Im Vorwort zu seiner im Frühjahr 1954 veröffentlichten Schrift "Gesamtwert und Geschäftswert der Unternehmung" beklagt Kurt KOLBE,
daß die Literatur seit nahezu 25 Jahren keinen wesentlichen Fortschritt in dieser Bewertungsfrage getan hat und die Praxis bei der Feststellung von Geschäftswerten sehr unterschiedlich und willkürlich verfährt, woraus sich die unterschiedlichsten Werte für ein und dieselbe Unternehmung zeigen, ganz abgesehen von der Bewertung mehrerer an sich gleichartiger Unternehmungen."
"Theorien haben nur dann einen Zweck, wenn sie praktischen Nutzen bieten. Deshalb haben z.B. alle Theorien über das Unternehmer- und Unternehmungsrisiko im vorliegenden Falle so lange keinen Platz, bis die Forschung nicht sagen kann, in welchen ziffernmäßigen Werten sie sich ausdrücken. Seitenlange Aufzählungen der einzelnen Risiken sind hier sinnlos. Bis heute war der Theorie jede Bewertung einzelner Risiken nicht möglich, und es sieht so aus, als ob es sich um ein Problem handelt, das sich der Lösung entzieht.Kurt Kolbe schrieb zum Stand der Bewertungsliteratur:
Im Literaturverzeichnis zu seiner "Beteiligungsfinanzierung "führt Schmalenbach die Literatur über die Bewertung von Unternehmungen auf. Es ist interessant, festzustellen, daß die grundlegenden deutschen Arbeiten über diese Frage ausschließlich vor 1930 entstanden sind. Für das Jahrzehnt 1931 bis 1940 nennt er nur 4 Arbeiten, die mit einer Ausnahme das Thema nicht als solches, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Problemen behandeln, und von 1941 bis 1949 ist mit Ausnahme der "Beteiligungsfinanzierung" überhaupt keine Arbeit entstanden. Ganz abgesehen davon, daß Schmalenbach keine wichtige Arbeit übersehen hat, kann aus eigener Anschauung versichert werden, daß die Angaben Schmalenbachs keine nennenswerte Lücke aufwesen. Der 1948 erschienene Artikel von Hax "Die Gesamtbewertung von Unternehmungen" ist keine untersuchende Arbeit, sondern bringt praktisch nur eine kurze Zusammenfassung der 6. Auflage von Schmalenbachs "Finanzierungen", die 1937 erschienen ist.
Ähnlich liegt das bei dem 1948 erschienenen Artikel von Schnettler "Die Bewertung von Betrieben nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen".
Aus der Literatur ab 1949 sind in der Reihenfolge des Erscheinens folgende Veröffentlichungen zu nennen:
a) Schmalenbach: Die Beteiligungsfinanzierung
b) Tittel: Firmenwert und stille Reserven beim Ausscheiden von Teilhabern aus Personengesellschaften
c) Hagest: Die Ermittlung des Wertes von Unternehmungen
d) Döhling: Der ideelle Geschäftswert
e) Rahmann: Die Ermittlung des Gesamtwertes der Unternehmung
f) Mellerowicz: Der Wert der Unternehmung als Ganzes
g) Münstermann: Der Gesamtwert des Betriebes
h) Münstermann: Der Veräußerungspreis des Betriebes
Die Schrift Döhlings (Selbstverlag, Saarbrücken 1950) scheidet für jede Betrachtung hier aus, da sie betriebswirtschaftlicher Grundlagen entbehrt.
Rahmanns Abschnitt im Handbuch von Greifzu ist lediglich eine rein schulmäßige Beschreibung zweier bekannter Formeln. Die Ausführungen setzen nach unserer Auffassung den Wert des zweifellos sehr wertvollen Handbuchs eher herab, da der Praktiker, für den das Handbuch geschrieben wurde, mit den Ausführungen nichts anfangen kann oder zu falschen Ergebnissen kommt.
Schmalenbach gibt als einziger ein äußerst umfassendes und instruktives Bild mit zahlreichen Beispielen und mit wirklichem Nutzen für die Praxis. Aber auch in der Auflage 1949 stützt er sich nach wie vor auf die vor vielen Jahren geschriebenen Arbeiten.
Hagest (1950) faßt die Grundgedanken für die Ermittlung des Gesamtwertes der Unternehmung kurz beschreibend und ohne Einzelheiten und Beispiele in einem Zeitschriftenartikel zusammen. Wesentlich ist aber - und das muß besonders hervorgehoben werden -, daß er erstmals in der Literatur ganz klar betont, daß das betriebswirtschaftliche Kostendenken bei der Feststellung des Wertes der Unternehmung ganz anders als bisher Beachtung finden müßte. Das ist allerdings nur als grundsätzlicher Gedanke eingefügt.
Mellerowicz (1952) bringt in seiner Arbeit trotz ihres Umfanges und ihrer zahlreichen Beispiele weder der Theorie noch der Praxis etwas Neues. Nach unserer Auffassung weiß bei den vielen Wenn und Aber die Praxis überhaupt nicht, wo sie ansetzen soll. Theoretisch vertritt M. mit Entschiedenheit und Heftigkeit den Standpunkt, daß alleiniger Wert der Unternehmung der Ertragswert sei. Er übersieht aber trotz dieses in den Vordergrund geschobenen Standpunktes hinsichtlich des Ertragswertes, daß der von ihm als Ertragswert der Unternehmung bezeichnete Wert gar nicht der Ertragswert der Unternehmung, sondern nur ein Teilertragswert ist.
Münstermanns Darstellung ist eine ausführliche Artikeldarstellung, jedoch ohne etwas grundsätzlich Neues.
Tittel (1949) geht in seiner Arbeit auf die Ermittlung des Gesamtwertes oder des Geschäftswertes der Unternehmung überhaupt nicht ein. Er sagt: "Es soll nicht Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, die Ermittlungsmethoden des Gesamt- und Firmenwertes zu besprechen. Das Schrifttum ist in dieser Richtung (und bezüglich der Bilanzierung des Firmenwertes) relativ reichhaltig, wenn auch die meisten Darstellungen längere Zeit zurückliegen. Wichtig aber scheint es zu sein, auf eine besondere Problematik aufmerksam zu machen, die bisher im Schrifttum vernachlässigt wurde. Die Unterscheidung: Normal- und Überschußsubstanz ist nur unzulänglich, ihre Auswirkungen auf die Gesamt- und Firmenwertermittlung sind überhaupt nicht herausgearbeitet worden. Das liegt darin begründet, daß das Schwergewicht auf den Ertragswert gelegt und dem Substanzwert im allgemeinen wenig Beachtung geschenkt wurde."
Hinsichtlich der "Normal-und Überschußsubstanz" hat T. durchaus recht, er sagt aber trotz zahlreicher Auswirkungsbeispiele nicht, wie nun die Normalsubstanz zu ermitteln sei. Betriebswirtschaftlich bietet die Arbeit nichts Neues außerhalb dieses Hinweises, aber die Arbeit will sich ja auch hauptsächlich nur mit gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Problemen beim Ausscheiden von Teilhabern aus Personengesellschaften befassen. Hinsichtlich dieser Ausführungen erscheint uns die Arbeit durchaus beachtenswert. Hervorgehoben sei die besonders gute Herausarbeitung der Behandlung des negativen Firmenwertes beim Ausscheiden von Gesellschaftern.
Uns interessiert hier aber ausschließlich die betriebswirtschaftliche Seite des Problems und die Suche nach einer Möglichkeit, einen möglichst zuverlässigen Wert für den Gesamtwert und den Geschäftswert der Unternehmung zu finden.
...
Alle Autoren sind sich darüber einig, daß die Wahl des Kapitalisierungszinsfußes die größten Schwierigkeiten bietet und am leichtesten zu Meinungsverschiedenheiten Anlaß gibt. Soweit wir sehen, hat Schmalenbach in den letzten Jahren die weitgehendsten praktischen Vorschläge für die Wahl eines Kapitalisierungszinsfußes gemacht, so daß darauf verwiesen werden kann. Er führt dabei aus: Der anzuwendende Kapitalisierungszinsfuß ist abhängig von der Unternehmungsform, von der Unternehmungsgröße und vom Geschäftszweige." Das ist zweifellos richtig. Teilt man den Kapitalisierungszinsfuß in Zins und Risikozuschlag, so wird man in Ableitung der Ausführungen sagen können, daß jede Unternehmung ihren spezifischen Risikozuschlag hat, der sich einerseits aus den innerbetrieblichen Gegebenheiten und dem außerhalb der Unternehmung liegenden Branchenrisiko zusammensetzt. Das würde bedeuten, daß einmal ein allgemein gültiger Risikozuschlag selbst innerhalb einer Branche nicht unbedingt bestehen muß - für deren Wertung im übrigen breite Forschungsergebnisse nicht vorliegen - und zum anderen aber, daß sich der Risikozuschlag mehr oder weniger aus der Unternehmung heraus bestimmen muß, zumal er in den bisherigen betrieblichen Erfolgen seinen Ausdruck gefunden hat.
1954 haben Kurt Kolbe fünfeinhalb Buchseiten ausgereicht, um den Stand der Literatur zur Unternehmensbewertung darzustellen. Heute sind allein in deutscher Sprache 938 Titel lieferbar. Trotz dieser Flut von Büchern lässt sich festhalten, dass viele Fragestellungen bei der Unternehmensbewertung, die sich beispielsweise aus den Besonderheiten von KMU ergeben, immer noch nicht hinreichend gelöst sind: Berücksichtigung des Personenbezugs, Eigentümer von KMU haben häufig ihr nahezu gesamtes Kapital in ein einziges Unternehmen investiert, die meisten KMU haben keinen Zugang zum Kapitalmarkt, die Planungsgrundlagen und -werkzeuge sind häufig mangelhaft, viele Unternehmen sind nicht diversifiziert usw.
Ebenso hilfreich wären - nach Branchen und Größenklassen aufgefächerte - empirische Langzeitstudien zur "Überlebensrate" junger Unternehmen.
Hier besteht weiterer Forschungs- und Regelungsbedarf.
(Kolbe: Gesamtwert und Geschäftswert der Unternehmung, Köln und Opladen 1954, S. 13-18)
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