Die im Zuge des "Shareholder Value - Konzeptes" aus dem angelsächsischen Wissenschaftsraum zu uns herübergeschwappte "Marktwert" - Lehre ist unverdrossen bemüht,
"...den Wert eines Unternehmens aus einem aus neoklassischen Annahmen abgeleiteten Gleichgewichtspreis in eins zu setzen."(Zitat aus HERING: Unternehmensbewertung, 2. Auflage, München 2006, Vorwort)
Das Entscheidende an dieser Betrachtung ist, dass ein Preis für handelbare Unternehmensanteile - nicht für das Unternehmen als Ganzes - abgeleitet wird, wobei die subjektiven Wertvorstellungen der Marktteilnehmer mit diesem Gleichgewichts - Preis übereinstimmen, so dass Wert und Preis eines Unternehmens genau gleich sein sollen. Aus dieser Sichtweise erhebt sich - ohne auf die Problematik im Detail eingehen zu wollen - die Grundsatzfrage, welche Motivation Käufer bzw. Verkäufer für eine Transaktion haben. Ein präsumtiver Käufer wird nur dann Verhandlungen beginnen, wenn er davon überzeugt ist, dass der Wert des Unternehmens höher als der Preis ist, den er dafür zu entrichten hat; andernfalls würde er bei rationaler Handlungsweise sein Geld behalten. Entsprechendes gilt für den potenziellen Verkäufer.
Als Vergleichsmaßstab spielt lediglich der ex post an den Börsen festgestellte Preis für marginale Anteilsübertragungen, hochgerechnet auf die Gesamtheit der Anteile (Börsenwert oder Börsenkapitalisierung), eine Rolle. So erachtete kürzlich das OLG Düsseldorf den Börsenkurs einer Aktie insoweit als maßgeblich, als dieser für den Unternehmenswert grundsätzlich die Untergrenze bilde (Beschluss vom 31.03.2009, I-26 W 5 / 08, AMB Generali).
Dagegen kann es nicht Aufgabe der Unternehmensbewertung sein, für ein Unternehmen einen Preis zu bestimmen. Darauf hat bereits Busse von Colbe in seinem ersten Buch Der Zukunftserfolg, das 1957 veröffentlicht wurde, auf Seite 10 hingewiesen. Laut Busse von Colbe sei der Preis des Unternehmens als Ganzes vom Verhandlungsgeschick der Parteien und von anderen Imponderabilien abhängig, so dass sich seine Prognostizierung einer theoretischen Analyse entziehe.
Das Preis - Problem muss aber trotzdem nicht aus theoretischen Betrachtungen ausgeklammert bleiben. Angesichts von interpersonalen Konfliktsituationen beim Kauf bzw. Verkauf ganzer Unternehmen kann es durchaus sinnvoll sein, den in dieser Situation ablaufenden Preisbildungsprozess zu analysieren.
Günter JAENSCH hatte sich bereits in seiner 1966 veröffentlichten Dissertation Wert und Preis der ganzen Unternehmung (Köln und Opladen) unter der Überschrift Die Verhandlungstheorie als Ausgangspunkt der Analyse des Preisbildungsprozesses dieses Themas angenommen:
"Beim Übergang ganzer Unternehmungen in andere Hände besteht kein Markt in dem Sinne, daß sich ein eindeutiger Gleichgewichtspreis ergibt. Da dem Markt beim Verkauf einer Unternehmung das Strukturelement "Viele" auf beiden Seiten fehlt, muß der Preis unter Berücksichtigung der subjektiven Wertvorstellungen und der Stärke der einzelnen Parteien ausgehandelt werden. Beim Verkauf großer Unternehmungen - hierauf bezieht sich unsere Untersuchung im wesentlichen - wird die Marktsituation in der Regel dadurch gekennzeichnet, daß entweder ein Verkäufer einem Käufer gegenübersteht oder aber ein Verkäufer mehreren Kaufinteressenten. Es liegt also entweder die Marktform des bilateralen Monopols der die des Monopol - Oligopsons vor. Der Verkäufer der Unternehmung wird hierbei versuchen, einen möglichst hohen Preis und damit zugleich einen hohen Gewinn zu erzielen. Der oder die Kaufinteressenten werden dagegen bestrebt sein, die Unternehmung für einen möglichst niedrigen Preis zu erwerben, um sich ihrerseits einen hohen Gewinn zu sichern.
Zwischen den beiden Parteien besteht also ein Interessengegensatz bezüglich des aufzuteilenden Gewinns, dessen Höhe durch die Differenz der beiden subjektiven Gesamtwertvorstellungen gegeben ist. Dieser Interessengegensatz ist jedoch kein absoluter. Die beiden Marktparteien werden vielmehr bestrebt sein, sich innerhalb des Bereichs zwischen den beiden subjektiven Gesamtwertvorstellungen zu einigen, da eine Einigung in diesem Bereich für beide Kontrahenten vorteilhaft ist. Diese Besonderheit der Interessenstruktur ist typisch für Verhandlungssituationen. Weder Anbieter noch Nachfrager haben eine so starke Stellung, daß sie den Preis autonom fixieren können. Der Preis kann nur kooperativ, d.h. durch Verhandlungen und gemeinsame Aktion der Parteien bestimmt werden.
Die Analyse des Preisbildungsprozesses in derartigen Verhandlungssituationen ist eines der schwierigsten Kapitel der Preistheorie. Das Problem kann mit dem herkömmlichen Instrumentarium der Preistheorie nicht gelöst werden. Hiermit ist nur das Abstecken des (pareto - optimalen) Einigungsbereichs möglich. Es müssen daher andere Wege beschritten werden, wenn man die Frage nach einem eindeutigen Gleichgewichtspreis in Verhandlungssituationen stellt. Hierfür sind in jüngerer Zeit einige Ansätze entwickelt worden, die unter dem Begriff "bargaining - theory" zusammengefasst werden.
Als einen möglichen Ausgangspunkt zur Analyse des Preisbildungsprozesses beim Verkauf einer ganzen Unternehmung und somit auch zur Entwicklung der Grundzüge einer Theorie vom Preis der ganzen Unternehmung kann daher die moderne Verhandlungstheorie angesehen werden."
Wer im deutschsprachigen Wissenschaftsraum nach einigermaßen aktuellen Forschungsarbeiten zur Unternehmensbewertung mit der Verhandlungstheorie als Bezugsrahmen sucht, wird kaum etwas finden. Aber selbst eine globale Suche nach ergiebigen Fundstellen führt zu - zahlenmäßig spärlichen - Erträgen. Im Jahre 2002 erschien die Abhandlung Bargaining with Incomplete Information von AUSUBEL / CRAMTON / DENECKERE (in: AUMAN / HART, Hrsg., Handbook of Game Theory, Amsterdam 2002, Kapitel 50), die man unter diesem Link finden und herunterladen kann.
Sucht man jedoch nach deutschsprachigen Wissenschaftlern im angelsächsischen Wissenschaftsraum, wird es spannend. Dann liest man mit höchstmöglichem Erkenntnisgewinn die von XENIA MATSCHKE (University of Connecticut) verfasste Abhandlung Funktionale Unternehmensbewertung im Lichte der Vertragstheorie (in: BFuP 4 / 2009, S. 388-402) und kann möglicherweise einiges in den Bezugsrahmen der Verhandlungstheorie hineinprojizieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen