Dienstag, 25. August 2009

Die subjektive Wertlehre im Überblick

Wissenschaftstheoretisch sind in der Wertlehre zwei methodische Richtungen zu unterscheiden, nämlich


die objektive und


die subjektive Richtung.



Für diese wichtige Unterscheidung ist zunächst die Fassung des Wertbegriffs bzw. des Begriffs des Gebrauchswertes maßgebend. Vereinfachend kann man sagen: In der objektiven Theorie wird der Gebrauchswert eines Gutes als eine Objekt - Objekt - Beziehung aufgefasst. Der objektive Gebrauchswert eines Gutes ist demnach seine objektiv messbare Brauchbarkeit oder Verwendbarkeit für einen bestimmten Zweck. In der subjektiven Theorie wird der Gebrauchswert als eine Subjekt - Objekt - Beziehung interpretiert. Der subjektive Gebrauchswert ist demnach die Nützlichkeit eines Gutes für eine bestimmte Person in einem bestimmten Zeitpunkt. Man erkennt leicht, dass die objektive Brauchbarkeit eines Gutes für einen bestimmten Zweck die subjektive Nützlichkeit für eine bestimmte Person nicht unbedingt einschliesst, dass also der objektive Gebrauchswert isoliert vom subjektiven Gebrauchswert auftreten kann. Es ist also sorgfältig zwischen dem objektiven und dem subjektiven Gebrauchswert zu unterscheiden. Daneben existiert aber noch ein weiterer objektiver Wertbegriff, nämlich der des objektiven Tauschwertes. Darunter ist nichts anderes als der Preis eines Gutes zu verstehen.



Der historisch ältere objektive Wertbegriff basiert auf der bis auf ARISTOTELES zurückgehenden Unterscheidung von objektivem Gebrauchswert und objektivem Tauschwert:

Man kann einen Schuh gebrauchen, um ihn zu tragen, aber auch, um ihn zu tauschen; beides sind Gebrauchsmöglichkeiten ein und desselben Schuhes
(Aristoteles: Politik I,9). Dieses Begriffspaar heisst bei den Physiokraten valeur usuelle und valeur vènale, bei den nationalökonomischen Klassikern value in use und value exchange.



Ein grundsätzlicher Einwand gegen die objektive Werttheorie lautet: Wenn der objektive Gebrauchswert eines Gutes die notwendige und hinreichende Bedingung dafür ist, dass das betreffende Gut einen objektiven Tauschwert, also einen Preis, besitzt, so müsste der Preis eines Gutes um so höher sein, je höher der objektive Gebrauchswert dieses Gutes ist. Dem steht aber die Erfahrung entgegen:

Wasser besitzt großen Nutzen aber geringen Wert, die Menge des Wassers ist nämlich viel größer als die Nachfrage danach. Diamanten haben geringen Nutzen aber großen Wert, da die Nachfrage nach Diamanten viel größer als ihre Menge ist.
Mit diesen Worten beschreibt John LAW (Money and Trade Considered) ein Phänomen, das als klassische Wertantinomie oder als contradictions èconomiques Eingang in die Literatur gefunden hat. Dieser Widerspruch ist mit der objektiven Wertlehre nicht lösbar.


Die klassische Ökonomie behalf sich damit, Diamanten als „Seltenheitsgüter“ zu definieren, wobei die Frage nach der Ursache des hohen Preises nicht überzeugend beantwortet worden ist. Für die Klassiker stellte insbesondere die Arbeit, die aufgewendet werden muss, um ein Gut herzustellen, dessen objektiven Wert dar. Die subjektive Komponente relativer Preis haben sie nicht deutlich gesehen.



Auch die Theorie des subjektiven Wertes lässt sich historisch weit zurückverfolgen (B. DAVANZATI 1589, G. MONTANARI 1685, D. BERNOULLI 1738, F. GALIANI 1750; später E. DE CONDILLAC, A.R.J. TURGOT, F.B.W. VON HERMANN u.a.). Wegbereiter der subjektiven Wertlehre war Hermann Heinrich GOSSEN. In seinem Buch " Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln" (Braunschweig 1854) hat er den Grenznutzenbegriff in grosser Klarheit entwickelt. Nach Gossen ergibt sich der Wert eines Gutes aus seinem Grenznutzen angesichts der zugrunde gelegten Zielsetzung. Dieser Grenznutzen ist nur individuell definierbar. Von der subjektiven Schule wird, wie bereits ausgeführt, der Begriff des Gebrauchswertes als subjektive Nützlichkeit eines Gutes interpretiert.



Nutzen ist der numerische Wert für die einem Konsumenten (dem Käufer eines Unternehmens) aus einem bestimmten Warenkorb (einem Portfolio) erwachsende Befriedigung (Vorteil). Das Konzept des Nutzens bezieht sich dabei auf den numerischen Wert dieser Befriedungen bzw. dieses Vorteils. Eine kardinale Nutzenfunktion beschreibt im allgemeinen, um wie viel eine Güterkombination (ein Portfolio) einer anderen Güterkombination vorgezogen wird. Nutzen bildet die Motivation für wirtschaftliches Handeln von Individuen. Das Ausmass dieses individuellen Nutzens ist von den Präferenzen des Konsumenten abhängig. Grenznutzen ist der durch die letzte konsumierte Einheit eines Gutes gestiftete Nutzen. Der Grenznutzen misst die aus dem Konsum einer letzten Einheit eines Gutes erwachsende zusätzliche Befriedigung, wenn der betrachteten Person mehrere Einheiten dieses Gutes zur Verfügung stehen. Der Grenznutzen kann jeden beliebigen Wert annehmen. Er braucht beispielsweise bei zunehmender Gutsmenge auch nicht abzunehmen. Das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens besagt, dass, wenn eine immer größere Menge eines Gutes konsumiert wird, der Konsum zusätlicher Mengen einen immer geringeren Zuwachs des Nutzens mit sich bringt. Dies ist das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens, man spricht auch vom 1. GOSSENSCHEN GESETZ. Mathematisch ausgedrückt ist der Grenznutzen die erste partielle Ableitung der Nutzenfunktion nach der betreffenden Gütermengenvariable.



Besonders anschaulich erklärt der österreichische Ökonom E. VON BÖHM - BAWERK den Begriff des Grenznutens an dem folgenden Beispiel:

Ein Kolonist, dessen Blockhütte abseits von allen Verkehrsstraßen einsam im Urwalde steht, hat soeben fünf Säcke Korn geerntet. Mit ihnen muß er sich bis zur nächsten Ernte behelfen. Als ordnungsliebender Mann trifft er seine Dispositionen über die beabsichtigte Verwendung. Einen Sack braucht er unumgänglich notwendig, um sein Leben bis zur nächsten Ernte zu fristen. Einen zweiten, um seine Mahlzeiten soweit zu vervollständigen, daß er gesund und bei Kräften bleiben kann. Noch mehr Korn in der Gestalt von Brot und Mehlspeisen zu genießen, hat er keinen Wunsch. Dagegen wäre es ihm recht erwünscht, zur Brotnahrung etwas Fleischnahrung hinzuzufügen, er bestimmt daher einen dritten Sack zur Mästung von Geflügel. Einen vierten Sack widmet er der Erzeugung von Kornbrantwein. Für den letzten Sack endlich weiß er, nachdem seine beischeidenen persönlichen Bedürfnisse durch die vorausgehenden Dispositionen völlig gedeckt sind, keine bessere Verwendung mehr, als damit eine Anzahl von Papageien zu füttern, an dessen Possen er sich ergötzt. Natürlich stehen ihm die genannten Verwendungen an Wichtigkeit nicht gleich. Dies erprobt sich am einfachsten daran, wieviel er Nutzen einbüßen würde, falls ihm ein Sack verloren ginge. Offenbar müßte unser Mann nicht recht klug sein, wenn er den verlorenen Sack sich am Munde abdarben, dadurch Leben und Gesundheit preisgeben, dabei aber Brantwein brennen und Hühner und Papageien füttern wollte wie zuvor. Bei gesunder Überlegung ist vielmehr ein einziger Ausgang denkbar: der Kolonist wird mit den übrig gebliebenen vier Säcken die vier wichtigsten Bedürfnisgruppen decken, und nur auf die Gewinnung des unbedeutendsten letzten, des Grenznutzens, verzichten. Das ist in diesem Fall die Haltung der Papageien.
(Kapital und Kapitalzins, Zweite Abteilung Positive Theorie des Kapitals, 4. Auflage, Jena 1921, S. 185 ff.).



Als Grenznutzenschule benannte man die Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts aufgekommene Lehre, in welcher der Begriff des Nutzens im Zentrum steht. Am einflussreichsten war die Österreichische Schule (auch Wiener Schule), vertreten durch Carl MENGER, Eugen BÖHM VON BAWERK, Friedrich VON WIESER, Joseph SCHUMPETER und in einer weiter entwickelten jüngeren österreichischen Grenznutzenschule Ludwig VON MISES und Friedrich August VON HAYEK. Von der österreichischen Schule beeinflusst wurde die so genannte Schwedische Schule um Knut WICKSELL und Erik Robert LINDAHL. Die Lausanner Schule von Léon WALRAS hebt besonders die mathematische Methode und den mathematischen Charakter der Untersuchungen hervor. Walras gelingt es, das Grenznutzenprinzip in ein Modell der vollständigen Konkurrenz einzubauen. Nutzen und Grenznutzen sind für ihn messbare, d.h. kardinale, Größen. Er geht weiter von additiv separablen Nutzenfunktionen aus. Der Gesamtnutzen ist die Summe der Nutzen jeweils eines Gutes. Walras nimmt die vollständige Quantifizierbarkeit des Nutzens eines Gutes an. EDGEWORTH zeigt, dass der Grenznutzen eines Gutes in der Regel auch von der konsumierten Menge anderer Güter abhängt (Indifferenzkurven). Bei der Unternehmensbewertung repräsentieren die Zahlungsströme des zu bewertenden Unternehmens diesen kardinalen, d.h. messbaren, Nutzen des Bewertungssubjektes.



Ausgehend vom Grenznutzenbegriff entwickelten diese Schulen eine Werttheorie, in der insbesondere die Determinanten der Nachfrageseite ausführlich analysiert wurden. Der objektive Tauschwert, d.h. der Preis eines Gutes, bildet sich demnach gemäss den subjektiven Nutzenschätzungen der Käufer und Verkäufer. Die Preise der Produktionsmittel ("Güter höherer Ordnung") werden auf die Preise der Endprodukte ("Güter niederer Ordnung") zurückgeführt, wobei der Kostenbegriff subjektiviert wird: Kosten sind entgangener Nutzen (disutility, opportunity oder alternative costs).



PARETO lehnte die Messbarkeit des Nutzens ab und ersetzte die Theorie des kardinalen Nutzens durch ein ordinales Nutzenkonzept. Eine ordinale Rangeinteilung ist ausreichend, um zu erklären, wie die meisten individuellen Entscheidungen getroffen werden. Dieser Theorie der Wahlakte sind ausser ihm Eugenius SLUTSKY und Irving FISHER sowie Heinrich VON STACKELBERG und Paul A. SAMUELSON zuzurechnen.



Die anglo-amerikanische Schule (auch Cambridge-School) mit William Stanley JEVONS und Alfred MARSHALL überträgt aufgrund dessen das Grenznutzenprinzip auf den Bereich der Produktion und entwickelt die Grenzproduktivitätstheorie. Auf den englischen Nationalökonomen William Stanley Jevons geht, nebenbei bemerkt, der Begriff des vollkommenen Marktes zurück. Dieser Markt ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt ein einheitlicher Preis besteht, zu dem alle Umsätze getätigt werden. Das ist das Gesetz der Unterschiedslosigkeit der Preise oder das Jevonssche Indifferenzgesetz (law of indifference). Marshall suchte in seinen Principles of Economics (1. Auflage London 1890) aus den Einseitigkeiten, die sowohl die objektive als auch die subjektive Wertlehre kennzeichnen, einen Ausweg. Die Nachfrage nach Gütern wird von Marshall auf subjektive Elemente, nämlich die Nutzenschätzungen der Wirtschaftssubjekte zurückgeführt; das Angebot von Gütern wird als eine Funktion der Produktionskosten, also objektiv gedeutet. Einer Überbetonung der Nachfrage - oder der Angebotsseite versucht Marshall durch das berühmt gewordene Scherengleichnis vorzubeugen:

Wir können uns ebensogut ernstlich darüber streiten, ob bei einer Schere das obere oder das untere Blatt ein Stück Papier durchschneidet, oder ob der Wert vom Nutzen oder von den Produktionskosten bestimmt wird.
(Handbuch der Volkswirtschaftslehre, 1. Band, Stuttgart und Berlin 1905, S. 360). Das System Marshalls ist für die Weiterentwicklung der Werttheorie von fundamentaler Bedeutung gewesen.



Die subjektive Wertlehre löst das Problem der Diskrepanz zwischen Gebrauchs- und Tauschwert eines Gutes. Der Grenznutzenschule gelingt es, den relativen Tauschwert aus dem Gebrauchswert der letzten verbrauchten Gütereinheit herzuleiten.



Es ist darauf hinzuweisen, dass in der subjektiven Wertlehre stets Nutzenvergleiche einer Person gemeint sind. Niemals geht es um interpersonelle Nutzenvergleiche, die grundsätzlich unmöglich sind. Es gibt keine Methode zur objektiven Messung der Befriedigung durch den Konsum von Gütern. Aus diesem Grunde existieren keine Maßeinheiten zur Quantifizierung von Präferenzen.



Dies veranlasste Wolfram ENGELS in seiner 1962 von Erich Gutenberg herausgegebenen Arbeit "Betriebswirtschaftliche Bewertungslehre im Licht der Entscheidungstheorie" zu folgender Kritik:

Jede Entscheidung, d.h. gleichzeitig jede Wertung, bedarf einer Zielsetzung. Diese Zielsetzung kann in der Tat eine soziale Konvention oder eine Suggestion sein. Zumindest gibt es keine wissenschaftliche Methode, die eine Entscheidung darüber zuließe, welche Zielsetzung richtig sei. Angenommen es bestünden keine Zweifel über den tatsächlichen Erfolg einer Handlungsweise (z.B. einer Investition), und eine Wertung würde von zwei Personen unter derselben Zielsetzung vorgenommen - dann kann, wenn die Wertungen auseinanderfallen, keine der Formen der subjektiven Werttheorie die Diskrepanz als widerspruchslos erklären. Hier geht es nur noch um die Rechnung; Rechenmethoden sind aber weder gesellschaftliche Normen, noch können sie durch Überredung geändert werden, sie sind ganz einfach richtig oder falsch. Die Schwäche der subjektiven Werttheorie liegt darin, daß sie alle Faktoren, die zu einem Werturteil führen, zu einer Einheit verschweißt. Wohl können die Zielsetzungen subjektiv verschieden sein, bei gegebenen Erfolgen liegt jedoch zwischen Zielsetzung und Werturteil der Wertungsvorgang selbst. Wenn alle Daten (Ziel, Erfolg) gegeben sind, so ist immer noch der Irrtum möglich. Auf die Ausschaltung des Irrtums kommt es aber dem Betriebswirt gerade an - Wertung ist also mehr als nur Geschmackssache. Es geht hier um eine Theorie des Wertens, und zwar des richtigen Wertens; eine solche Theorie hat nichts mit Psychologie zu tun. Daher mag die subjektive Werttheorie vielleicht für das aktuelle Wahlverhalten interessieren, in einer Theorie des richtigen Wertens ist sie nicht brauchbar, denn sie führt nicht zu Aussagen. Die Unwägbarkeit des subjektiven Wertes hat nicht nur zu einer fast generellen Ablehnung dieser Konzeption in der Betriebswirtschaftslehre, sondern auch zu starker Kritik in der Volkswirtschaftslehre geführt.



Das Jahr des Erscheinens dieser Kritik, 1962, ist die "hohe Zeit" der objektiven Unternehmensbewertung, das die Anwendung der Substanzwertmethode, einem Verfahren der Einzelbewertung empfiehlt. Engels lässt sich in seiner Argumentation vollständig von diesem Zeitgeist vereinnahmen. Er lässt ausser acht, dass die Ermittlung eines subjetkiven Unternehmenswertes, der als Grenzpreis die äußerste Grenze der Konzessionsbereitschaft des Käufers bzw. Verkäufers darstellt, unter den Bedingungen eines offenen Entscheidungsfeldes erfolgt. Diesem Bewertungsproblem haften dabei unter Umständen alle Probleme eines schlecht strukturierten Planungsproblems an. Einen "tatsächlichen" Unternehmenswert, wie er von Engels gefordert wird, kann es demnach gar nicht geben. Selbst wenn alle Daten und Fakten bekannt wären, würde die hohe Komplexität des zu bewertenden Unternehmens zu einem Lösungsdefekt führen. In der praktischen Unternehmensplanung und Bewertung sind heuristische Komplexitätsreduktionen unumgänglich. Die dafür erforderlichen Entscheidungen beeinflussen das Bewertungsergebnis. Es kann also nicht postuliert werden, dass ein "tatsächlicher" , einwertiger bzw. eindeutiger, Unternehmenswert ex ante überhaupt möglich sei. Unternehmenswerte können stets nur als eine Bandbreite von Werten widergegeben werden. Je höher die Planungsunsicherheit, desto größer ist diese Bandbreite.



Neben Bewertungseinheit und Zukunftsbezogenheit zählt die Subjektivität heute zu den Rahmenprinzipien der Unternehmensbewertung. In der 1983 veröffentlichten 2. Auflage seines Buches Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung beschreibt Adolf MOXTER dieses Subjektivitätsprinzip:


1. Die aus einem Unternehmen zu erwartenden Erträge hängen vom jeweiligen Unternehmenseigner ab. ...

2. Den Betrag, den ein potentieller Käufer maximal zahlen bzw. den ein potentieller Verkäufer mindestens erlösen muß, hängt auch von den „nichtfinanziellen“ Erträgen ab, die das zu bewertende Unternehmen verspricht: Die Möglichkeiten beruflicher Entfaltung, die persönliche Unabhängigkeit und viele ähnliche Faktoren sind weder bei allen Unternehmen gleich, noch werden sie von allen Käufern bzw. Verkäufern gleich geschätzt. Je stärker bei einem bestimmten Käufer bzw. Verkäufer solche nichtfinanziellen Erträge ins Gewicht fallen, um so höher wird der Grenzpreis sein. ...



3. Subjektbezogen sind die aus dem zu bewertenden Unternehmen erwarteten Erträge, finanzielle wie nichtfinanzielle, auch hinsichtlich ihrer Unsicherheit: Für den Unternehmenseigner zählen nur die künftigen Erträge, und deren Höhe ist ungewiß, sie stellen sich, in einem weiten Sinne verstanden, als „Wahrscheinlichkeitsverteilung“ dar. Wie diese Wahrscheinlichkeitsverteilung beschaffen ist, d.h. welcher Ertragshöhe welche (subjektive) Wahrscheinlichkeit zugemessen wird, das hängt vom jeweiligen Individuum ab: von seinem Kenntnisstand, aber auch von seiner Neigung, künftige Entwicklungen eher pessimistisch oder eher optimistisch zu veranschlagen. ...



4. Subjektbezogen ist nicht nur der aus dem zu bewertenden Unternehmen erwartete Ertrag. Auch der Preis, der für den gleichen Ertrag bei alternativer Erzielung zu entrichten ist, ist grundsätzlich subjektbezogen. ...


5. „Subjektiv“ sind Unternehmenswerte auch im Sinne von „bewerterbezogen“: Selbst der überhaupt nicht auf einen bestimmten Unternehmenseigner zugeschnittene Unternehmenswert ist insofern subjektiv, als er die ganz persönlichen Auffassungen des betreffenden Bewerters widerspiegelt. Diese „Bewerterbezogenheit“ des Unternehmenswertes ist, anders als die Eignerbezogenheit, unerwünscht, aber grundsätzlich unvermeidlich.



6. Mit dem Subjektivitätprinzip ist nicht Bewerterbezogenheit, sondern Eignerbezogenheit gemeint, genauer das Erfordernis, von den ganz subjektiven Verhältnissen des jeweiligen Käufers oder Verkäufers auszugehen, einen in diesem Sinne subjektiven (höchstpersönlichen) Grenzpreis zu ermitteln (und gegebenenfalls auf der Basis derartiger subjektiver Grenzpreise einen Schiedspreis zu bestimmen). ...



In der heute maßgeblichen Funktionalen Unternehmensbewertung ist der subjektive Wertansatz Grundlage und Schwerpunkt der ökonomisch interessanten Hauptfunktionen der Unternehmensbewertung. Die wesentlichen Bausteine zu dieser Funktionenlehre lieferte Manfred Jürgen MATSCHKE. Wertbestimmend ist danach letztlich nur das, was zur Bedürfnisbefriedigung beiträgt, also Nutzen stiftet.



Thomas HERING äußert zum Wesen der Unternehmensbewertung:

Die funktionale Lehre arbeitet als wesentliches Ergebnis deutlich heraus, daß es nicht „den“ Unternehmenswert gibt, sondern lediglich subjektive (vom Bewertungssubjekt in seiner individuellen Bewertungssituation abhängige) Entscheidungswerte und darauf bezogene Werte (in Abhängigkeit vom Bewertungszweck). Dagegen bleibt die amerikanisch geprägte Literatur immer noch weit hinter dem in Deutschland erreichten Forschungsstand zurück. Die Veröffentlichungen zur kapitalmarktorientierten Unternehmenssteuerung und -bewertung setzten sich i.d.R. nicht mit der Literatur zur funktionalen Lehre auseinander. Der Anspruch, die Unternehmensbewertung „demystifizieren“ zu wollen, kontrastiert auf seltsame Weise mit der gleichzeitigen Wiedereinführung des überwunden geglaubten, durchaus mystischen „tatsächlichen Unternehmenswertes“, der auch als „wahrer“, „eigentlicher“, „innerer“, „intrinsischer“, „wirklicher“, „fairer“, „objektiver“ oder „marktorientierter“ Wert durch die Literatur geistert.
(Unternehmensbewertung, 2. Auflage, München 2006, S. 7).



Auch Gerrit BRÖSEL kommt zu dem Fazit:

Objektiv gibt es nur subjektive Werte. Der Entscheidungswert repräsentiert den zentralen Wert der funktionalen Bewertungslehre, deren Basis die Subjektorientierung ist. Der Entscheidungswert – als Grenze der Konzessionsbereitschaft des Bewertungssubjektes in einer Konfliktsituation – bildet nicht nur das Ergebnis der Bewertung im Rahmen der Entscheidungsfunktion, sondern ist auch Grundlage und unverzichtbares Element der Vermittlungs- und Argumentationsfunktion. Entscheidungsunterstützung verlangt u.a. nach Berücksichtigung der in den Merkmalen des Entscheidungswertes verkörperten konkreten Ziele, Erwartungen und Handlungsmöglichkeiten des Entscheidungssubjektes unter realitätsnahen Annahmen .
(Unternehmensbewertung & Management: UM; Bewertungspraxis der Berater und Unternehmen, Herne 2003, S. 130-134).



Zum Schluss ist angesichts des aktuellen Versagens der globalen Finanzmärkte in Erinnerung zu rufen:


Aus der Tatsache, daß ein Preis gezahlt wurde, wird geschlossen, daß ein entsprechender Wert vorhanden sein müsse und umgekehrt, daß die Preise der Güter genau ihre Werte darstellen. Die Möglichkeit des Irrtums - Fehlinvestitionen, falsche Preisbildung-, die durch Bewertung gerade verhindert werden soll, wird begrifflich ausgeschlossen. Dieser Wertbegriff ist deshalb nicht brauchbar.


(Engels, Wolfgang: Betriebswirtschaftliche Bewertungslehre im Licht der Entscheidungstheroie, in: Band 18 der Beiträge zur betriebswirtschaftlichen Forschung, Köln und Opladen 1962, S. 37-39 / Ruf: Die Grundlagen eines betriebswirtschaftlichen Wertbegriffes, Bern 1955)

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