Dabei ist der vom Verlag verwendete Begriff der "Investmentkultur" einseitig, weil nicht nur das Verhalten des direkten bzw. indirekten Kreditgebers (Investors), sondern auch das des Kreditnehmers im Social Banking eine erhebliche Bedeutung hat. Eine weiter gefasste Bezeichnung, wie "Finanzkultur" wäre treffender gewesen.
Außerdem vermindert der Verlag die Bedeutung des Social Banking durch seine Hervorhebung des Internets und somit der bloß technischen Möglichkeiten im Web 2.0. Er fokussiert sich auf Zeitersparnisse und auf vermeintlich unkompliziertere Kreditentscheidungen. Der das Social Banking am besten charakterisierende Hinweis fehlt gänzlich, nämlich der auf Ansätze und Erfahrungen zur Integration sozialer Ziele in das Banking. Im Gegensatz zum Verlag weist der Autor Lothar LOCHMAIER dagegen bereits im zweiten Kapitel auf die große Bedeutung sozialer Zielsetzungen hin, die nach seinen Ausführungen Motive für die Gründung der ältesten europäischen Bank waren.
Der Leser möchte also nach der Lektüre des Buches wissen, was diese Investmentkultur ist, wodurch sie entsteht und wie sie wirkt. Ebenso erwartet er Erkenntnisse darüber, wie der Prozess der Kreditvergabe "an" dieser neuen Investmentkultur (an diesem Katalysator) wirkt.
Der Autor stand vor der schwierigen Aufgabe, klassische Banken, die in ihrem Selbstverständnis durchaus ethischen bzw. sozialen Grundsätzen folgen können, vom Social Banking abzugrenzen. So lässt sich der deutliche Hinweis auf das Internet erklären, das in Form sozialer Netzwerke, in die Social Banking eingebettet wird, vielleicht das einzige Unterscheidungskriterium ist.
Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass LOCHMAIER allzu hohe Erwartungen an sein Buch bremst, wenn er sagt:
Kurzum: Ich wollte das Projekt fallen lassen, weil ich das Thema (noch) nicht wirklich greifen konnte ... Doch allmählich sah ich etwas in vagen Umrissen vor mir: einen pragmatischen Mittelweg zwischen einer Vision rund um Social Banking, an die keiner glaubt, weil sie niemals kommen wird, und einer trockenen, aber weitgehend uninspirierten Analyse, die sich so zäh liest wie jedes beliebig austauschbare Regierungsprogramm.
Der hier vorgelegte Beitrag über "Die Bank sind wir" ist deshalb nicht als Kritik zu verstehen, sondern als "Arbeitspapier", um den von Lothar LOCHMAIER aufgegriffenen Themen weitere Aspekte hinzuzufügen und zu diskutieren.
Was ist "Social Banking" und warum hat es sich entwickelt?
Der Frage "Was ist Social Banking" widmet LOCHMAIER ein ganzes Kapitel (S. 8-25). Seine Antworten reichen vom amerikanischen "Community Reinvestment Act" als der modernen Geburtsstunde des Social Banking bis hin zu einer Beschreibung, wie Bankenwelt und soziale Mediennutzung miteinander verschmelzen. Er blickt auf die Ursprünge der sozialen Bank zurück, die nur ein Element in einem Netzwerk von Kooperativen darstellte, so dass die Geldgeschäfte in größere soziale Zusammenhänge eingebettet waren. Bei einem Blick in die Zukunft erkennt LOCHMAIER,
die internetbasierte Generation von Social Banking könnte schließlich das von den Geldinstituten propagierte hierarchische Geschäftsmodell in einem schleichenden Prozess untergraben, weil die direkte Kommunikation zwischen den Nutzern im Mittelpunkt steht.
Der Vermittler wird zwar durch das Netz nicht gänzlich überflüssig, denn er muss die Interessen zwischen Geldgebern und Geldnehmern oder direkt zwischen Anlegern ausbalancieren. Jedoch rücken Banken als Zwischeninstanz und Intermediäre ins zweite Glied. Virtuell organisierte Interessengemeinschaften (Financial Communities) tangieren die von der Wirklichkeit abgehobenen Finanzmanager außerdem dadurch, dass sie über die Mund-zu-Mund-Propaganda im Netz die Banken in ihrem Geschäftsgebaren fortlaufend kontrollieren. Finanzielle Interessengemeinschaften wären dann in der Lage, ganze Geschäftsmodelle zu torpedieren oder neue hervorzubringen. Die vernetzten Geldakteure könnten aber auch dazu beitragen, einen veränderten Blickwinkel auf "systemrelevante Marktmechanismen" zu erhalten. Die bislang passiven "Konsumenten" von Bankprodukten könnten den Finanzsektor und die ganze Wertschöpfungskette bis hin zur Produktgestaltung stärker demokratisieren, als sich dies so mancher Spitzenmanager wünscht, indem sie den Innovationsprozess von neuen Produkten auf den Kopf stellen.
Die Frage, warum sich Social Banking entwickelt hat, beantwortet LOCHMAIER nicht. Einen Erklärungsansatz, der hier kurz präsentiert werden soll, liefert der Nobelpreisträger R.H. COASE in seiner 1937 publizierten Abhandlung
The Nature of the Firm.
Rainer LENZ hat in einem im HANDELSBLATT veröffentlichten Essay
"Das Finanzsystem braucht einen Neustart" (bei Handelsblatt.com am 11.08.2009 veröffentlicht) dessen Gedanken aufgegriffen:
Danach lässt sich jede Produktion statt innerhalb eines Unternehmens auch durch eine Vielzahl dezentraler Verträge zwischen Individuen am Markt organisieren. Während die dezentrale Produktion mit hohen Transaktionskosten verbunden ist, liegt der Vorteil einer zentral im Unternehmen organisierten Produktion in niedrigeren Managementkosten standardisierter Geschäftsprozesse. Dieser Vorteil schwindet aber mit Anzahl und Heterogenität der zu organisierenden Geschäftsprozesse stetig und überschreitet mit steigender Komplexität der Prozessorganisation den Zenit, also jenen Punkt, an dem die dezentrale Marktlösung mit einer Vielzahl von Spezialisten wieder einen Effizienzvorteil hat.
Aus den selben Gründen, aus denen sich Social Banking entwickelt hat, ist eBay entstanden. LOCHMAIER erkennt dies:
Etwas plakativ wird dieser Trend als "eBay des Geldes" etikettiert, was allerdings nur bedingt zutrifft. Eine offensichtliche Gemeinsamkeit mit eBay ist der Umstand, dass zahlreiche Manager, die sich als Gründer der neuen Kredit - Plattformen selbständig gemacht haben, zuvor nicht selten für das Internet - Auktionshaus tätig gewesen sind. Auch einige der Prinzipien sind ähnlich: ...
LENZ vertritt in seinem HANDELSBLATT - Essay die Meinung:
Die Banken haben versagt. Sie sollten daher durch eine supranationale Plattform für Finanzdienstleistungen ersetzt werden. Sie würden durch den Einsatz von Informationstechnologie die Transparenz, den Wettbewerb und die Mobilität von Kapital erhöhen.
Einen ergänzenden Ansatz liefert der erst vor wenigen Jahren in die wisschenschaftliche Diskussion eingeführten Begriff des "Sozialkapitals". Was ist Sozialkapital? Naturgemäß gibt es in der noch andauernden Phase der Begriffsbildung zahlreiche Definitionen. Eine interessante Erklärung bietet Monika JUNGBAUER - GANS:
Nach ihrer Auffassung ist der Begriff "Sozialkapital" sowohl als Merkmal von Individuen bzw. Beziehungen zwischen Individuen wie auch als Merkmal von Kollektiven aufzufassen. In inhaltlicher Sicht ist das Konzept des sozialen Kapitals offen. Es lässt sich deswegen auch auf Social Banking anwenden. Beispielsweise lässt sich sagen, dass die Größe von sozialen Netzwerken positiv mit der Menge an Ressourcen und Unterstützung korreliert. Weitere Gesichtspunkte:
Normative bzw. kulturelle Dimensionen individuellen sozialen Kapitals sind: Vertrauen, generalisiertes Vertrauen und Vertrauen in Institutionen; weiterhin Einstellungen zu ethischen Fragen wie z.B. Toleranz, Kriminalitätsfurcht, gegenseitige Hilfeleistungen, Solidarität, Zusammengehörigkeitsgefühle oder Demokratie.
Diese Einstellungen erleichtern die Zusammenarbeit und Kooperation. Menschen, die sich gemeinschaftsbezogene Einstellungen zu Eigen gemacht haben, sind eher bereit, selbst eine Vorleistung zu erbringen, weil sie darauf vertrauen, dass andere dies honorieren und nicht ausnützen.
Sollte dieses Vertrauen nicht enttäuscht werden, trägt eine kooperative Herangehensweise mittel- und langfristig zur Senkung von Transaktionskosten bei. An dieser Stelle lässt sich die Theorie des Sozialkapitals sogar mit den Gedanken von R.H. COASE verknüpfen und auf das Social Banking beziehen.
Wie Vertrauen entsteht und welchen Einfluss soziale Netzwerke auf rationales Handeln von Individuen haben, sind zentrale mikropolitische Fragestellungen der Theorie des sozialen Kapitals.
Auf der makropolitischen Ebene ist die Einsicht interessant, dass der Verlust an traditioneller Gemeinschaft in modernen Gesellschaften durch soziale Netzwerke kompensiert werden kann und will. Das von LOCHMAIER in seinem Buch bereits auf Seite 1 beklagte Fehlen einer qualifizierten Beratung durch die klassische Bank ist durchaus eine Erscheinungsform des Verlustes von Gemeinschaft. Er schreibt:
Das Geschäft mit dem Privatkunden stellt aus Sicht der Geldinstitute nur einen Randbereich dar. Ungleich größere Gewinne verspricht das Investmentbanking und Agieren in hochdynamischen Kapitalmärkten. Es scheint, dass sich die träge Masse der durchschnittlichen Anleger beliebig auf dem Schachbrett hin und her navigieren lässt. In den Bankfilialen hat sich eine lähmende Stimmung breit gemacht, zwischen dem eigenen Anspruch, kundenfreundlich zu sein, und einer flächendeckend mangelhaften Beratungsqualität.
Welche Erscheinungsformen hat "Social Banking" ? Ist es sicher?
Wiederum sehr ausführlich werden in dem Buch "Die Bank sind wir" die Erscheinungsformen des Social Banking dargestellt. Die Internet - Kreditportale werden in vier Gruppen eingeteilt:
- Kommerzielle Online - Kreditauktionen,
- nach sozialen Kriterien gestaltete Mikrofinanz - Plattformen,
- Bildungskredite,
- Kreditplattformen für unternehmerische Zwecke.
Das Buch richtet sich also nicht nur an Privatkunden, sondern kann auch für diejenigen interessant sein, die sich beruflich mit Unternehmensfinanzierungen und Unternehmensbewertungen beschäftigen. LOCHMAIER weist darauf hin, dass sich private Investoren bei
Seedmatch ab einem Mindestbetrag von 1.000 € an einem Unternehmen beteiligen können. Darüber hinaus beschreibt der Autor das Geschäftsmodell der Noa Bank, die
eine im Bereich der Unternehmensfinanzierung ebenfalls immer größer werdende Marktlücke zu adressieren versucht. ... Das auf zwei Säulen basierende Geschäftsmodell der Noa Bank fußt einerseits darauf, private Anleger mit wettbewerbsfähigen Konditionen bei Girokonto, Tagesgeld und Festzinsanlagen zu gewinnen im Sinne einer transparenten Geldanlage jenseits von Kapitalmarktorientierung und Spekulation. Neben diesen Sparanlagen bildet die zweite Säule die daraus resultierende Kreditvergabe für klein- und mittelständische Unternehmen.
LOCHMAIER hat auch Antworten auf die Frage nach der Sicherheit von Social Banking - Plattformen:
Letztlich geht es doch nicht ganz ohne eine Bank, um die Kreditvergabe sowohl rechtlich als auch betriebswirtschaftlich abzusichern. ...
Geld verdient etwa das britische Unternehmen Zopa, weil Bonitätsprüfung, Kreditvermittlung und Abwicklung im Gegensatz zu herkömmlichen Kreditinstituten voll automatisiert sind und ausschließlich über das Internet erfolgen. Den Kreditgebern verspricht Zopa eine durchschnittliche Rendite von 6,5 Prozent auf ihre Einlage. Der Marktmechanismus funktioniert so, dass der Betreiber das eigene Terrain durch eine sorgfältige Überprüfung der Kreditwürdigkeit gegen ein allzu hhes Ausfallrisiko absichert. Allerdings verbleibt das Risiko letzten Endes immer komplett beim Anleger.
Wie wirkt "Social Banking"?
Dabei geht es um eine Antwort auf die Frage, wie Social Banking an dem Katalysator "neue und nachhaltige Investmentkultur" wirkt. "Die Bank sind wir" geht im 4. Kapitel auf einen Teilaspekt dieses Problems, nämlich auf eine Optimierung der Geldanlage ein. Demnach erzeugt Social Banking einfache Werkzeuge, die für Überblick sorgen:
Das Ziel dieser Werkzeuge besteht einerseits darin, unnötige Kosten für Kreditkarten und Bankgebühren zu reduzieren, um dadurch mehr Selbstkontrolle über das eigene Finanzverhalten zu gewinnen, aber manche Plattformen gehen einen Schritt weiter: ...
LOCHMAIER thematisiert in diesem Zusammenhang außerdem die Phänomene "kollektive Anlegerintelligenz" und "Herdentrieb".
Schließlich weist der Autor darauf hin, dass
die klassischen Marktreviere von Investmentbanken ins Wanken geraten.
Wer ist die Bank?
Auf diese Frage, die sich durch den Titel des Buches aufdrängt, geht Lothar LOCHMAIER ein, indem er die Nutzer der einzelnen Plattformen beschreibt. Mehr als eine Momentaufnahme ist dabei aber naturgemäß nicht heraus gekommen; eine derartige Antwort geht am Thema des Buches vorbei, denn das Thema suggeriert, dass "wir" die soziale Bank sind. Dieses Verständnis von einer sozialen Bank führt vielmehr dazu, soziale Banken nicht als Institutionen, sondern als Systeme aufzufassen. Es geht somit darum, zu erkennen, "wer" so ein System der sozialen Bank bildet und was "systemisches Denken" bedeutet.
Unter "systemisch" kann in diesem Zusammenhang verstanden werden, dass strukturarme mono-kausale durch zirkuläre Erklärungen ersetzt werden, und statt islolierter Objekte werden in einem System die Relationen zwischen ihnen betrachtet. Aus diesen anders strukturierten Erklärungen von Phänomenen können alternative und manchmal auch überraschende Handlungskonsequenzen gezogen werden. Im Grunde geht es somit um die Fragestellung nach der Steuerung von Verhalten innerhalb eines Systems des Social Banking.
In der Systemtheorie wird Wirtschaft als ein Kommunikationssystem begriffen. Und die Teilnehmer an dieser Kommunikation (Individuen wie Organisationen oder auch der Staat) werden als Beobachter konzeptualisiert, die jeweils sehr unterschiedlich beschreiben, erklären und bewerten können, was sie beobachten oder auch nicht beobachten. Kein Beobachter kann für sich beanspruchen, einen Zugang zur "objektiven Wahrheit" zu haben.
Welche Bedeutung kann "Social Banking" in der Zukunft erlangen?
LOCHMAIERs Zukunftsvision lautet:
Common Banker als seriöse Verwalter von Gemeinschaftsgütern.
Deshalb sind transparente Austauschbedingungen und faire Entlohnungssysteme ein unverzichtbarer Bestandteil für den Erfolg von Social Banking, soll das bislang starre hierarchische Finanzsystem sich auch nur ansatzweise mithilfe des Internets demokratisieren lassen, sodass Geld als gesellschaftliches Gemeingut nicht nur in die Hände einiger weniger exklusiver Spieler gelangt.
Fazit:
Das Buch "Die Bank sind wir" beantwortet wichtige Fragen zum Thema Social Banking. Es umfasst sechs Kapitel und einen Anhang:
- Wozu Banken da sind - und was sie nicht gerne tun.
- Was ist Social Banking?
- Online-Kreditauktionen: Kunden gestalten Darlehensvergabe.
- Wie finanzielle Netzwerke die Geldanlage optimieren.
- Die Nutzer der einzelnen Plattformen.
- Finanzdemokratie 2.0 zwischen Mythos und Realität.
- Anhang: The Banking Wall.
Lothar Lochmaier ist dafür zu danken, dass er das zunehmend an Bedeutung gewinnende "Social Banking" aufgegriffen hat. Er beschreibt Social Banking mit einer gewissen inneren Distanz, sein Buch enthält keine Werbebotschaften. Diese kritische Haltung schafft Glaubwürdigkeit.
In künftigen Auflagen sollte das Buch um eine theoretische Einordnung des Social Banking ergänzt werden, um Anknüpfungspunkte für weiterführende Überlegungen zu haben. Für genauere Überlegungen zur Wirkung von Social Banking kann es außerdem fruchtbar sein, Social Banking als "systemisch" im Sinne der Systemtheorie aufzufassen.
(Lochmaier, Lothar: Die Bank sind wir, TELEPOLIS, Hannover 2010)