode sogar dazu beigetragen, Preisblasen gegenüber den Anlegern zu legitimieren. Was haben wir daraus gelernt?
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