Mittwoch, 29. Juli 2009

Unternehmensbewertung und ihre Plausibilität


Am 20. Juli hat Herr Dr. Klaus Jennewein in seinem Blog einen höchst interessanten Praxisfall ausführlich geschildert. In diesem Fall geht es um die gutachterliche Bewertung eines 2007 gegründeten Einzelunternehmens der Fertighausbranche, das mit Wirkung zum 30.09.2008 im Wege der Sachgründung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingebracht wurde. Das Gutachten war anlässlich dieser Sachgründung zu erstellen. Adressat des Gutachtens ist das Firmenbuchgericht, das Zweifel daran hat, dass der gutachterlich ermittelte Unternehmenswert einem Drittvergleich standhält:

Im Firmenbuch des Landesgerichtes Innsbruck ist zu FN *** die „L** Fertighaus Projektmanagement Gesellschaft m.b.H.“ mit dem Sitz in Z** und einem zur Hälfte geleisteten Stammkapital von € 35.000 eingetragen. Alleiniger Gesellschafter und einziger Geschäftsführer ist Robert L**.

Mit Einbringungsvertrag vom 25.06.2009 brachte Robert L** sein im Jahre 2007 (!) gegründetes nicht protokolliertes Einzelunternehmen mit der Geschäftsbezeichnung „Robert L**, Z**“ als Sacheinlage auf Grundlage der Einbringungsbilanz zum 30.09.2008 samt allen Aktiven und Passiven sowie mit allen Nutzungen und Lasten einschließlich der immateriellen Vermögensgegenstände, des Kundenstockes, der technischen Anlagen und Maschinen, der gesamten Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie der Vorräte, Forderungen und sonstigen Vermögensgegenstände in die Gesellschaft ein. Als Einbringungsstichtag im Sinn des § 13 Abs 1 UmgrStG wurde der 30.09.2008 vereinbart. Grundlage der Einbringung ist die Einbringungsbilanz zum 30.09.2008, in der das eingebrachte Vermögen steuerlich zu Buchwerten mit dem Wert angesetzt ist, der sich nach den steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung ergibt, wobei festgehalten wird, dass die unternehmensrechtlichen Werte von den steuerlichen Werten nicht abweichen. Demgemäß werden in der Einbringungsbilanz den steuerlichen Werten die Verkehrswerte gegenübergestellt.

Die Einbringungsbilanz (zu Verkehrswerten) hat folgendes Aussehen:

Anlagevermögen
Firmenwert ................................................ 1.500.000,00
Sachanlagen ................................................... 1.625,00
Umlaufvermögen
Vorräte (nicht abrechenbare Leistungen) .............. 16.253,78
Sonstige Forderungen .......................................... 6.511,31
Kassenbestand .............................................. 1.028,46
Summe Aktiva .............................................. 1.525.418,55


Einbringungskapital
Kapitalrücklage ............................................. 799.707,10
Verbindlichkeiten
Verbindl. aus Lieferungen und Leistungen ................ 3.529,76
Vermögensveränderungen gem. UmgrStG
Bare Entnahmen gem § 16 Abs 5 Z 1 ....................... 55.481,69
Unbare Entnahmen gem § 16 Abs 5 Z 2 ................666.700,00
Summe Passiva ....................................... 1.525.418,55

In Punkt II. des Einbringungsvertrages wird folgendes geregelt:

Im Hinblick auf die Bargründung der L** Fertighaus Projektmanagement Gesellschaft m.b.H. am 18.11.2008 verpflichtet sich Herr Robert L** gegenüber der L** Fertighaus Projektmanagement Gesellschaft m.b.H. seine Forderung gegen die Gesellschaft aus der vorbehaltenen Entnahme innerhalb von zwei Jahren ab dem Tag der beiderseitigen Unterfertigung dieses Einbringungsvertrages nicht geltend zu machen. Hiezu stellen die Vertragsteile fest, dass die Gesellschaft aufgrund ihrer voraussichtlichen Geschäftsentwicklung in der Lage sein wird, diese Verbindlichkeit gegenüber dem Einbringenden zu tilgen, ohne hiefür das eingezahlte Stammkapital angreifen bzw. verwenden zu müssen.

Die Gewährung von Anteilen an der Gesellschaft unterbleibt gemäß § 19 Abs 2 Z 5 UmgrStG, weil der Einbringende Alleingesellschafter der übernehmenden Körperschaft ist und damit die Beteiligungsverhältnisse am eingebrachten Unternehmen dem der aufnehmenden Gesellschaft entsprechen.

Dem Firmenbuchgericht wurde ein Gutachten einer Steuerberatungsgesellschaft zum Unternehmenswert des eingebrachten Einzelunternehmens vorgelegt. Diese legte der Unternehmensbewertung die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung des Jahres 2007, die Eröffnungsbilanz zum 1.1.2008, den vorläufigen Jahresabschluss zum 31.12.2008 und die laufende Buchhaltung des Jahres 2009 zu Grunde. Zudem wurde eine von Robert L** erstellte wirtschaftliche Einschätzung der Zukunftschancen der Gesellschaft in die Bewertung einbezogen.
Gegenstand des Einzelunternehmens ist die Entwicklung und Konzeption von Fertighäusern, die Vermittlung von Baumeisterleistungen und Leistungen im Baunebengewerbe sowie die Vermittlung und der An- und Verkauf von Fertighäusern.

Nach Darstellung der verschiedenen Bewertungsverfahren wird in diesem Gutachten ausgeführt, dass man sich zur Ermittlung des Unternehmenswertes auf das Ertragswertverfahren stütze.
Dafür wurden die Plandaten des Einzelunternehmers herangezogen, ausgabenseitig die durchschnittlichen Vergangenheitsdaten angesetzt und ein kalkulatorischer Unternehmerlohn von monatlich € 5.000 14mal jährlich berücksichtigt. Die Mehrbelastung für Ertragssteuern gegenüber endbesteuerten Anleiheerträgen fand ebenfalls Eingang in die Planungsrechnung.
Dem Faktor der Planungsunsicherheit wurden in der Erfolgsprognose ab dem dritten Jahr durch Abschläge in Höhe von 30 % und ab dem fünften Jahr in Höhe von 50 % Rechnung getragen.

Daraus errechnete sich ein nachhaltiger, jährlicher zukünftiger Ertrag in Höhe von € 110.790 für die Jahre 2009 - 2011, in Höhe von € 78.000 für die Jahre 2012 - 2013 sowie ab 2014 ein zukünftiger Ertrag in Höhe von € 55.000.

Zur Rechtfertigung der Berechnung auf Basis einer ewigen Rente führte das Gutachten aus, dass es sich beim Bewertungsobjekt um ein in Tirol führendes Unternehmen im Bereich Fertigteil-Projekt-Management handle und die Vorschau für die Jahre 2009 und 2010 deutlich steigende Umsätze erkennen ließen. Neben den ausgezeichneten Fachkenntnissen und dem persönlichen Einsatz des Unternehmers werde der wirtschaftliche Erfolg von einer steigenden Nachfrage im Tiroler Wohnungsmarkt mitgetragen. Die Preise für Eigentumswohnungen würden bereits derzeit deutlich über den Preisen eines schlüsselfertigen Fertigteilhauses liegen, für die Unternehmensnachfolge sei vorgesorgt.

Der Kapitalisierungszinssatz wurde wie folgt abgeleitet:

Als Basiszins werde die „Effektivrendite Staatsanleihe, Laufzeit 10 – 30 Jahre“ von 3,48% herangezogen.
Da das Einzelunternehmen hinsichtlich der Grundstücke, der Baumeisterarbeiten und der Fertigteilhäuser vermittelnd tätig sei, trage dieses nahezu kein Infektionsrisiko. Aus Vorsichtsgründen werde davon ausgegangen, dass das Unternehmen maximal 25% der Geldentwertung selbst tragen müsse, weshalb ausgehend von der Inflationsrate von 3,20% (Jahresinflation 2008) ein Abschlag in Höhe von 2,40% berücksichtigt werde (ergibt 1,08%).
Das allgemeine Unternehmerwagnis sei mit einem Zuschlag zum Kapitalmarktzinssatz zu erfassen, dieser orientiere sich an dem in der Praxis häufig angesetzten Zuschlag von 50%, in concreto führe dies zu einem Zuschlag von 0,54% (also 50% des Ausgangszinses von 1,08%).

Da der überdurchschnittliche wirtschaftliche Erfolg des Einzelunternehmens zu einem sehr großen Teil auf die ausgezeichneten Fachkenntnisse und den persönlichen Einsatz des Unternehmenseigners zurückzuführen sei, werde dem Risiko allfälliger Ertragseinbußen durch einen Wechsel in der Person des Unternehmensinhabers durch einen Zuschlag auf den Zinssatz in Höhe von 75%, das sind 1,22%, Rechnung getragen.
Die geringere Mobilität des Unternehmens werde durch einen Mobilitätszuschlag von 50%, das sind 1,42%, berücksichtigt.

Die Ableitung des Zinssatzes schaut daher folgendermaßen aus:

Effektivrendite Staatsanleihe (10 - 30 Jahre) 3,48%
Inflationsbereinigung (Inflation 2008 3,20%) (75%) - 2,40%
ergibt als erstes Zwischenergebnis 1,08%
Zuschläge
allgemeines Unternehmerwagnis (50%) 0,54%
Abhängigkeit vom Einzelunternehmer (75%) 1,22%
Mobilitätszuschlag (50%) 1,42%

Kapitalisierungszinssatz 4,25%
Kapitalisierungszinssatz gerundet 4,27%

Die Planrechnung des Einzelunternehmers für die Jahre 2009 - 2011 hat folgendes Bild:

Betriebsleistung € 300.000
Aufwendungen - € 103.500
unversteuertes Ergebnis € 146.500
Unternehmerlohn - € 60.000
Mehrbelastung für Ertragssteuern - € 25.710
Unternehmensgewinn € 110.790

Die Planrechnung 2012 - 2013 geht von denselben Ansätzen aus, für Planungsunsicherheiten wird ein 30%-Abschlag vorgenommen, die Planrechnung ab 2014 berücksichtigt diesbezüglich wiederum ausgehend von denselben Ansätzen einen Abschlag von 50%. Daraus errechnen sich die bereits dargestellten jährlichen Gewinnzahlen von € 78.000 bzw. € 55.000.

Unter Berücksichtigung des Zinssatzes von 4,27 % und dem Ansatz einer ewigen Rente ab 2014 - die sich bei der Wertermittlung mit € 1.044.315,41 (!) niederschlägt - ergibt sich ein Unternehmenswert von gerundet € 1.500.000.

Diese Argumentation veranlasst mich zu folgenden Überlegungen:

Ungeachtet der umgründungssteuerlichen Zulässigkeit ist die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit von Einbringungsvorgängen gesondert zu prüfen und zu beurteilen (OGH 6 Ob 4/01h, 5/01f). Dabei ist entscheidend, dass es zu einer Bewertung der von jedem Beteiligten erbrachten Leistung und zu einer die Relation der Wertverhältnisse wahrenden Festsetzung der Anteilsverhältnisse kommt, um nicht gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr zu verstoßen.
Bei der Beteiligung Fremder bewirkt schon das der Marktwirtschaft inhärente Streben nach Wahrung der eigenen Vermögensinteressen, dass jeder Vertragsteil auf seinen eigenen Vorteil achtet und bei Festsetzung der Anteilsverhältnisse seine Interessen wahrt, damit er kein „schlechtes Geschäft“ macht. Dieser Interessengegensatz bewirkt eine Richtigkeitsgewähr; dieser Gegensatz fehlt, wenn an der Einbringung einander nahe stehende Personen beteiligt sind. Der Einbringungsvorgang kann dann unter dem Aspekt des Verbots der Einlagenrückgewähr bedenklich sein, wenn dadurch nahestehende Personen oder Unternehmen begünstigt werden, indem das Beteiligungsverhältnis unter Verstoß gegen die im Drittvergleich gebotenen üblichen Bedingungen geschlossen wird, insbesondere bei Äquivalenzverletzungen. Die materielle Prüfungspflicht des Firmenbuchgerichtes bei solchen Einbringungsvorgängen ist vor allem dann gefordert, wenn der Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft sein bisheriges Einzelunternehmen unter Ansatz einer Verrechnungsverbindlichkeit nach § 16 Abs 5 UmgrStG in „seine“ Kapitalgesellschaft einbringt.

Nach § 16 Abs 5 Z 2 UmgrStG kann die in Z 1 genannte Passivpost den Gesamtbetrag der getätigten Entnahmen übersteigen; für den die tatsächlichen Entnahmen übersteigenden Betrag enthält das Gesetz eine Entnahmefiktion, wobei diese Passivpost insgesamt 50% des Verkehrswertes des Vermögens am Einbringungsstichtag nicht übersteigen darf. Es liegt keine „unbare Entnahme“ im eigentlichen Sinn vor, vielmehr wird nur die Einstellung einer Verbindlichkeit gegen den Einbringenden in der Einbringungsbilanz gestattet, wodurch naturgemäß das Einbringungskapital vermindert wird. Die Einstellung einer derartigen Verbindlichkeit bewirkt also eine zusätzliche Verschuldung des auf die übernehmende Körperschaft übertragenen Vermögens und führt zu einer Veränderung der Kapitalstruktur zugunsten eines höheren Fremdkapitalanteils. Die übernehmende Körperschaft übernimmt also nicht nur den Betrieb, sondern muss auch eine Verbindlichkeit an den Einbringenden bedienen. Entscheidend ist daher, dass der Kapitalgesellschaft tatsächlich werthaltiges Vermögen zugeführt wird und die Kapitalgesellschaft nicht etwa einen Schuldenüberhang, der sich also insbesondere auch durch Ansatz einer Entnahmeverbindlichkeit zugunsten des einbringenden Alleingesellschafters ergeben kann, übertragen bekommt. Der Verkehrswert des Unternehmens ist unter Anwendung der in der modernen Unternehmensbewertungslehre entwickelten Methoden und Grundsätze zu bestimmen. Der Buchwert des eingebrachten Vermögens ist daher ohne Belang. Für den Verkehrswert sind nicht nur die bilanzmäßig darstellbaren Aktiva maßgebend, sondern auch nicht bilanzierungsfähige immaterielle Werte. Der Verkehrswert umfasst daher sowohl die stillen Reserven als auch einen Firmenwert bzw. einen Geschäftswert.

Zur Ermittlung dieser Werte kommen grundsätzlich nur Gesamtbewertungsverfahren in Frage; diese gehen davon aus, dass sich der Unternehmenswert aus der künftigen Ertragskraft ableitet. Ein solcher Wert ist nach einhelliger Auffassung durch Diskontierung der zukünftigen, aus dem Unternehmen zu erwartenden Vorteilsströme (Unternehmenserträge) zu bestimmen. Dieser konzeptionellen Anforderung werden die Ertragswertverfahren und die DCF-Verfahren gerecht.

Die Bewertung von Unternehmen stößt in der Praxis auf vielfache Schwierigkeiten, die vor allem darin begründet sind, dass es bei der Unternehmensbewertung vor allem auf Prognosen über künftige Ereignisse, Entwicklungen und Risiken ankommt. Die Schwierigkeit der Bestimmung des bei der Ertragsbewertung zugrundeliegenden Zukunftserfolges eines Unternehmens erkennt auch der OGH (SZ 53/172), wobei die diesbezügliche Festsetzung dieser Zukunftserfolge als das Höchstgericht bindende Tatsachenfeststellung beurteilt wird. Die Wahl der Bewertungsmethode wird dem Tatsachenbereich zugeordnet, die nur dann überprüfbar ist, wenn sie auf Schlussfolgerungen beruht, die mit den Gesetzen der Logik oder der Erfahrung unvereinbar sind.
Da die Sachverständigen aufgrund unzureichendem spezifischen Expertenwissen der Judikatur zur Lösung maßgebender, strittiger Tatfragen herangezogen werden, und die Auswahl der anzuwendenden Methode zum Kern der Sachverständigentätigkeit zu zählen ist, würde eine Vorschreibung der Bewertungsmethode die Fruchtbarmachung spezifischen Expertenwissens verhindern (OGH 1 Ob 123/05b; OGH 1 Ob 141/04y).

An der grundsätzlichen Zulässigkeit des Ertragswertverfahrens besteht also kein Zweifel, zumal in der Betriebswirtschaftslehre Einigkeit darüber besteht, dass der Ertragswert bei der Bewertung lebender Unternehmen eine mehr oder weniger wichtige, wenn nicht überhaupt die entscheidende Rolle spielt, weil sich Käufer und Verkäufer mit ihren Preisvorstellungen wesentlich an dem zu erwartenden Nutzen zu orientieren pflegen (OGH 5 Ob 649/80).

Deshalb ist unbestritten, dass der Unternehmenswert grundsätzlich anhand der Kapitalisierung der zukünftigen Nettozuflüsse unter Anwendung eines dem Bewertungsverfahren adäquaten Kapitalisierungszinssatzes zu ermitteln ist (KFS BW1 2006, Rz 59; VwGH 6.7.2006, 2006/15/0186).
Der Wert eines Unternehmens entspricht demnach dem Barwert der finanziellen Überschüsse, da meistens von einer unbegrenzten Lebensdauer auszugehen ist. Bei begrenzter Lebensdauer berechnet sich der Wert des Unternehmens aus der Summe der Barwerte der künftigen Nettozuflüsse bis zur Beendigung des Unternehmens plus dem Barwert der Nettozuflüsse aus der Unternehmensaufgabe (KFS BW1 2006, Rz 10). Der VwGH hat allerdings - bezogen auf eine Teilwertabschreibung - festgehalten, „die Ermittlung eines Unternehmenswertes als Barwert einer ewigen Rente sei unbrauchbar, weil es kein Unternehmen gebe, bei dem man von einem derart hohen Unternehmenswert ausgehen könne, der sich allein aufgrund der Existenz einer ewigen Dividendenzahlung an den Gesellschafter ergebe“ (VwGH 13.9.2006, 2002/13/0129).

Der Ermittlung des Kapitalisierungszinses kommt im Rahmen der zukunftserfolgsorientierten Unternehmensbewertung eine zentrale Bedeutung zu. Der Unternehmenswert wird durch Diskontierung der künftig entziehbaren finanziellen Überschüsse auf den Bewertungsstichtag ermittelt. Die Höhe des Kapitalisierungszinses wirkt sich somit direkt auf die Höhe des Unternehmenswertes aus. Der Zinssatz ist für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände originär zu ermitteln. Aufgrund der drastischen Auswirkungen auch nur geringer prozentualer Abweichungen ist auf eine besonders genau begründete Behandlung der Zu- und Abschläge zum Kapitalisierungszinssatz großer Wert zu legen (OGH 1 Ob 4/93).

Grundlage für die Ermittlung des Zinssatzes ist ein laufzeitäquivalenter Basiszinssatz einer Alternativanlage, der in Form von festverzinslichen Wertpapieren angenommen werden kann. Gegen die Heranziehung der Rendite österreichischer Staatsanleihen mit langer Laufzeit bestehen daher grundsätzlich keine Bedenken. Dies entspricht auch der Praxis in Deutschland, wo in der Regel die Renditen lang laufender Bundeswertpapiere (Bundesanleihen) bei der Ermittlung des Basiszinssatzes herangezogen werden. In Deutschland wird aber darauf aufmerksam gemacht, dass es vor dem Hintergrund des anhaltend niedrigen Zinsniveaus im Rahmen der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte sachgerecht wäre, einen einheitlichen Basiszinssatz für den gesamten Planungszeitraum von 5,5 % p.a. zugrunde zu legen, sofern nicht Besonderheiten im Einzelfall entgegenstehen (Protokoll zur 75. Sitzung des AKU, FN-IDW 2003, S. 26; Goehr/Kupke, Der Kapitalisierungszins im Rahmen der Unternehmensbewertung in Betriebswirtschaftliche Mandantenbetreuung 10/2003).

Allgemein anerkannt ist die Zulässigkeit eines Inflationsabschlages, weil davon ausgegangen werden kann, dass ein Unternehmen der Geldentwertung durch Überwälzung gestiegener Kosten auf die Abnehmer mittels Preiserhöhungen entgegenwirken kann. Zu berücksichtigen ist auch ein Steuerabschlag, da die Zukunftserträge des Unternehmens und der Alternativanlage hinsichtlich der Ertragsteuerwirkungen äquivalent sein müssen.

Risikozuschläge sollen das Unternehmerrisiko, das aufgrund der Investition in ein Unternehmen im Gegensatz zu einer Geldanlage in öffentlichen Anleihen begründet ist, abdecken. Aus der für die Marktteilnehmer unterstellten Risikoaversion folgt, dass diese zur Übernahme von unternehmerischen Unsicherheiten durchaus bereit sind, wenn sie im Gegenzug eine über der sicheren Anlage liegende Rendite erwarten können. Die Anleger lassen sich die Übernahme von Risiken in Form einer Risikoprämie auf den Basiszins abgelten (Goehr/Kupke, aaO).
Risiko wird als die Abweichung (Varianz) der tatsächlichen Erträge von den erwarteten Erträgen verstanden; d.h. eine Investition ist risikolos, wenn die tatsächlichen Erträge den erwarteten Erträgen entsprechen. Abweichungen können unternehmensspezifische Ursachen haben und/oder auf Entwicklungen des Gesamtmarktes beruhen. Das zuletzt genannte „systematische Risiko“ kann durch Diversifikation nicht ausgeschaltet werden. Investoren verlangen daher eine Prämie, wenn sie anstatt risikoloser Alternativen das Marktportfolio kaufen (Marktrisikoprämie). Diese Marktrisikoprämie kann basierend auf historischen Daten berechnet oder für die Zukunft prognostiziert werden. Das Investmenthaus Barclays hat etwa für Europa eine Marktrisikoprämie von 5% ermittelt (Lang, Ist Eigenkapital gratis?, SWK 2004, W 147).

Die sorgfältige Ermittlung des Kapitalisierungszinses ist eine notwendige Voraussetzung für die Berechnung plausibler Unternehmenswerte. Grundvoraussetzung bei der Bestimmung von objektivierten Unternehmenswerten ist daher die nachvollziehbare und plausible Ableitung des Kapitalisierungszinses bzw. dessen einzelner Komponenten (Goehr/Kupke, aaO).

Wegen der Zukunftsorientierung und des Prognosecharakters der Unternehmensbewertung ergeben sich zwar erhebliche Bewertungsspielräume, sodass ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr erst dann vorliegt, wenn die Bewertung außerhalb der durch vernünftiges kaufmännisches Ermessen und Beurteilung gezogenen Bandbreite zulässiger und möglicher Unternehmenswerte liegt (vgl. ausführlich Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung, 227). Der hier ermittelte Unternehmenswert liegt aber außerhalb der durch vernünftiges unternehmerisches Ermessen und Beurteilung gezogenen Bandbreite der zulässigen und möglichen Unternehmenswerte.

Die vorliegende Unternehmensbewertung hat nämlich bei der Ableitung des Kalkulationszinssatzes von 4,27% die Risikozuschläge völlig inadäquat angesetzt. Der ermittelte Zinssatz wird dem Gesamtrisiko dieses Unternehmens in keiner Weise gerecht. Dies zeigen –aufbauend auf die oben dargestellten Rahmenbedingungen - allein schon folgende Überlegungen:

1)
Das Bewertungsgutachten legt im vorliegenden Fall dem Inflationsabschlag die Inflationsrate des Jahres 2008 in Höhe von 3,2% zu Grunde; allein durch die Heranziehung der durchschnittlichen Inflationsrate der letzten Jahre von 2% würde sich unter Aufrechterhaltung der sonstigen Prämissen des Gutachtens ein Kapitalisierungszinssatz von 7,80% ergeben.
2)
Die Heranziehung des in Deutschland diskutierten Basiszinses von 5,5% würde – ebenfalls wieder unter Aufrechterhaltung der sonstigen Prämissen des Gutachtens - einen Kapitalisierungszinssatz von 21,66% ergeben.
3)
Ich wage die These aufzustellen, dass es allen Standards der einschlägigen Bewertungsmethoden widerspricht, die Risikozuschläge in Form eines Prozentsatzes zum festgelegten Ausgangszinssatz (Basiszins) zu berechnen und nicht absolut als nominelle Zuschläge mit dem anzusetzenden Zuschlagsfaktor. Dies hätte bei Zugrundelegung des Ausgangszinssatzes von 1,08% und eines (ohnehin vorsichtigen) Ansatzes von 5% für das Unternehmerwagnis, 3% für die Personenabhängigkeit des Unternehmens und 2% für die (Im)Mobilität einen Kapitalisierungszins von 11,08% zur Folge.
4)
Ein Unternehmenswert von € 1.500.000 für ein Einzelunternehmen, dessen Assets praktisch nur aus dem Fachwissen, dem Netzwerk und dem persönlichen Einsatz des Unternehmers bestehen, hält einem Drittvergleich nicht stand. Kein außen stehender Dritter wäre nämlich bereit, für ein solches Unternehmen zuzüglich zur Übernahme der Entnahmeverbindlichkeit einen Kaufpreis von knapp € 800.000 (dieser Betrag entspricht dem ausgewiesenen Einbringungskapital und damit dem Buchwert) zu bezahlen. Dieser Ansatz ist trotz der engen Verzahnung des Unternehmens mit der Person und dem Fachwissen des konkreten Gesellschafters zulässig.

Ich gestehe zu, dass ich mich mit diesen Überlegungen sehr weit in „fremdes Territorium“ (vgl. OGH 1 Ob 123/05b; OGH 1 Ob 141/04y: „unzureichendes spezifisches Expertenwissen der Judikatur“) vorwage. Umso mehr bin ich an allfälligen fachkundigen Reaktionen auf diesen Beitrag interessiert.


In den nächsten Tagen folge ich gerne der Einladung des Herrn Dr. Jennewein, seinen Beitrag zu kommentieren.



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