Kay POGGENSEE hat ein Lehrbuch zu dem Themengebiet der Investitionsrechnung vorgelegt, das besonders für den Praktiker einige besondere Vorzüge aufweist: Der Autor verzichtet auf das Gerüst einer formal - wissenschaftlichen Sprache, übrig geblieben ist ein klarer und verständlicher Text. Theorien werden hinreichend gründlich und umfassend erarbeitet und deren Annahmen mit kritischem Blick einem "Realitätstest" unterzogen; für Anwendungsprobleme bietet Poggensee Lösungsvorschläge an. Viele praktische Anwendungsbeispiele dienen dem Verständnis und der Vertiefung des Stoffes.
Auszug (Kapitel 3.2.2 Annahmen der dynamischen Investitionsrechnungsverfahren):
Um die komplexe Realität in einem vereinfachten Abbild der Wirklichkeit, in einem Modell also, abzubilden, sind für die Funktionsfähigkeit der dynamischen Investitionsrechnungsverfahren mindestens sechs Annahmen zu treffen:...
- alle Rechenelemente sind mit Sicherheit bekannt,
- alle Rechenelemente fallen nachschüssig an,
- Zahlungen sind über die Zeit verschiebbar,
- es gibt nur einen Zinssatz,
- als Rechenelemente werden nur Zahlungen beachtet und
- die Annahme von Gewinnmaximierung und Polypol.
3.2.2.1 Die Sicherheitsannahme
Alle Rechenelemente sind mit Sicherheit bekannt.
Durch diese Annahme spiegelt die dynamische Investitionsrechnung eine nicht vorhandene Objektivität wider, da Rechenelemente häufig Schätzungen mit unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten, also mit verschiedenen Standardabweichungen, sind. Deterministische Rechenergebnisse unterliegen damit unterschiedlichen Objektivitätsniveaus.
Bewertung: Durch Anfügen von entscheidungstheoretischen Modellen könnte diese Einschränkung aufgehoben werden, indem Risikoanalysen durchgeführt werden und die Zielkriterien verändert werden, allerdings geht dies deutlich über den Ansatz der dynamischen Investitionsrechnungsverfahren hinaus. Darauf wird in Kapitel 6 eingegangen.
3.2.2.2 Die Nachschüssigkeitsannahme
Alle Rechenelemente fallen nachschüssig an.
Die Rechenergebnisse der dynamischen Investitionsrechnungsverfahren basieren so auf falschen Zahlungszeitpunkten. Generell fallen Zahlungen in einem Investitionsobjekt im allgemeinen Fall in der Praxis kontinuierlich an, Kunden zahlen innerhalb des Zeitraumes eines Jahres mehrfach, Löhne und Betriebsmittelkäufe werden mehrfach im Jahr gezahlt. Die getroffene Annahme verschiebt alle Zahlungen des Zeitraumes Jahr auf den Zeitpunkt Jahresende.
Vorteil dieser Annahme ist, dass in den dynamischen Investitionsrechnungsformeln mit Summenzeichen gearbeitet werden kann, andernfalls müsste mit Integralen oder zusätzlich mit unterjährigen Zinssätzen gerechnet werden, was ungleich aufwändiger ist. Diese Annahme führt dazu, dass die Verzinsungen unterjähriger Zahlungen grundsätzlich ignoriert werden. Dies hat in Abhängigkeit von Zahlungszeitpunkt und Zahlungshöhe einen unterschiedlich verfälschenden Einfluss auf das Rechenergebnis der dynamischen Investitionsrechnungsverfahren.
Bewertung: Dies ließe sich relativ leicht durch die Einführung unterjähriger Zinsfaktoren oder durch Integralrechnung beheben, wird aber in der klassischen dynamischen Investitionsrechnung nicht durchgeführt.
3.2.2.3 Die Zahlungsverschiebungsannahme
Zahlungen sind über die Zeit verschiebbar.
Diese Annahme unterscheidet sich deutlich von den meisten Fällen der betrieblichen Realität, in der Zahlungszeitpunkte für Zahlungen an Mitarbeiter (Lohn), Lieferanten (Vorleistungen), Gläubiger (Zins- und Tilgungszahlungen) ebenso eingehalten werden müssen, wie Kunden Zahlungsziele einhalten sollen. Die dynamische Investitionsrechnung ignoriert so die Liquiditätsplanung vollständig.
Eine nach dynamischer Investitionsrechnung lohnende Investition sagt also nichts über den Liquiditätsstatus des Projektes aus, der durchaus zu einer Insolvenz führen kann. Notwendig ist diese Annahme, um komplexe Investitionsprojekte in einer Kennzahl ausdrücken zu können, sonst könnte für eine mehrjährige Zahlungsreihe z.B. kein Barwert ermittelt werden.
Bewertung: Diese Diskrepanz zur Realität lässt sich heilen, wenn neben der Investitionsplanung vollständige Finanzpläne erstellt werden, die die Liquidität überwachen können.
3.2.2.4 Die Zinsannahme
Es gibt nur einen Zinssatz.
Diese Annahme teilt sich in dieunbegrenzte Beträge können für unbegrenzte Zeit zu konstantem Zinssatz beschafft werden; und
- Geldbeschaffungsprämisse:
unbegrenzte Beträge können für unbegrenzte Zeit zu konstantem und gleichem Zinssatz angelegt werden.Diese Annahme beinhaltet ebenfalls eine deutliche Diskrepanz zur Realität. Getroffen wurde sie, um den Wert einer Investition und nicht den Einfluss der Finanzierung zu bewerten. Ohne diese Annahme würde der identische Datensatz eines Investitionsprojektes ggf. in einem Fall bei einer relativ niedrig verzinsten Finanzierungsmöglichkiet einen positiven Zielwert eines dynamischen Rechenverfahrens ausweisen, während bei einer Finanzierung mit höherer Verzinsung eine Ablehnung des Projektes empfohlen werden würde.
- die Wiederanlageprämisse:
Bewertung: Um das Investitionsobjekt an sich und nicht seine Finanzierungsform zu bewerten, wurde diese Annaheme getroffen. Allerdings bedeutet dies für die Realität, dass die tatsächlichen Finanzierungskosten immer mitbeachtet werden müssen. Eine Möglichkeit stellen dazu wiederum vollständige Finanzpläne dar.
3.2.2.5 Die Rechenelementsannahme
Als Rechenelemente werden nur Zahlungen beachtet.
Da es sich bei den Ergebnissen der Investitionsrechnungsverfahren um eindimensionale pagatorische Kriterien handelt, werden Kosten, die im Betrachtungszeitraum nicht zu Zahlungen führen, und entsprechende Nutzenaspekte nicht beachtet. Wenn also z.B. die sozialen Grenzkosten der Gesellschaft von den privaten Grenzkosten der Unternehmung abweichen, was z.B. bei legalem unentgeltlichem Verbrauch von Umweltressourcen der Fall ist (Emissionen) oder wenn die Gesellschaft Leistungen von Unternehmen nutzt, ohne dafür den vollen Marktpreis zu bezahlen (z.B. Ausbildung), werden diese Aspekte nicht in der dynamischen Investitionsrechnung beachtet.
Bewertung: Eine Berücksichtigung wäre z.B. über eine Kosten - Nutzen - Analyse möglich, das würde aber zwingend eine mehrdimensionale Zielfunktion voraussetzen.
Im Buch hinterlegte Ergebnisse für Beispielrechnungen und Aufgaben, die mit Excel erstellt wurden, stehen auf der Homepage des Gabler Verlages zum Download zur Verfügung. Studierende werden dies zu schätzen wissen.
Prof. Dr. Kay Poggensee ist Direktor des Instituts für Internationale Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Kiel und dort Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Investitionsrechnung.
(Kay Poggensee: Investitionsrechnung, 1. Auflage, Wiesbaden 2009, S. 110-112)
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