Mittwoch, 15. Juli 2009

Schmalenbachs optimale Geltungszahl


Unter den Bedingungen eines vollkommenen Kapitalmarktes bei sicheren Erwartungen
wird der Zinssatz für die Kapitalkosten (Kalkulationszinssatz) durch den Markt bestimmt. Wenn die Annahme sicherer Erwartungen fällt, läßt sich der periodenspezifische Zins in der Regel nur noch als Bandbreite schätzen. Sobald zusätzliche Kapitalmarktunvollkommenheiten bestehen, kann nicht einmal mehr die Opportunität ex ante identifiziert werden. Der Kalkulationszins wird dann zu einer subjektiven Größe, einem Lenkpreis, dessen Quantifizierung von der verfolgten Zielsetzung und dem Entscheidungsfeld abhängt. SCHMALENBACH bezeichnet einen derartigen Grenzzins als optimale Geltungszahl und die Lenkpreissteuerung der betrieblichen Entscheidungen als pretiale Lenkung:

"Der Kapitalzins ist der Preis für Leihkapital. Unsere Aufgabe ist, dem Werte des Kapitals, ausgedrückt durch den Zinsfuß, eine optimale Geltungszahl zu geben, die eine richtige Einsetzung der Kapitalnutzung als Aufwand oder als Kosten gewährleistet.

Von Bedeutung ist ein richtig gerechneter Kapitalzins nur bei der Verwendung des Neukapitals, da beim investierten Kapital die Entscheidung bereits stattgefunden hat.

Neukapital entsteht durch Sparen, d.h. durch Mehrleistung oder Nichtverbrauch von Einkommen, und durch Wiederflüssigwerden investiert gewesenen Kapitals. Das Wiederflüssigwerden findet namentlich statt durch verdiente Abschreibungen auf Anlagengegenstände.

In jedem Land, auch in einem reichen Lande ist es wirtschaftlich von großer Bedeutung, daß das Neukapital dahin wandert, wo es den größten Nutzen stiftet. Sind viele Nutzungsmöglichkeiten vorhanden, so sollen die besonders günstigen zuerst, nach ihnen die weniger wichtigeren und zuletzt, wenn das verfügbare Neukapital der Erschöpfung entgegengeht, die dann noch übrigbleibenden Grenzfälle berücksichtigt werden. Investitionsmöglichkeiten, deren Nutzwert unter diesem Grenzwert liegt, sollen nicht berücksichtigt werden. Ist der Grenzwert bestimmt, so soll er nicht nur für die Grenzgebraucher von Kapital, sondern für die Gesamtheit der Kapitalgebraucher Geltung haben.

Die optimale Geltungszahl für den Kapitalzins ist also der mit Neukapital erzielbare Nutzen, den die an letzter Stelle zur Verwendung kommende Kapitalmenge ermöglicht.

...

Die jeweilige Höhe des optimalen Geltungssatzes für den Zins ist abhängig von der Größe des sich bildenden Neukapitals und von der Masse der Möglichkeiten, durch Kapitalinvestierung wirtschaftliche Mehrwerte zu erzielen, die ohne Kapitalinvestierung nicht möglich wären. Auf der Bedarfsseite kommen als zinstreibend auch gewisse konsumierende Bedürfnisse hinzu, wenn sie, wie es oft der Fall ist, mit Investierung verbunden sind."

(Schmalenbach: Pretiale Wirtschaftslenkung, Band 1: Die optimale Geltungszahl, Bremen-Horn 1947, S. 85 - 88)


Dazu schreibt Thomas Hering in seinem Buch Investitionstheorie (2003):

"Die Vorteilhaftigkeit eines Zahlungsstroms ist stets relativ definiert, d.h. auf eine alternative Verwendung der knappen Finanzmittel bezogen. Die Bewertung hat anhand eines Vergleichsmaßstabs zu erfolgen, welcher die Alternativverwednung (Opportunität) abbildet. Ein solcher Vergleichsmaßstab ist der Zins als Lenkpreis des knappen Faktors Kapital. Während in einem alle Investitions- und Finanzierungsmöglichkeiten explizit enthaltenden und simultan optimierenden Totalmodell der Zinssatz lediglich pagatorischen Charakter hat, kommt ihm im Partialmodell eine Lenkungsfunktion zu.

Ein Partialmodell wie z.B. die Kapitalwertmethode erlaubt es, einzelne Zahlungsströme isoliert zu beurteilen. Damit das Partialmodell zum selben Ergebnis wie das per definitionem „richtige“ Totalmodell führt, muß der zur Bewertung der Zahlungen angewendete Zins ein Steuerungszins sein, d.h. er muß die Opportunität widerspiegeln und somit die wertmäßigen Kosten des Kapitals abbilden. Steuerung bedeutet hierbei Koordinationd er Partialentscheidungen im Hinblick auf das Gesamtziel. Ein Steuerungszinssatz berücksichtigt die Interdependenzen zwischen Investition und Finanzierung und führt die zielsetzungsgerechte Abstimmung beider Bereiche herbei. Er entspricht der optimalen Geltungszahl im Sinne der von SCHMALENBACH vorgeschlagenen pretialen Lenkung.

Partialmodelle ermöglichen die Dezentralisierung von Investitionsentscheidungen in Unternehmen und sind darüber hinaus mathematisch wesentlich einfacher als ein zentrales Totalmodell. Unglücklicherweise ist die Ermittlung der für das Partialmodell benötigten Steuereungszinssätze äquivalent mit der Lösung des Totalmodells. Die optimale Geltungszahl liegt erst vor, wenn sie nicht mehr benötigt wird, weil das Entscheidungsproblem schon durch ein Totalmodell gelöst worden ist. Die Opportunität als beste verdrängte Alternative ist erst bekannt, wenn auch die beste Alternative selbst identifiziert ist. Steuerungszinssätze sind endogen, d.h. sie fallen als Kuppelprodukte zusammen mit der optimalen Lösung des Totalmodells an.

Das beschriebene, scheinbar unüberwindliche Dilemma der Lenkpreistheorie hat in der Literatur zu der übereinstimmenden Auffassung geführt, endogene Steuerungszinssätze seien bestenfalls theoretisch interessant, aber – abgesehen von Spezialfällen – ungeeignet zur Lösung praktischer Investitionsprobleme."



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