Wir leben in einer Wissensökonomie. In ihr sind es die immateriellen Güter, die für den Wert eines Unternehmens maßgegend sind. Qualitative Merkmale werden durch den Kapitalwertkalkül, auf den sich die am häufigsten benutzten Methoden der Unternehmenswertermittlung stützen, jedoch nicht erfasst.
Noch schwerer wiegt, dass der Kapitalwertkalkül mit den zunehmenden Unvollkommenheiten der Kapitalmärkte nicht mehr Schritt halten kann. Wie kann dieser Mangel überwunden werden? Mit dieser Frage hat man sich im deutschen Wissenschaftsraum bereits in den 1970er Jahren ernsthaft auseinandergesetzt.
Rüdiger BRETZKE hat sich in seiner Schrift Das Prognoseproblem bei der Unternehmensbewertung (Düsseldorf 1975) auch mit dem Capital - Budgeting - Modell auseinandergesetzt, das eine Unternehmensbewertung o h n e Kalkulationszinsfuß erlaubt:
"Die Konsequenzen einer expliziten Berücksichtigung aller im Falle des Nicht-Kaufes der Unternehmung vorgesehenen Investitions- und Finanzierungsmaßnahmen des präsumtiven Käufers sind in der Literatur zuerst von JAENSCH und SIEBEN diskutiert worden. Diese beiden Autoren überführen das Problem der Grenzpreisermittlung in ein Programmplanungsmodell von der logischen Struktur des sogenannten "Knapsack - Problems". Dabei unterstellen sie, daß das Bewertungssubjekt über eine vorgegebenen Kapitalfonds Q verfügt und daß sein Entscheidungsfeld durch eine endliche Menge von n alternativen Anlagemöglichkeiten beschrieben werden kann, die ihrerseits durch einen "repräsentativen Zukunftserfolg" bzw. einen als konstant angenommenen Periodengewinn ... sowie durch eine Anschaffungspreis von ... gekennzeichnet sind.
...
Als Lösung dieses Problems ergibt sich diejenige Kombination von Variablen ... , die unter den zulässigen Kombinationen die wenigsten Mittel beansprucht und die somit den höchsten Geldbetrag für den Erwerb der Unternehmung freisetzt. Der Grenzpreis, der dieser "Bewertungsprogramm" genannten Kombination der Variablen ... entspricht und der sich aus der Differenz zwischen dem Kapitalfonds und dem Gesamtpreis der durch die Unternehmung verdrängten Objekte ergibt, liegt in der Regel über dem Grenzpreis, der sich aus einer Diskontierung des Unternehmenserfolges X mit dem internen Zinsfuß der besten unter den erfolgsgleichen Anlagepolitiken ergibt, da die Unternehmung bei dieser Formulierung des Problems nicht mit den rentabelsten, sondern mit den unrentabelsten erfolgsgleichen Anlagen des Basisprogramms konkurriert. Denn die unrentabelsten Anlagen binden im Verhältnis zu ihrem Erfolg das meiste Kapital und ermöglichen infolgedessen im Falle ihrer Substitution durch die Unternehmung den höchsten, vor dem Rationalitätsprinzip noch vertretbaren Grenzpreis.
Die Zurückführung des Grenzpreisproblems auf das Capital - Budgeting - Problem bringt den Vorteil mit sich, daß der Kalkulationszinsfuß, dem im Barwertmodell die Aufgabe der Übertragung des Preis / Gewinn - Verhältnisses von einem Vergleichsobjekt auf ein Bewertungsobjekt zufällt, überflüssig wird. Zwar läßt sich das Ergebnis des Capital - Budgeting - Modells immer auch durch eine Diskontierung des Unternehmungserfolges mit dem durchschnittlichen internen Zinsfuß der durch die Unternehmung aus dem Basisprogramm verdrängten Investitionsobjekte errechnen. Dieser Zinsfuß fällt jedoch erst nach Durchrechnung des Capital - Budgeting - Modells an und ist insofern nicht Mittel, sondern Ergebnis des Grenzpreiskalküls.
Angesichts der Schwierigkeiten, unter den Bedingungen des unvollkommenen Kapitalmarktes einen entscheidungstheoretisch vertretbaren und zugleich praktisch brauchbaren Kalkulationszinsfuß abzuleiten, muß der Nachweis der Möglichkeit einer Bewertung ohne Kalkulationszinsfuß als Lösung eines "Gordischen Knotens" erscheinen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der "Knoten" durch das Capital-Budgeting-Modell in der bisher gegebenen Formulierung in befriedigender Weise gelöst wird. Ohne Zweifel läßt dieses Modell den Kalkulationszinsfuß als Träger des Vergleiches der "Vorteilhaftigkeit der Kapitalanlage Unternehmung mit der Vorteilhaftigkeit anderer Kapitalanlagen" überflüssig werden. In seiner Funktion als Mittel der Amalgamation von Erfolgen unterschiedlicher Perioden wird er jedoch nur durch die Annahme eines gleichbleibenden Erfolgsstromes, also nicht durch die logische Struktur des Modells, sondern durch eine Prämisse seiner Anwendbarkeit überflüssig. Da diese Prämisse ihrerseits recht problematisch ist und als sehr restriktiv angesehen werden muß, erscheint fraglich, ob der Preis, um den der Kalkulationszinsfuß als Mittel der Grenzpreisbestimmung ausgeschaltet wird, nicht zu hoch ist. Denn anstatt die Kalkülstruktur den Erfordernisses des jeweils zu lösenden praktischen Problems anzupassen, zwingt man hier den Bewertungsträger, die Struktur seines Problems den formalen Erfordernissen des Kalküls anzupassen. Die Verzerrungen, die eine solche Vorgehensweise nach sich ziehen kann, sind offensichtlich. Sie fallen um so mehr ins Gewicht, je mehr die geschätzte Erfolgsentwicklung im Einzelfall von der Voraussetzung eines gleichbleibenden Erfolgsstromes abweicht.
Der Nachteil, der mit der Prämisse eines gleichbleibenden Erfolgsstromes verbunden ist, läßt sich auf zwei verschiedenen Wegen überwinden. Der erste, von SIEBEN und MATSCHKE beschrittene Weg besteht in der Substitution der Gewinngrößen ... durch Nutzengrößen ...
Das Modell wird damit bei sonst unveränderter Struktur in ein Nutzenmaximierungsmodell transformiert. Da die Abbildung von Gewinnströmen in Nutzengrößen unabhängig von dem jeweiligen zeitlichen Verlauf der Gewinnentwicklung ist, ist die Anwendbarkeit des derart modifizierten Modells formal auf beliebige Verlaufstypen, also auch auf wachsende und schrumpfende Unternehmungen, gewährleistet. Mit der Einführung von Nutzengrößen wird das Modell allerdings mit der Problematik der empirischen Nutzenmessung belastet, für deren Lösung bislang noch keine befriedigenden Verfahren zur Verfügung stehen.
Der zweite Weg zur Überwindung der Schwächen des auf repräsentativen Gewinngrößen aufgebauten Capital - Budgeting - Modells besteht in einer expliziten Berücksichtigung aller Zahlungsströme, die von den Alternativen des Entscheidungsfeldes im Falle ihrer Aufnahme in das Programm verursacht werden. Dieser Weg ist von LAUX und FRANKE beschritten worden. Laux und Franke haben das Investitionsmodell von Hax erweitert, indem sie in die Zielfunktion, die die Maximierung von Einzahlungsüberschüssen der letzten Periode (t = T) des Planungszeitraumes unter Einhaltung eines vorgegebenen Entnahmestromes verlangt, sowie in die Nebenbedingungen, die für alle Perioden des Planungszeitraumes die Einhaltung der Liquidität verlangen, die jeweils durch die Unternehmung zu erwartenden Auszahlungsüberschüsse .. eingefügt haben. Das Modell, das Investitions- und Finanzierungsmaßnahmen simultan aufeinander abstimmt und damit die Prämisse der Kapitalrationierung überwindet, nimmt mit diesen Modifikationen die folgende Form an:
...
Die Ermittlung des gesuchten Grenzpreises gestaltet sich mit Hilfe dieses Modells wie folgt. Man ermittelt zunächst für einen Preis P', bei dem der Erwerb der Unternehmung apriori als vorteilhaft angesehen werden kann, das optimale Kapitalbudget (i.e. gemäß Zielfunktion das endwertmaximale Bündel aus Investitions- und Finanzierungsmaßnahmen) und läßt dann P solange über P' hinaus wachsen, bis die Variable vu, die über Kauf oder Nichtkauf der Unternehmung entscheidet, von Eins auf Null umspringt, d.h. bis die Unternehmung als Kapitalanlage aus dem optimalen Programm ausgeschlossen wird. Der Wert von P, bei dem dieser Umsprung stattfindet, ist der gesuchte Grenzpreis.
Problematisch erscheint neben der relativ starren Behandlung der Zeitpräferenz bei diesem Ansatz in erster Linie die Prämisse, daß nach dem Planungshorizont T keinerlei Zahlungen mehr anfallen. Abgesehen von diesen beiden Mängeln stellt das Modell von Laux und Franke jedoch eine recht elegante Lösung des Problems der Unternehmungsbewertung bei vollkommener Information und unvollkommenem Kapitalmarkt dar."
Literatur
JAENSCH: Ein einfaches Modell der Unternehmungsbewertung ohne Kalkulationszinsfuß, in: ZfbF, 18. Jg., S. 660 ff., 1966.
LAUX / FRANKE: Zum Problem der Bewertung von Unternehmungen und anderen Investitionsgütern, in: Ufo, Bd. 13, S. 205 ff, 1969.
MATSCHKE: Der Gesamtwert der Unternehmung als Entscheidungswert, in: BFuP, 24. Jg., S.146 ff., 1972
MATSCHKE: Der Entscheidungswert der Unternehmung. Diss., Köln, 1973.
SIEBEN: Bewertungs- und Investitionsmodelle mit und ohne Kapitalisierungszinsfuß. Ein Beitrag zur Theorie der Bewertung von Erfolgseinheiten, in: ZfB, 37 Jg., S. 126 ff., 1967.
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