Mittwoch, 24. August 2011

Der EURO braucht Flexibilität statt Disziplin


Bei der Unternehmensbewertung bilden Modelle des Rendite - Risiko - Zusammenhangs den Ausgangspunkt für das Capital Asset Pricing Model (CAPM), das in den "marktwert" - orientierten Bewertungsmodellen zur Ermittlung so genannter Eigenkapitalkosten (Renditeforderungen der Eigenkapitalgeber) herangezogen wird. Die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber für das zu bewertende Unternehmen errechnet sich dabei aus der Summe der Rendite "risikofreier" Kapitalanlagen und einem Risikozuschlag, der sich aus der Multiplikation der Marktrisikoprämie mit einem unternehmensspezifischen Beta - Faktor ergibt.

Wie ermitteln die Vertreter der sogenannten "objektivierten" Unternehmensbewertung die Rendite "risikofreier" Kapitalanlagen? Der IDW S 1 i.d.F. 2008 gibt ein auschnittartiges Abbild der Problematik.


Für den objektivierten Unternehmenswert ist bei der Bestimmung des Basiszinssatzes von dem landesüblichen Zinssatz für eine (quasi-)risikofreie Kapitalmarktanlage auszugehen. Daher wird für den Basiszinssatz grundsätzlich auf die langfristig erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen abgestellt. (Tz. 116)

Als Bewerter muss man sich also mit der voraussichtlichen Entwicklung der Rendite von Staatsanleihen befassen. In Europa ist diese Aufgabe angesichts der EU - Schuldenkrise immer schwerer zu lösen. Die Gründe:

Struktur - Fehler der EURO - ZONE

Bei der EURO - Einführung hat man es versäumt, im EU - Vertrag eine Haushalts-, Steuer- und Sozialunion festzulegen. Es war klar, dass sich die Länder der EURO - Zone in ihrer Wirtschaftskraft sowie in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit sehr stark voneinander unterscheiden. Mit der Währungsunion sind die Ausgleichsmechanismen der Währungsabwertungen bzw. -aufwertungen weggefallen. Ein Land mit Wettbewerbsproblemen war nicht länger in der Lage, seine Produkte durch eine Abwertung der heimischen Währung auf den Exportmärkten preislich attraktiver zu machen. Auch die Binnennachfrage kann seit der Währungsunion nicht mehr durch Zinssenkungen stimuliert werden, denn auch die Zinspolitik wurde vergemeinschaftet bzw. in der EZB zentralisiert. Den nationalen Regierungen blieb fast nur noch die Haushaltspolitik, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln. Eine vertiefte politische Union hätte diesen eklatanten Fehlanreiz gemildert. Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 in seinem Urteil zum Maastricht-Vertrag einen wichtigen Satz formuliert: 
Die Währungsunion ohne eine gleichzeitige oder unmittelbar nachfolgende politische Union zu vereinbaren und ins Werk zu setzen, ist eine politische Entscheidung, die von den dazu berufenen Organen politisch zu verantworten ist.

Reparatur von Strukturfehlern der EU

Wie haben die "dazu berufenen Organe" ihre politische Verantwortung wahrgenommen? Sie haben sich über das vertragliche "Bail - Out - Verbot" hinweggesetzt, das Verbot des Erwerbs von Staatsanleihen durch die EZB ignoriert und die Währungsunion in Richtung auf eine Transferunion verändert. Die Rettung "systemrelevanter" Banken galt in der Bundesrepublik, wie auch in den anderen EU - Ländern, als "alternativlos". Zu diesem Zweck wurde 2008 der Europäische Finanzmarkt - Stabilisierungsfonds (EFSF) mit 480 Milliarden EURO dotiert. Die Bankenkrise hat einige ohnedies geschwächte Volkswirtschaften  der EURO - Zone an den Rand der Insolvenz gebracht. Gegenwärtig muss der EFSF wegen der weiter andauernden Staatsschuldenkrise reformiert werden. Am 24. August 2011 kommentierte das HANDELSBLATT Finanzminister Schäubles Vorstoß:


Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat einen ersten konkreten Vertragsentwurf für den Euro-Rettungsfonds (EFSF) erarbeitet. Laut dem 41 Seiten umfassenden Geheimpapier, das dem Handelsblatt vorliegt, soll der Deutsche Bundestag dem EFSF eine Art Generalbevollmächtigung erteilen, um Rettungsmaßnahmen für Schuldenstaaten durchführen zu können. Demnach soll das Direktorium des Fonds künftig drei zusätzliche finanzpolitische Handlungsinstrumente erhalten und dafür Richtlinien erlassen, die keiner direkten parlamentarischen Kontrolle unterliegen...Weiter

Eine europäische Transferunion zur sofortigen Lösung akuter Schuldenprobleme langfristig vertraglich zu legalisieren ist wohl der falsche Weg. Statt dessen müssen Maßnahmen zur Lösung der strukturellen Fehler und der Widersprüche in der EURO - Zone ergriffen werden.






Europäische Wirtschaftsregierung gemäß Merkel / Sarkozy

Eine europäische Wirtschaftsregierung gibt es bereits. Allerdings wird sie nicht als solche wahrgenommen, weil sie in verschiedene Institutionen aufgespalten ist:

  1. die EZB verantwortet die Geldpolitik,
  2. der Stabilitäts- und Wachstumspakt ermöglicht die Kontrolle nationaler Haushaltspläne, 
  3. die Europäische Kommission reguliert den Wettbewerb.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt funktioniert jedoch nicht wie gewünscht. Griechenland und andere Länder haben erhebliche Stabilitätsprobleme. Aus diesem Grunde darf jetzt eine neue Eurogruppe, nämlich die der 17 Staats- und Regierungschefs der EURO - Zone das Ruder übernehmen. Ihr Chef soll Herman Van Rompuy, Belgien, werden. Die Eurogruppe der Finanzminister, die Lionel Jospin 1997 als ersten Schritt in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung erwirkte, ist somit gescheitert. Von Anfang an waren die kleinen Euroländer gegen diesen Dirigismus, weil sie eine Fremdbestimmung, insbesondere durch Frankreich und Deutschland, fürchteten. Deshalb war es dem Ziel einer europäischen Wirtschaftsregierung sicherlich nicht besonders förderlich, den Luxemburger Jean - Claude Juncker zu ihrem Chef zu machen. Auch künftig wird der größte Widerstand aus dem Kreis der kleinen Euroländer kommen. 

Es geht nicht darum, eine europäische Wirtschaftsregierung zu schaffen, sondern vielmehr darum, die ohnehin beschlossene Politik wirksamer als bisher durchzusetzen. Das Kardinalproblem wird jedoch bleiben. Es liegt darin, dass die Ziele der Wirtschaftsregierung eindeutig definiert sind: Inflationsrate nicht über 2 % p.a., jährliche Neuverschuldung maximal 3 % des BIP und Gesamtverschuldung maximal 60 % des BIP. Es ist eine "Regierung durch Normen" ohne eigenen Ermessens- und Handlungsspielraum. Wie soll das funktionieren?

Außerdem stellen die kleinen Euroländer 10 von 17 Staats- und Regierungschefs. Dieser Rat wird wohl kaum beschließen, ernsthaft in die Haushaltsautonomie der EURO - Länder einzugreifen. Eine Mehrheit gibt es nur gegen die Defizitländer. Die Frage, woher künftig eine höhere politische Durchsetzungsfähigkeit kommen soll, bleibt offen! 

Deutsche Politiker bezweifeln, ob Frankreich sich vorbehaltlos zur Unabhängigkeit der EZB sowie zur Einhaltung des Stabilitätspakts bekennt. Frankreich verfolgt mit einer europäischen Wirtschaftsregierung vielleicht das Ziel, ein politisches Gegengewicht zur unabhängigen EZB zu bilden. Welche Länder Frankreich dabei unterstützen würden, ist reine Spekulation.
  
Merkel / Sarkozy wollen die bisherige Dreiteilung der europäischen Wirtschaftsregierung aufgeben. Die neue Eurogruppe wird nur ein einziges Aufgabenfeld haben, den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Aber auch die 17 Staats-und Regierungschefs sind auf eine freiwillige Koordination nationaler Haushaltspolitiken angewiesen. Es gibt keine rechtliche Basis zur Durchsetzung von Sanktionen einer europäischen Wirtschaftsregierung. 

Sie hat bloß ein einziges wirksames Druckmittel. Länder mit schwacher internationaler Wettbewerbsfähigkeit sollen Eingriffe der EU - Kommission bei der Verwendung von Mitteln aus den Struktur- und Kohäsionsfonds dulden. Dieses Instrument wird jedoch für sich allein genommen keineswegs ausreichen, um das Kardinalproblem der EURO - Zone, Ungleichgewichte der nationalen Leistungsbilanzen, zu lösen. Die neue Eurogruppe der Staats- und Regierungschefs wird vermutlich folgende Agenda haben:

Erste Aufgabe: 

Wie im Stabilitäts- und Wachstumspakt gemeinsam beschlossen, müssen alle Staaten der EURO - Zone eine Schuldenbremse einführen, wie sie erstmals für das Haushaltsjahr 2011 in Deutschland gilt:

Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden (GG Art. 109, Abs. 3)


Am 23. August 2011 haben Spaniens Regierung und Opposition angekündigt, noch vor den Neuwahlen in diesem Jahr eine Schuldenbremse in ihre Verfassung aufzunehmen. Damit sind die übrigen Länder der EURO - Zone im Zugzwang. Spanien hat mit seiner Ankündigung politischen Druck auf die Länder der EURO - Zone aufgebaut, die noch keine Schuldenbremse mit Verfassungsrang haben. Eine Lösung dieser schwierigen Aufgabe ist also keinesfalls unmöglich.


Mehr als politischen Druck wird es nicht geben. Es ist eher unwahrscheinlich, dass alle Länder der EURO - Zone einem Sanktionsmechanismus zustimmen würden, wonach einem Land ohne Schuldenbremse beispielsweise das Stimmrecht in der EU entzogen würde.


Als zweite Aufgabe gilt die Einführung einer Finanztransaktionssteuer innerhalb der Staaten der EURO-Zone. Diese Insellösung würde das Kapital der Anleger nach London schwemmen und den Börsenplätzen in der EURO - Zone Umsatzverluste bescheren. Deshalb darf bezweifelt werden, dass es  den politischen Willen gibt, diese Steuer einzuführen.

Dritte Aufgabe: Die über 60 % des BIP hinausgehende Verschuldung soll jährlich um 1/20 abgebaut werden.  Es sind stets die Sozialhaushalte, die den größten Anteil an einem Gesamthaushalt haben. Ohne eine Vereinheitlichung der Sozialstandards innerhalb der EURO - Zone wird es kaum gelingen, in den nationalen Parlamenten Mehrheiten zur Kürzung von Sozialausgaben zu bekommen.

Fazit: Diese "unechte" Wirtschaftsregierung wird es wahrscheinlich bewerkstelligen, dass alle Länder der EURO - Zone in absehbarer Zeit wirksame Schuldenbremsen haben. Damit wäre der Weg für EUROBONDS frei! Die Probleme der EURO - Zone sind damit aber nicht gelöst, sondern bloß aufgeschoben.


Wie müsste eine "echte" Wirtschaftsregierung Europas aussehen?

Die Veränderungen in der Welt gehen in eine Richtung, in der Flexibilität mehr bewirkt als Disziplin (Krugman, Paul: Why Germany Kant Kompete?, in: Fortune Magazine 1999)

Eine unechte Wirtschaftsregierung hat genormte Ziele und nur politischen Druck als Mittel. Eine echte Wirtschaftsregierung verfügt über Ermessens-und Handlungsspielräume. Deren Ausgestaltung ist demokratisch zu entscheiden. Das bedeutet, der Lissabon - Vertrag müsste erneut geändert und allen nationalen Parlamenten zur Entscheidung vorgelegt werden. Eine Reform der Reform. Wahrscheinlich findet sich unter den europäischen Staats- und Regierungschefs kein einziger, der dieses Prozedere erneut auf sich nehmen möchte. Allein schon aus diesem Grunde wird es in absehbarer Zeit keine echte europäische Wirtschaftsregierung geben. Das ist vielleicht unser Glück, denn sie würde ein Mehr an Disziplin und Bürokratie bringen.

Eine unechte Wirtschaftsregierung verändert wenig, die Ausgestaltung einer echten dauert zu lange, um die gegenwärtige Staatsschuldenkrise zu bewältigen und wäre phantasielos auf eine Disziplinierung  der Defizitländer ausgerichtet. Was tun?






Creation Reaction, Anagram by Tauba Auerbach




"Flexibilität statt Disziplin" 

ist ein geeigneter Denkansatz. Möglicherweise krankt die EURO - Zone auch daran, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt allen 17 Ländern genau die selben Verschuldungsgrenzen vorschreibt. Ein länderbezogenes Zielsystem hätte sicher eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung. Die griechische Wirtschaft  hat nun mal andere Bedingungen als die französische. Und Maßnahmen, die die Binnennachfrage Griechenlands stimulieren, sind für Frankreich vielleicht weniger erfolgreich oder sogar ungeeignet. Jedes Land braucht eigene positive Anreizmechanismen, die eine systemische Wirkung entfalten und bürokratische Mechanismen entlasten. 


Die Verantwortlichen müssen sich ernsthaft darüber Gedanken machen, ob das Streben nach Vereinheitlichungen, wie es sich beispielsweise in der Steuerpolitik abzeichnet, stabilitätsfördernd ist. 

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt schafft keine ausreichenden Anreize, um Staatschulden zu vermeiden

Es müssen Anreize geschaffen werden, um die Haushaltslage der Defizitländer zu stabilisieren. So muss es beispielsweise möglich sein, ein einzelnes Land, das eine expansive Fiskalpolitik betreibt und dadurch inflationäre Entwicklungen begünstigt, durch eine Hochzinspolitik der EZB zu sanktionieren. Die einheitliche Geldpolitik der EZB kann dies nicht leisten. Peter BOFINGER hatte sich bereits 2004 darüber Gedanken gemacht (Grundlinien für eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, in: Wirtschaftsdienst. 84. Jahrgang, Heft 1, 2004):

Für die Begrenzung inflationärer Prozesse auf nationaler Ebene wäre es sinnvoll, die im Pakt vorgesehenen Sanktionsmechanismen nur dann auszulösen, wenn ein Mitgliedsland tatsächlich unter einem überdurchschnittlichen Preisauftrieb leidet. Ein reformierter Pakt sollte also nur Länder ins Auge fassen, die eine Inflationsrate aufweisen, die um mehr als einen Prozentpunkt über dem 2 % - Inflationsziel der EZB liegen. Bei diesen Ländern wäre dann zu prüfen, ob sie an einer konjunkturellen Überhitzung leiden, was an einer positiven Output - Lücke abgelesen werden kann. Ist dies der Fall, wäre zu untersuchen, ob hierfür die Fiskalpolitik verantwortlich zu machen ist. Ein wichtiger Indikator für eine inflationstreibende Fiskalpolitik wäre ein Rückgang eines strukturellen Überschusses bzw. der Anstieg eines strukturellen Defizits. Im Gegensatz zum Pakt in seiner bisherigen Form könnten damit auch jene Länder als Stabilitätssünder identifiziert werden, die aus der Situation eines Budget - Überschusses heraus eine expansive fiskalische Politik einschlagen, die mit Nachteilen für die Geldwertstabilität verbunden ist.

Auf der Basis der jüngsten Zahlen der OECD würde man mit einem solchen "inflation monitoring" folgende "Stabilitätssünder" identifizieren:


  • Griechenland im Jahr 2003

  • Irland im Jahr 2001

  • die Niederlande in den Jahren 2001 und 2002

  • Portugal im Jahr 2001

  • Spanien im Jahr 2000

Idealerweise würde ein solches Verfahren vorausschauend, d.h. auf der Basis von prognostizierten Werten durchgeführt. Das einzige Land, bei dem es so für 2004 eine stabilitätsgefährdende Fiskalpolitik identifiziert werden kann, ist Griechenland.


Hätte man BOFINGERs Modell 2004 angewendet, wäre der EURO - Zone vieles erspart geblieben!


(...) Das Anliegen dieses Beitrags besteht darin aufzuzeigen, dass es neben einem starren Festhalten am Pakt und einem völlig regellosen Zustand interessante Alternativen gibt, die sowohl im Interesse der Stabilität wie des Wachstums in allen Ländern der Eurozone liegen.
 
Die Eurogruppe der Finanzminister ist letztlich daran gescheitert, dass vertragsinkonformes Verhalten nicht zeitnah und nicht strikt sanktioniert worden ist. Welche Lehren sind aus diesem Scheitern zu ziehen? 

Es sollte nicht Aufgabe eines politischen Gremiums sein, über Sanktionen zu entscheiden. Auch der Europäische Gerichtshof kommt dafür nicht in Frage. Das Defizitverfahren muss automatisiert werden! Wo immer es möglich ist, sind Mechanismen der Selbstregulation zu installieren. Nur so sind flexible Reaktionen auf Fehlentwicklungen möglich. Bei realistischer Betrachtung ist klar, dass Selbstregulation kein Allheilmittel ist. Ergänzend muss es Formen der Fremdregulierung durch Experten geben, die keine politischen Mandate haben.

Derartige Konzepte lassen sich nicht einfach aus dem Hut zaubern. Es wäre ein guter Anfang, Ideen und Konzepte in diese Richtung zu lenken. Die Systemtheorie bietet interessante Modell an. In der Systemtheorie bezeichnet Selbstregulation die Fähigkeit eines Systems, sich durch Rückkopplung selbst innerhalb gewisser Grenzen in einem stabilen Zustand zu halten. 





    Samstag, 20. August 2011

    Die europäische Haushaltsunion kommt!


    Angela Merkel ist immer für eine Überraschung gut. Jedenfalls scheint es so. Tatsächlich geht sie salamitaktisch vor. Es ist nicht glaubwürdig, eine europäische Wirtschaftsregierung zu befürworten und gleichzeitig Eurobonds abzulehnen:

    Eurobonds kommen! Europa auf dem Weg zur politischen Union

    Einen Tag nach diesem Beitrag, am 19. August 2011, titelt die Financial Times Deutschland:

     

    Brüssel bastelt an Eurobonds

    Die EU-Kommission ignoriert den erbitterten Widerstand Frankreichs und Deutschlands gegen die Einführung von Eurobonds. Währungskommissar Olli Rehn lässt ein solches Instrument auf Machbarkeit prüfen, bei dem alle Euro-Staaten gemeinsam Anleihen auf den Markt bringen würden. Dazu sollen auch gesetzliche Vorschläge gehören.

     

    Das Ganze sieht nach einem Scheingefecht aus. EU - Kommissar Olli Rehn begründet sein proaktives Handeln mit den Worten:

     

    Diese Euro-Wertpapiere würden das Ziel haben, die fiskale Disziplin zu stärken und die Stabilität in der Eurozone über die Märkte zu erhöhen

     

    Mit diesem Ziel können sich Politiker und Ökonomen identifizieren. Bleibt die Frage, ob es durch Eurobonds erreicht werden kann. Olli Rehn sagt ja! Wer ihm widerspricht, braucht gute Argumente, um sich durchzusetzen.


    EZB - Direktoriumsmitglied Jürgen Stark im Interview mit dem HANDELSBLATT:


    Handelsblatt: Herr Stark, alle diskutieren über Euro-Bonds. Wäre die Einführung einer europäischen Gemeinschaftsanleihe der erste Schritt in die Transferunion?

    Jürgen Stark: Euro-Bonds sind nicht nur der Einstieg in die Transferunion, sie sind die Transferunion. Es ist ein Transfer von Bonität aus stabilen, soliden Ländern in Staaten, die weniger solide Staatsfinanzen haben. Die Länder, die schlechter dastehen, können sich mit Euro-Bonds günstiger refinanzieren. Für die anderen mit guter Kreditwürdigkeit wird es teurer.

    Werden falsche Anreize gesetzt?

    In jedem Fall. Es wird so getan, als wären die Euro-Bonds der Königsweg, um aus der Krise herauszukommen. Tatsächlich ist es ein Kurieren an den Symptomen und nicht an den Ursachen. Der Anreiz, die strukturellen Probleme in den Haushalten anzugehen, wird verringert. HB-Interview



    Stark argumentiert gegen ad hoc eingeführte Eurobonds. Den Nutzen einer europäischen Wirtschaftsregierung, der beispielsweise darin liegen würde, einem "moral hazard" (Fehlanreiz) zu begegnen, sieht Stark sehr wohl:

     

    Wir brauchen ein Mehr an politischer Union und weniger Versprechen, die am Ende nicht eingehalten werden. Die politische Union spielte schon bei den Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag im Februar 1991 eine zentrale Rolle. Die dort niedergelegten Haushaltsregeln und der Stabilitätspakt sind Teil einer politischen Union. Aber es wurde gegen Prinzipien verstoßen, Regeln außer Kraft gesetzt. Mit dem derzeitigen institutionellen Rahmen ist eine gesamtschuldnerische Haftung nicht möglich.


    Bemerkenswert ist, dass Angela Merkel in der aktuellen Diskussion das Wort "Transfer" nicht benutzt, statt dessen aber "Haushalt". Offenbar kann sie sich nicht durchringen, von einer europäischen "Haushaltsunion" zu sprechen. Fürchtet Merkel, dass wir die Wahrheit nicht verstehen? Es ist beschlossene Sache, dass die EURO - Staaten künftig ihre Haushaltspläne der EU - Kommission zur Stellungnahme vorlegen. Merkel:

    Wir müssen akzeptieren, dass die Kommission sagen darf, ob sie (die Haushalte) den Ansprüchen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes entsprechen.

    Was ist, wenn der deutsche Haushalt den Anforderungen der Kommission nicht genügt? Merkel:

    Dann müssen die Haushalte nochmals überarbeitet werden, sonst werden wir nie in Europa zusammenkommen.

    Das zweite dieser beiden Zitate weist ziemlich deutlich in Richtung auf eine europäische Haushaltsunion. Beim Landesparteitag der niedersächsischen CDU in Hameln ermahnte Merkel die Europakritiker ihrer Partei. Die EU dürfe niemals in Frage gestellt werden.


     

     Anagramm von Tauba Auerbach



    Merkel deutet etwas an, was EZB - Chef Trichet bereits seit mehr als einem Jahr öffentlich und mit großem Nachdruck fordert, zuletzt am 28. Juni 2011 in Brüssel:


    Speech by Jean - Claude Trichet, President of the ECB, at the Gala Dinner of the State of the European Union Conference "Revitalising the European Dream: A Corporate View":

    (...) 

    It is the ‘E’ of the EMU, where progress is needed. Already the 1989 Delors report stated that “an Economic and Monetary Union could only operate on the basis of mutually consistent and sound behaviour by governments and other economic agents in all member countries. (…) Uncoordinated and divergent national budgetary policies would undermine monetary stability and generate imbalances in the real and financial sectors of the community.”

    What does this mean in practice? It means improving economic governance. It means strengthening the rules to prevent unsound policies. And it means to prohibit individual countries from pursuing policies that can harm themselves and the euro area as a whole. For this reason, I have called, in the name of the Governing Council, on the Commission, the Council and the European Parliament to be very ambitious in reinforcing economic governance in the euro area. 

    We have called for a “quantum leap” in governance, for a substantially deepened economic union. Vollständiger Redetext

    Es wird immer deutlicher, dass es jetzt nicht mehr um die Stabilität des EURO geht, sondern um die schiere Existenz der gemeinsamen Währung. Die Entscheidung, eine Währungsunion einzuführen, ohne eine Haushaltsunion zu haben, mag politisch richtig gewesen sein. Aus ökonomischer Sicht war es eine Fehlentscheidung, die nun zu korrigieren ist.

    Die Wissenschaft hat bereits 1990 auf dieses Problem hingewiesen. Barry Eichengreen, University of California at Berkeley:

    One money for Europe? Lessons from the US currency union. 

    Aus der Einleitung:
     

    Vollständiger Text



    Eine gemeinsame Haushaltspolitik setzt selbstverständlich eine einheitliche Besteuerung innerhalb der EURO - Zone voraus. Aber das ist ein anderes Thema.