Schiedspreisprinzip
II. Mittelungsprinzip
1. Aus der Schiedsgutachterfunktion folgt, daß der gesuchte Unternehmenswert (Schiedspreis) nur innerhalb der Grenzpreise der Parteien liegen darf: Beträgt der Maximalpreis des Käufers 120 GE und der Minimalpreis des Verkäufers 100 GE, so sind damit Schiedspreise unter 100 GE und über 120 GE ausgeschlossen. Das ist die Mindestbedingung für einen fairen Interessenausgleich.
2. Der Grenzpreis des potentiellen Verkäufers kann über dem Grenzpreis des potentiellen Käufers liegen: Der potentielle Verkäufer mag einen Zahlungsstrom von 10 GE erwarten, bei einem Kapitalisierungssatz von 10 % beträgt sein Grenzpreis 100 GE; für den potentiellen Käufer gilt nur ein Zahlungsstrom von 8 GE und bei einem Kapitalisierungssatz von wiederum 10 % ein Grenzpreis von 80 GE. Im allgemeinen kommt es unter dieser Voraussetzung nicht zum Vertragsabschluß: Der Verkäufer muß, um nicht irrational zu handeln, mehr fordern, als der Käufer, will dieser sich nicht irrational verhalten, bieten kann. Wenn es indessen in Unkenntnis dieser Umstände doch zu einem (nicht mehr auflösbaren) Vertrag gekommen ist, steht der Schiedsgutachter vor einer schwierigen Aufgabe: Er wird versuchen, je nach den Gründen, die zum Vertragsabschluß geführt haben, den "gemeinsamen Verlust" aufzuteilen. Handelt es sich etwa darum, daß der Verkäufer ein freiwillig ausgeschiedener Gesellschafter ist, der es versäumt hat, rechtzeitig eine Einigung über die Abfindungsbedingungen herbeizuführen, so wird man den Schiedspreis auf 80 GE festsetzen.
3. Es gibt wichtige Fälle, in denen man weder den Grenzpreis des potentiellen Verkäufers noch den Grenzpreis des potentiellen Käufers hinreichend verläßlich angeben kann: Wenn es, wie etwa im Jahre 1981 in Frankreich, zu politischen Veränderungen und in deren Gefolge zu Enteignungen kommt, ist jedenfalls für den Käufer (den Staat) ein sinnvoller Grenzpreis nicht berechenbar. Freilich besteht in solchen Fällen auch kaum ein Bedürfnis, den Grenzpreis des Käufers zu bestimmen: Der Verkäufer (der zu enteignende Unternehmer) soll nach der Enteignung nicht besser stehen als zuvor, d.h. er soll nicht an dem "Gewinn", den der Staat aus der Enteignung zieht, "beteiligt" werden.
Man stelle sich vor, daß der zu Enteignende durch die Enteignung einen (aus seinem Unternehmen erzielbaren) künftigen Zahlungsstrom von 10 GE verliert; bei einem Kapitalisierungssatz von 10 % beträgt sein Grenzpreis 100 GE. Der Staat möge einen - hypothetischen - Grenzpreis von 120 GE haben. Würde nun z.B. ein Schiedspreis von 110 GE festgesetzt, so erzielte der zu Enteignende einen Zahlungsstrom von 110 * 0,10 = 11 GE, also einen um 1 GE höheren Zahlungsstrom, als er ohne den Enteignungsakt erzielt hätte.
Enteignungsentschädigungen, die über dem Grenzpreis des zu Enteignenden liegen, sind sinnwiedrig. Enteignung verlangt "Entschädigung", nicht mehr: Der zu Enteignende wird, bei voller Entschädigung, so gestellt, wie er ohne den Enteignungsakt (ökonomisch) gestanden hätte. (Im Beispiel erhält er bei voller Entschädigung einen Betrag in Höhe von 100 GE, d.h. in Höhe seines Grenzpreises.) Es wird also kein "Schiedspreis" ermittelt: Das dem Schiedspreis zugrunde liegende Modell der Simulation einer fairen Verhandlung, der gerechten Verteilung eines gemeinsamen Gewinns, ist nicht anwendbar; denn bei Enteignungen kommt es überhaupt nicht zu Verhandlungen.
Die besondere Schwierigkeit der Entschädigungsbemessung bei Enteignungen besteht darin, daß selbst der Grenzpreis des zu Enteignenden nur mit einem extrem weiten Spielraum bestimmt werden kann. Zwar gelten die allgemeinen Regeln, wonach ein Ertragsvergleich anzustellen und der niedrigste für die gegebenen Erträge alternativ zu zahlende Preis maßgeblich ist. Aber die politischen Veränderungen, in deren Gefolge die Enteignung im allgemeinen stattfindet, erschweren die Ertragsbestimmung: Sollen die ertragsmindernden Einflüsse der politischen Umwälzung berücksichtigt werden? Und wie ließen sie sich mangels entsprechender Erfahrungen, bemessen? Oder soll der Ertrag und damit die Entschädigung so bestimmt werden, als habe die politische Umwälzung gar nicht stattgefunden?
Grundsätzlich sollte sich der Unternehmensbewerter bei der Bemessung des Entschädigungsbetrags an das Gesetz halten können: Das (Enteignungs-)Gesetz sollte diesen Betrag präzisieren. Im allgemeinen wird der Bewerter im Gesetz jedoch nur unbestimmte Begriffe wie "angemessene" oder "volle" Entschädigung finden, sofern das Gesetz nicht durch einen Rekurs auf Börsenkursdurchschnitte u.ä. ein Bewertungsgutachten überflüssig macht.
4. Im Normalfall des Eigentumswechsels läßt sich für Käufer und Verkäufer ein Grenzpreis ermitteln, und der Grenzpreis des Käufers liegt dann entweder über dem Grenzpreis des Verkäufers oder entspricht diesem wenigstens. Entsprechen sich beide Grenzpreise, so bietet die Schiedspreisfestsetzung keine Probleme. Liegt der Grenzpreis des Käufers über dem Grenzpreis des Verkäufers, so ist nur die Mittelung ein praktikabler Weg: Bei einem Grenzpreis des Käufers von 120 GE und des Verkäufers von 100 GE beträgt der Schiedspreis 110 GE.
Man mag die Grenzpreismittelung aus mehreren Gründen ungerecht finden. So könnte eingewendet werden, der Unternehmensveräußerer partizipiere damit zur Hälfte an jenem künftigen Erfolgsstrom, den der Unternehmenserwerber erst schaffen müsse. Doch ist zu berücksichtigen, daß der Veräußerer dem Erwerber diese Ertragsstromrealisierung ermöglicht; einseitige Zurechnungen sind kaum sinnvoll.
Man mag auch anführen, daß der "gemeinsame Gewinn" (im Beispiel 20 GE) nur dann "gleichmäßig" (gerecht) aufgeteilt würde, wenn nicht die Zumessung gleicher Geldbeträge, sondern gleicher "Nutzenbeträge" erfolge: Der "Bedürftigere" der beiden Partner sei bei einem "fairen Interessenausgleich" stärker zu bedenken; nicht anders handle etwa das verständige Familienoberhaupt bei entsprechenden Problemen. Das ist grundsätzlich richtig, doch dürfte es kaum einen halbwegs praktikablen Weg geben, den durch die Schiedspreisfestsetzung bei den Parteien entstehenden Nutzenzuwachs zu messen.
5. Man darf nicht verkennen, daß eine Schiedspreisermittlung, die sich an den Grenzpreisen von Käufer und Verkäufer orientiert, sehr hohe Anforderungen an den Bewerter stellt. Der Bewertungszweck kann erhebliche Vereinfachungen bzw. Objektivierungen bereits bei der Grenzpreisermittlung, nicht erst bei der Grenzpreismittelung erfordern: Schiedspreisbestimmungen erfolgen meist, wenn eine gütliche Einigung nicht (mehr) erreichbar ist; die Wahrscheinlichkeit, daß der Bewerter von den Parteien dann zutreffende Informationen erhält, wird man besser nicht zu hoch veranschlagen. Doch selbst bei unbeschränkter Auskunftsbereitschaft beider Parteien sind Grenzpreise immer nur mit Vorbehalten zu bestimmen.
So sehr sich vereinfachte bzw. objektivierte Schiedspreisermittlungen aufdrängen, so sehr müssen Bewerter und Richter bei der Methodenwahl auf einen fairen Interessenausgleich bedacht sein. Jedenfalls in dieser Klarstellung der Interessengegensätze liegt die Bedeutung der Schiedspreiskonzeption: Der vereinfacht bzw. objektiviert ermittelte Schiedspreis darf nicht die Karikatur eines fairen Einigungspreises sein. Das wird, bei gutem Willen, vermieden, wenn man sich des ökonomischen Hintergrundes bewußt ist: Es ist ein zwischen Verkäufergrenzpreis und (höherem) Käufergrenzpreis liegender Preis gesucht, der sich als Ergebnis einer fairen Verhandlung vorstellen läßt.