Montag, 27. Juli 2009

Funktionale Unternehmensbewertung


In Ergänzung zur subjektiven Bewertungslehre wurde in den 1970er Jahren die funktionale Unternehmensbewertung entwickelt. Diese Kölner Funktionenlehre oder Kölner Schule der Unternehmensbewertung wurde von MÜNSTERMANN sowie von seinen akademischen Schülern SIEBEN, BUSSE VON COLBE und MATSCHKE entworfen. Matschke hat von 1963 bis 1968 in Köln studiert. Von 1970 bis 1977 war er Assistent an dem von Eugen Schmalenbach begründeten Treuhandseminar. Hans Münstermann war sein Doktorvater.


Wesentliche Bausteine dieser Funktionenlehre waren neben Siebens nicht veröffentlichter Habilitationsschrift (Köln 1968) Matschkes Dissertation „Der Entscheidungswert der Unternehmung" (Wiesbaden 1975) und seine Habilitationsschrift „Der Arbitriumwert der Unternehmung" (Wiesbaden 1979).


Ausgangspunkt der Theorie funktionaler Unternehmensbewertung sind interpersonale Konfliktsituationen, in denen es um Auseinandersetzungen über die Bedingungen geht, unter denen es zu einer Veränderung von Eigentumsverhältnissen eines Unternehmens kommen soll. Die Kölner Funktionenlehre ist also im Gegensatz zu den kapitalmarktorientierten Bewertungsverfahren keine Gleichgewichtstheorie, sondern eine Theorie, welche die Unvollkommenheiten der realen Welt einbezieht. MATSCHKE hat diese Unvollkommenheiten in Form verschiedener Ausprägungen von Konfliktsituationen typisiert:


Eine erste Kategorie sind „Kauf / Verkauf" oder „Fusion / Spaltung".


Die Unterscheidung zwischen „eindimensional“ und „mehrdimensional“ stellt den zweiten Typ dar. In einer interpersonalen Konfliktsituation gibt es oft nicht bloß eine, sondern eine Mehrzahl von Größen, über die sich die Konfliktparteien einigen müssen.


Mit dem dritten Typ „jungiert“ und „disjungiert“ wird berücksichtigt, ob sich eine Konfliktpartei gleichzeitig noch in einer anderen Konfliktsituationen vom Typ „Kauf / Verkauf“ oder „Fusion / Spaltung“ befindet. In einer jungierten Konfliktsituation kann es entscheidungserhebliche Interdependenzen zwischen den verbundenen Konfliktsituationen geben, die es zu beachten gilt.


„Dominierte Konfliktsituationen“ unterscheiden sich von „nicht – dominierten“ dadurch, dass in ihnen eine Partei einseitig und gegen den Willen der anderen Beteiligten die Änderung der Eigentumsverhältnisse der Unternehmung selbst herbeiführen kann. Dominierte Konfliktsituationen sind solche, in denen hauptsächlich Normen aus Gesetzgebung und Rechtsprechung oder aus bestehenden Verträgen zu beachten sind. Dazu zählt beispielsweise das Einziehen von Anteilen eines seine Pflichten verletzenden Gesellschafters.


Die Theorie der funktionalen Unternehmensbewertung will Hilfen zur Bewältigung solcher Konfliktsituationen geben. Dafür ist die Frage nach der Aufgabenstellung des Bewerters und nach dem Zweck (Ziel) seiner Bewertung von zentraler Bedeutung.


Mit der Kölner Funktionenlehre ist das Spektrum der Aufgabenstellung der Unternehmensbewertung erweitert worden, indem generell gefordert wurde, dass der jeweilige Bewertungszweck die Bewertungsmethode zu bestimmen habe. So wurden einzelnen Funktionen (Aufgaben) entsprechende Zwecksetzungen (Ziele) zugeordnet.


Hauptfunktionen sind die Beratungsfunktion, die Vermittlungsfunktion und die Argumentationsfunktion. Davon zu trennen sind Nebenfunktionen, die vor allem auf Rechtsvorschriften und nicht auf ökonomischen Fragestellungen basieren - beispielsweise Wertbestimmungen zum Zwecke der Besteuerung oder zum Ansatz von Bilanzpositionen.


Im Rahmen der Beratungsfunktion soll ein Entscheidungswert für den Käufer bzw. Verkäufer ermittelt werden, der zugleich die jeweilige Grenze des Verhandlungsspielraumes über den Preis des Unternehmens absteckt.


Die Vermittlungsfunktion zielt hinsichtlich des zu zahlenden Preises auf die Überwindung eines Interessenkonfliktes zwischen Käufer- und Verkäuferseite. Der Unternehmensbewerter muss diesen Konflikt, ausgehend von den jeweiligen subjektiven Wertvorstellungen der Parteien, mit Hilfe eines Schiedswertes lösen, der in der Regel durch den Einsatz einer Teilungsregel gewonnen wird. Es ist dann lediglich diese Regel, die in der Vermittlungsfunktion die subjektiven Wertansätze der konfliktären Parteien ergänzt.


In der Argumentationsfunktion wird nach Argumenten gesucht, um ein möglichst günstiges Verhandlungsergebnis für eine Verhandlungspartei zu erzielen. Ausgangsbasis ist zwangsläufig wieder der individuelle Entscheidungswert, dessen Kenntnis erst die Konzipierung einer erfolgsversprechenden Verhandlungsstrategie ermöglicht.


Grundlage und Schwerpunkt der ökonomisch interessanten Hauptfunktionen der Unternehmensbewertung bleibt daher stets der subjektive Wertansatz. Er wird lediglich ergänzt um die Suche nach einer angemessenen Teilungsregel bzw. nach einer geeigneten Argumentationsstrategie, aus der aber keine eindeutigen Handlungshinweise zur Wertbestimmung folgen können.



Aus diesen Bewertungsfunktionen ergeben sich die jeweiligen Bewertungszwecke (Ziele).


Zweck der Beratungsfunktion ist die Ermittlung des subjektiven Grenzpreises für ein konkretes Bewertungssubjekt (= Entscheidungswert). Er markiert die äußerste Schranke der Konzessionsbereitschaft einer Verhandlungspartei. Der Käufer eines Unternehmens wird nicht mehr als seinen Grenzpreis zu zahlen bereit sein, weil anderenfalls der Kauf wirtschaftlich unvorteilhaft wäre. Analog akzeptiert der Verkäufer nur ein Preisangebot, das über seinem Grenzpreis liegt oder diesem zumindest gleichkommt. Der Entscheidungswert entspricht investitionstheoretisch dem kritischen Preis, bei dem der unsichere Zahlungsstrom aus wirtschaftlicher Sicht gerade noch nicht unvorteilhaft ist.


Die Ermittlung eines Arbitriumwertes, der zwischen den Grenzpreisen der konfliktären Parteien liegt (= Schiedswert, Einigungswert), ergibt sich aus der Vermittlungsfunktion. Er wird aus dem Intervall zwischen dem Grenzpreis des Verkäufers und dem Grenzpreis des Käufers gesucht (z.B. das arithmetische Mittel beider Grenzpreise). Sofern dieses Einigungsintervall leer ist, weil der Entscheidungswert des Verkäufers den Grenzpreis des Käufers übersteigt, muss der Schiedswert eventuell diejenige Partei schützen, der die Transaktion aufgezwungen wird (z.B. Abfindung mindestens in Höhe des Grenzpreises eines zwangsweise ausscheidenden Gesellschafters).


Die Argumentationsfunktion bezweckt die Ermittlung eines Argumentationspreises als Ausgangspunkt für Verhandlungen, um die eigenen Preisvorstellungen zu begründen. Beide Parteien halten ihre Grenzpreise natürlich geheim und streben ein Verhandlungsergebnis an, das möglichst weit von ihrem Entscheidungswert entfernt ist. Der Argumentationswert ist also parteiisch und dient lediglich der Verhandlungstaktik.


Mit der Kölner Funktionenlehre hat die Grundsatzdebatte um die Zweckadäquanz von Bewertungsmethoden ihren Schlusspunkt gefunden. Sie arbeitet deutlich heraus, dass es nicht „den“ Unternehmenswert gibt, sondern lediglich subjektive Entscheidungswerte.


Der subjektive Entscheidungswert ist die zentrale Wertgröße in allen Hauptfunktionen.


Wer in einer interpersonalen und mehrdimensionalen Konfliktsituation steht, sollte sich darüber Gedanken machen, was er ohne Einigung machen und hinsichtlich seiner Ziele erreichen könnte. Bei rationalem Handeln würde er das tun, was seinen Nutzen maximiert. MATSCHKE nennt in seinem „Allgemeinen Modell der Entscheidungswertermittlung“ das, was derjenige ohne Einigung machen würde, das „Basisprogramm“. Die dabei erreichbare Zielerfüllung nennt er den Basisprogrammnutzen. Der Basisprogrammnutzen ist eine Messlatte. Wer sich in keiner Zwangssituation befindet, wird einer Einigung nur zustimmen, wenn er sich im Vergleich zu seinem Basisprogramm davon einen Vorteil verspricht, zumindest aber sich nicht verschlechtert. Das bedeutet, nach einer Einigung sollte wenigstens wieder der Basisprogrammnutzen erreicht werden.


Geht man davon aus, dass die mehrdimensionalen Einigungsbedingungen, die als Kombination der konfliktlösungsrelevanten Sachverhalte allgemein ausgedrückt werden können, das Entscheidungsfeld des Bewertungsinteressenten ändern, dann steht je nachdem, welche dieser Kombinationen vereinbart wird, eine andere Alternativmenge von Sachverhalten zur Auswahl mit einem in der Regel unterschiedlichen Nutzen. Das „Bewertungsprogramm“ ist dann diejenige Alternative, deren Nutzen mindestens genau so groß ist, wie der des Basisprogramms. Alle Kombinationen von konfliktlösungsrelevanten Sachverhalten, für die dies gilt, bilden den Entscheidungswert dieser Partei.


Auch in diesem allgemeinen Modell ist die Unterscheidung zwischen Wert und Preis gegeben. Den „Wert“ bilden alle potenziellen Einigungsbedingungen aus der Sicht einer Konfliktpartei, die zum erreichbaren Nutzen o h n e Einigung führen. Dieser Wert wird im Allgemeinen von der Partei geheim gehalten. Der „Preis“ ist in diesem allgemeinen Zusammenhang die konfliktlösende Einigungsbedingung, auf die sich die Parteien verständigen. Dieser Preis ist objektiv, weil er für alle beteiligten Konfliktparteien gilt.

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