Donnerstag, 23. Juli 2009

Objektive Unternehmensbewertung


Bis in die 1960er Jahre war die objektive Unternehmensbewertung in Theorie und Praxis dominierend. In dieser Konzeption kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass ein Wert als objektiv angesehen werden kann, wenn seine Ermittlung im Gegensatz zur Wertschätzung eines Individuums auf der Wertschätzung einer Personenvielfalt beruht.


Die Bestimmung des Unternehmenswertes sollte entindividualisiert werden. Bei dieser Interpretation besteht das Ziel der Bewertung in der Ermittlung eines Wertes, der für jedermann gleichermaßen Gültigkeit besitzt. Irgendwelche Erfolgseinflüsse aus persönlichen Bindungen des Unternehmenseigners zu anderen Unternehmen sollten unberücksichtigt bleiben. Nach diesem Verständnis haftet der zu ermittelnde objektive Wert dem Unternehmen "wie eine Eigenschaft" an. Er wird als ein Wert angesehen, der im Unternehmen selbst begründet und nicht von außerhalb der Unternehmung liegenden Faktoren abhängig ist. Der objektive Wert eines Unternehmens sollte den Interessen des Verkäufers und des Erwerbers der Unternehmung gleichermaßen gerecht werden, so dass er beiden Verhandlungsparteien ungeachtet ihrer unterschiedlichen subjektiven Erwartungen tragbar erscheinen konnte. Diese Objektbezogenheit der Ermittlung des Unternehmenswertes hatte eine starke Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung sowie eine Vielzahl von widersprüchlichen Meinungen hinsichtlich der Lösung von Einzelproblemen zur Folge und erwies sich allgemein als Hemmschuh für die Entwicklung einer in sich geschlossenen Bewertungstheorie.


Im Rahmen der objektiven Unternehmensbewertung erfolgten Bewertungen in der Regel dadurch, dass ein Substanzwert (Einzelbewertungsverfahren) bestimmt wurde oder Substanz- und Ertragswert verknüpft wurden.


Bei dem in der damaligen Praxis häufig angewandten und darum auch Praktikermethode genannten Mittelwertverfahren wurde der Gesamtwert der Unternehmung aus dem arithmetischen Mittel von Substanzwert und Ertragswert ermittelt. Das Verfahren der Geschäftswertabschreibung bestand in laufenden bzw. befristeten Abschreibungen des zwischen Substanzwert und Ertragswert gebildeten Differenzbetrages (Goodwill). Bei ertragsschwachen Unternehmungen stand das Verfahren Schnettler zur Diskussion. Unrentable Unternehmen haben meistens einen Ertragswert, der deutlich unter dem Substanzwert liegt. Schnettler ging von der Überlegung aus, dass ein Käufer nicht das Unternehmen im Ganzen erwirbt sondern durch Kauf der einzelnen Aktiva (Asset Deal). Die Summe der Preise dieser Aktiva sollte so weit unter dem Substanzwert des Unternehmens liegen, dass durch die auf diese Weise ersparten Abschreibungen die Rentabilität wieder hergestellt werden würde. Bei der Methode der Übergewinnkapitalisierung wurde der Teil des Ertragswertes, der eine „normale“ Verzinsung des Substanzwertes überstieg, kapitalisiert. Diese Übergewinne wurden zu einem höheren Zinsfuß als dem „normalen“ kapitalisiert. Dadurch wollte man der „besonderen Gefährdung“ des Übergewinns Rechnung tragen. Die Methode der Übergewinnabgeltung oder Übergewinnverrentung diskontierte den Barwert der Übergewinne auf den Bewertungsstichtag.


Der Vollständigkeit halber seien noch Varianten dieser zuletzt genannten Methode aufgeführt: Ein vereinfachtes Verfahren der befristeten Übergewinnabschreibung war die Jahrkaufmethode. Eine andere Übergewinnverrentungsmethode war diejenige von Leake, die von der Überlegung ausging, dass sich ein erworbener Goodwill nicht sofort in seinem Wert mindert, sondern erst allmählich.


Schließlich ist noch als ein weiteres Übergewinnabgeltungsverfahren das Stuttgarter Verfahren zu nennen, das im deutschen Steuerrecht zunächst zur Bewertung nicht börsennotierter Anteile angewendet worden ist. Dabei wurde der für die Bewertung der steuerbaren Anteilswerte maßgebliche Gesamtwert der Unternehmung dem Substanzwert zuzüglich des Dreifachen der Differenz zwischen einer Normalverzinsung des gesuchten Unternehmungswertes und dem Ertragswert (modifizierter Übergewinn) gleichgesetzt. Der Übergewinn wurde also nicht auf Grund der Normalverzinsung des Substanzwertes, sondern – was unrichtig ist – des gesuchten Unternehmungswertes berechnet und dieser Übergewinn willkürlich dreifach gewichtet.


Die Gründe, weshalb die objektive Unternehmensbewertung – völlig unbeeindruckt vom Erkenntnisfortschritt der Bewertungstheorie - in der Praxis über Jahrzehnte hinweg verfolgt wurde, sind wohl unter anderem darin zu suchen, dass der Begriff des Objektiven im Sprachgebrauch mit Wissenschaftlichkeit, Redlichkeit, Bestimmtheit, Nachprüfbarkeit und Allgemeingültigkeit in Verbindung gebracht wird. Die Ermittlung des objektiven, substanzorientierten, Wertes liefert jedoch insbesondere aufgrund der Abstraktion vom Bewertungssubjekt und von der jeweiligen Aufgabenstellung keine hinreichende Entscheidungshilfe.


Die Orientierung der "Objektivisten" am Substanzwert der Unternehmung ging tendenziell zu Lasten des Verkäufers. Ihm wurde das Risiko einer Fehlbeurteilung aufgebürdet; etwa durch Zuschläge zum Kapitalisierungszinsfuss oder durch Berücksichtigung des im Vergleich zum Ertragswert niedrigeren, durch Einzelbewertung der Vermögens- und Schuldteile errechneten Substanzwertes. Die objektive Unternehmensbewertung tendierte zur "vorsichtigen" Wertermittlung - und diese "Vorsicht" begünstigte den Käufer.


Es entstand eine Vielfalt von Bewertungsmethoden, um dem Anspruch der objektiven Unternehmensbewertung konkret einzulösen. Dieser Meinungsstreit über Einzelprobleme verhinderte die Entwicklung einer konsistenten Bewertungstheorie und führte letztendlich auch in der Bewertungspraxis zum Scheitern der objektiven Unternehmensbewertung.


Theorie und Praxis haben den Anspruch aufgegeben, einen objektiven Unternehmenswert ermitteln zu wollen. Inzwischen werden, weniger ehrgeizig, Verfahren zur Berechnung objektivierter Unternehmenswerte angewendet.


Man geht zwar auch in diesem Sinne nach wie vor davon aus, bei der Ermittlung des Unternehmenswertes die dem Unternehmen innewohnende und übertragbare Ertragskraft zu bewerten. Die Objektivierung geschieht jedoch auf der einheitlichen Basis, dass es unter der Bedingung eines vollkommenen Kapitalmarktes für Unternehmen einen arbitragefreien Gleichgewichtspreis gibt, an den sich der Wert des Unternehmens angleicht.


Außerdem werden die in den Kapitalwertkalkül eingehenden Cash Flows um subjektive Faktoren bereinigt. So sind zum Beispiel bei stark personenbezogenen Unternehmen die darin liegenden positiven oder negativen Erfolgsbeiträge zu eliminieren. Zu den zu eliminierenden Faktoren gehören auch Einflüsse aus einem Unternehmensverbund oder aus sonstigen Beziehungen personeller oder familiärer Art zwischen dem Management des zu bewertenden Unternehmens und dritten Unternehmen, die im Rahmen eines Eigentümerwechsels nicht mit übergehen würden.


Zur Berechnung objektivierter Unternehmenswerte dient heute die Discounted Cash Flow (DCF) – Methode. DCF – Verfahren bestimmen den Unternehmenswert durch Diskontierung erwarteter Zahlungen (Cash Flows) an die Eigenkapital- bzw. Fremdkapitalgeber. Es gibt drei Ausprägungen dieses Verfahrens: das Konzept der gewogenen Kapitalkosten (WACC), das Konzept des angepassten Barwertes (APV) sowie das Konzept der direkten Ermittlung des Wertes des Eigenkapitals (Equity – Ansatz).


Von der früher herrschenden Methoden – Vielfalt ist man also weit entfernt. Allerdings ist eine Ausdifferenzierung der objektivierten Unternehmensbewertung zu beobachten, die mit dem Grundsatz „nur die dem Unternehmen innewohnende und übertragbare Ertragskraft zu bewerten“ kollidiert. Nach Auffassung des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) besteht die Notwendigkeit der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern. Danach sind die wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswertes im Bewertungskalkül sachgerecht zu typisieren.


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