Mittwoch, 29. Juni 2011

Frühwarnindikatoren bei Vermögenspreisen

Frühwarnindikatoren für Ungleichgewichte bei den Vermögenspreisen: Empirische Evidenz auf der Grundlage von Studien der EZB


Die Ausgestaltung eines Frühwarnsystems zur Feststellung von Vermögenspreisungleichgewichten lässt sich in drei Schritte gliedern. Im ersten Schritt werden Ungleichgewichte bzw. Fehlentwicklungen der Vermögenspreise definiert (z.B. bezogen auf Abweichungen von historischen Trends oder hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft). Der zweite Schritt umfasst die Auswahl geeigneter Indikatoren und die Entwicklung von Modellen, um die Indikatoren mit der entsprechenden Fehlentwicklung in Verbindung zu bringen. Ist die abhängige Variable (Fehlentwicklung) binär, so stehen für die Definition eines Frühwarnindikators Signal- und Discrete - Choice - Methoden (Probit-/Logit-Verfahren) zur Verfügung. Der dritte und letzte Schritt ist die Beurteilung der Aussagekraft des Frühwarnindikators über einen Zeitraum und/oder eine Gruppe von Ländern. Die Durchführung des dritten Schritts erfolgt häufig anhand der nachfolgenden Matrix:



Krise Keine Krise




Signal
A B




Kein Signal
C D

Hierbei stellt A die Anzahl der Perioden dar, für die ein Indikator ein korrektes Warnsignal gibt, d.h. in denen auf das Signal tatsächlich innerhalb eines vorab festgelegten Prognosehorizonts eine Krise folgt. B ist die Anzahl der Perioden, für die ein Fehlalarm ausgelöst wurde, während C die Anzahl der Perioden darstellt, in denen der Indikator eine herannahende Krise nicht anzeigt. D schließlich steht für die Anzahl der Perioden, für die der Indikator richtigerweise kein Warnsignal gibt. Der Nutzen eines Indikators wird für gewöhnlich  durch Berechnung des Rausch- Signal - Verhältnisses ("noise-to-signal-ratio") - d.h. Anzahl der Fehlalarme geteilt durch die Anzahl der korrekten Signale - beurteilt.

In der vorliegenden Arbeit wird auf die Anwendung einiger bei der EZB entwickelter Frühwarnsysteme eingegangen, bei denen die Geldmengen- und Kreditentwicklung als entscheidende Indikatoren zur Vorhersage von Hausse- und Baissephasen bei Vermögenspreisen herangezogen werden.

Signal - Methode zur Vorhersage von Hausse - Baisse - Zyklen bei Vermögenspreisen

Die Arbeit von Alessi und Detken basiert auf der Verwendung der Signal - Methode zur Feststellung von (mit hohen Kosten verbundenen) Haussephasen bei Vermögenspreisen. Die Analyse erfolgt nach folgendem Verfahren: Erstens werden Vermögenspreis - Haussephasen in 18 OECD - Ländern anhand eines vierteljährlichen Gesamtindex identifiziert, der auf Daten der BIZ zu den gewichteten Preisen für private Immobilien, gewerbliche Immobilien und Wertpapiere basiert. Die Haussephasen werden als Abweichungen von einem länderspezifischen rekursiven Trend nach Hodrick und Prescott identifiziert und anschließend in Niedrigkosten- und Hochkosten - Boomphasen unterteilt. Letztere werden definiert als Haussephasen, in deren Anschluss das Wachstum des realen BIP drei Jahre lang mindestens drei Prozentpunkte unter dem Potenzialwachstum liegt. Zweitens wird eine Reihe von wirtschaftlichen und finanziellen Variablen mit unterschiedlichen Transformationen getestet, um deren Eignung als Frühwarnindikatoren für Hausse - Baisse - Zyklen von Vermögenspreisen mit hohen Kosten bei Zugrundelegung eines Prognosehorizonts von sechs Quartalen zu ermitteln.

In die Analyse werden nur die Informationen mit einbezogen, die zum betreffenden Zeitpunkt zur Verfügung gestanden hätten, sodass Verzögerungen hinsichtlich der Veröffentlichung der Zeitreihen berücksichtigt werden. Der Schwellenwert wird durch Minimierung der Verlustfunktion des politischen Entscheidungsträgers ermittelt, und zwar unter Beachtung seiner relativen Aversion gegen Ereignisse ohne ausgegebenes Signal (nicht erkannte Krisen) und ausgegebene Signale ohne Ereignis (Fehlalarme).


Aus den Ergebnissen geht hervor, dass bei ausgewogenen Präferenzen die globale private Kreditlücke (d.h. die globale Lücke des privaten Kreditvolumens) und die globale M1 - Lücke im Länderdurchschnitt die besten Frühwarnindikatoren darstellen. Diese Indikatoren verringern den Verlust des Entscheidungsträgers im Hinblick auf die präferenzgewichteten Fehler um bis zu 25 %, verglichen mit Situationen, in denen der Indikator unberücksichtigt bleibt. Die Autoren testen das Modell außerdem in Bezug auf die jüngste Finanzkrise und untersuchen, ob es sich bei dem Vermögenspreisboom, der Mitte dieses Jahrzehnts einsetzte, den Vorhersagen ihrer besten Indikatoren zufolge um eine Hochkosten - Haussephase handelt. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich hinsichtlich der jüngsten "Boom - Welle" im Zeitraum von etwa 2005 bis 2007 ein gemischtes Bild ergibt, da die globale private Kreditlücke anhaltende Warnsignale aussendete, während dies bei der globalen Geldlücke (M1 - Lücke) nicht der Fall war. Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit, ein breites Spektrum an Modellen und Indikatoren zu verwenden.


Panel - Probit - Modelle zur Vorhersage von Hausse - Baisse - Zyklen bei Vermögenspreisen

Ein Beispiel für ein Probit - Modell zur Feststellung von Vermögenspreis - Baissephasen liefert die Arbeit von Gerdesmeiner, Reimers und Roffia (Asset price misalignments and the role of money and credit, Working Paper No. 1068 der EZB, Frankfurt am Main, 2009), die die Wahrscheinlichkeit einer solchen Baisse in den kommenden zwei Jahren einschätzt. In diesem Beitrag wird eine Baissephase definiert als ein Zeitraum - innerhalb eines rollierenden Dreijahreszeitraums -, in dem ein zusammengesetzter Vermögenspreisindikator (konstruiert als gewichteter Durchschnitt von Aktienkurs- und Wohnimmobilienpreisindizes) unter einen Wert sinkt, der berechnet wird als Mittelwert des Indikators abzüglich des 1,5 -fachen seiner Standardabweichung in Bezug auf seinen in diesem Zeitraum erreichten Höchststand. Die binäre Baisse - Variable erhält den Wert eins, wenn innerhalb der nächsten acht Quartale eine Baisse eintritt.


Durch Tests der Probit - Modelle für eine Gruppe von 17 OECD - Ländern anhand der General - to - Specific - Methode wurde eine einfache Spezifikation ausgewählt, welche die Kreditwachstumslücke, die Veränderungen der nominalen Langfristzinsen, die Investitionsquote und die verzögerte Lücke des Immobilienpreisanstiegs umfasst. Mithilfe des Modells wurde die Situation für das Euro - Währungsgebiet während der jüngsten Finanzkrise bewertet. Dazu wurden die aktuell verfügbaren Datenreihen für die erklärenden Variablen und die Koeffizienten des Probit - Modells (die mit den Paneldaten für den Zeitraum bis zum ersten Quartal 2006 geschätzt wurden) verwendet und für die nachfolgenden Zeitspannen eine Out - of - Sample - Analyse durchgeführt. Anschließend wurde für den Zeitraum bis 2009 eine Wahrscheinlichkeit geschätzt, und es stellte sich heraus, dass diese Ende 2006 den Schwellenwert überschritt, sodass das Modell den Eintritt einer Baisse im Euroraum innerhalb der nächsten zwei Jahre vorhergesagt hätte.


Zusätzliche Belege, welche die Verwendung der Geldmenge und Kreditvergabe zur Vorhersage von Hausse - und Baissephasen an den Immobilienmärkten stützen, liefert eine andere EZB - Studie von Agnello und Schuhknecht, die auf einer ähnlichen Methode basiert (Booms and busts in housing markets: determinants and implications, Working Paper Nr. 1071 der EZB, Frankfurt am Main, 2009). Bei Einbeziehung von 18 OECD - Industrieländern identifiziert die Studie starke und anhaltende Abweichungen der Wohnimmobilienpreise von langfristigen länderspezifischen Trends und schätzt die Eintrittswahrscheinlichkeit von Haussen und Baissen mittels eines Random - Effect - Panel - Probit - Modells. Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Untersuchung stehen im Einklang mit denen der beiden anderen Methoden. So stellt sich heraus, dass die wirtschaftlichen Kosten (im Hinblick auf BIP - Verluste in der Zeit nach der Boomphase) im Wesentlichen von Umfang und Dauer des Booms sowie von der Geldmengen und Kreditentwicklung in diesem Zeitraum abhängen. Zu den Variablen, die einen bedeutenden Einfluss auf die Eintrittswahrscheinlichkeit von Haussen und Baissen haben, gehören die kurzfristigen Zinssätze, die Geld- und Kreditentwicklung im In- und Ausland sowie die Indikatoren der Deregulierung der Hypothekenmärkte. Mit einem entspechenden Probit - Modell lassen sich Hausse- und Baissephasen relativ erfolgreich bereits frühzeitig erkennen. 


Diese in jüngster Zeit durchgeführten EZB - Studien verdeutlichen insgesamt, dass es möglich ist, Frühwarnindikatoren für einzelne Länder und Ländergruppen zu identifizieren, die recht gut funktionieren. Die Untersuchungen bestätigen zudem implizit, dass der Verschuldungsgrad einer der wichtigsten Indikatoren für die Vorhersage von Hochkosten - Hausse - Baisse - Zyklen bei den Vermögenspreisen ist. Dessen ungeachtet können Indikatoren, die in der Vergangenheit gleich gute Ergebnisse geliefert haben, manchmal auch unterschiedliche Botschaften aussenden. Die erhaltenen Signale sollten daher mit Vorsicht interpretiert und nur als ein Bestandteil der gesamten Informationen betrachtet werden, die der Entscheidungsfindung zugrunde gelegt werden.




(Quelle: Europäische Zentralbank, Monatsbericht November 2010, S. 85-88)


Vermögenspreisblasen und Geldpolitik







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