Freitag, 24. Juli 2009

Subjektive Unternehmensbewertung


Durch MÜNSTERMANN und seinen akademischen Schüler SIEBEN begann Mitte bis Ende der 1960er Jahre in der Bewertungstheorie eine Abkehr von der objektiven Unternehmensbewertung. Die an ihre Stelle getretene subjektive Unternehmensbewertung wollte erfassen, was das Unternehmen unter Berücksichtigung der subjektiven Planungen und Vorstellungen eines konkreten Bewertungsinteressenten für diesen wert ist. Die Grundidee: Unternehmenswerte sind subjektiv. Für jeden Bewertungsadressaten kann das Unternehmen insofern einen anderen Wert haben.


Die subjektive Unternehmensbewertung hat eine solide investitionstheoretische Fundierung. Dementsprechend ist der Wert eines Unternehmens bestimmt durch die aus dem individuellen Entscheidungsfeld (der persönlichen Entscheidungssituation) des Bewertungsadressaten herrührenden finanz- und realwirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten sowie durch die von diesem Bewertungssubjekt für das Unternehmen geplante Verwendung. Somit zeichnet sich der Unternehmenswert durch seine Zielsystem-, Entscheidungsfeld- und Handlungsbezogenheit aus, d.h. durch die vom Bewertungssubjekt geprägten Einflussfaktoren. Hervorzuheben ist, dass aus identischen Nutzenerwartungen verschiedener Bewertungsinteressenten keineswegs ein identischer Wert des Unternehmens folgt; wenn beispielsweise die den Bewertungssubjekten alternativ zur Verfügung stehenden Kapitalverwendungs- oder Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten differieren.


Zur Berechnung subjektiver Unternehmenswerte wird heute die Ertragswert- / Zukunftserfolgswertmethode angewendet. Ihr Ziel besteht in der Ermittlung eines Entscheidungswertes für den Bewertungsinteressenten (z.B. Käufer oder Verkäufer einer Unternehmung). Nach der subjektiven Wertlehre ergibt sich der Wert eines Gutes aus seinem Grenznutzen im Hinblick auf die zugrunde gelegte subjektive Zielsetzung. Unter dem Ertragswert eines Unternehmens wird also der Grenzpreis eines spezifischen Investors verstanden, der zum Beispiel die Vorteilhaftigkeit eines Unternehmenserwerbs oder einer Weiterführung des Unternehmens an einer Renditeforderung misst.


Im Rahmen der subjektiven Unternehmensbewertungen fließen individuelle Konzepte bzw. Annahmen des Bewertungsinteressenten in die Rechnung ein. Dies können z.B. vom Käufer geplante Investitionen, Einführung innovativer Produktionsverfahren, veränderte strategische Ausrichtungen usw. sein. Der Barwert der finanziellen Überschüsse aus der rentabelsten Nutzung des Betriebes, die unter den voraussichtlichen individuellen Verhältnissen des Erwerbers möglich ist, bestimmt üblicherweise dessen subjektiven Wert. In den subjektiven Entscheidungswert eines Kaufinteressenten sind auch Synergieeffekte einzubeziehen, die sich erst aus dem Unternehmenskauf ergeben. Aufgrund einer anderen Risikoeinstellung oder infolge der Einbringung des Zielunternehmens in eine Unternehmensgruppe kann ein veränderter Verschuldungsgrad der Unternehmung angestrebt werden. Auch diese Auswirkungen eines veränderten Finanzierungsrisikos sind bei der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte zu berücksichtigen. Der Grenzpreis eines potenziellen Käufers berücksichtigt aber nicht allein die übertragbare Ertragskraft der Unternehmung, sondern auch persönliche Erfolgsfaktoren. Schließlich ist der subjektiven Bewertung noch die tatsächliche Steuerbelastung des künftigen Unternehmenseigners zugrunde zu legen.


Eine wissenschaftliche Bearbeitung der subjektiven Unternehmensbewertung ist bereits im Jahre 1922 von SCHMALENBACH veröffentlicht worden (Die Beteiligungsfinanzierung). Er war der akademische Lehrer von Hans MÜNSTERMANN. An seinem Lehrstuhl assistierten Günter SIEBEN und Manfred Jürgen MATSCHKE (Emeritus der Universität Greifswald). Auf Matschke folgen Thomas HERING (FernUniversität in Hagen) und Gerrit BRÖSEL (Technische Universität Ilmenau), die zur jüngeren Generation der "Subjektivisten" gehören. An dieser Stelle möchte ich auf ein hochschulpolitisches "Trauerspiel" hinweisen: Der trotz der enormen praktischen Bedeutung der Unternehmensbewertung in Deutschland meines Wissens einzige Lehrstuhl für Unternehmensbewertung ist seit der Emeritierung MATSCHKES im WS 2008 / 2009 unbesetzt, obwohl MATSCHKE beantragt hatte, über sein 65. Lebensjahr hinaus weiter für die Universität Greifswald tätig zu sein.


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