Der risikolose Basiszinssatz ist auf einem historischen Tiefstand. Dieses äußerst niedrige Zinsniveau soll allein der besseren Bewältigung der Finanzkrise dienen und kann deshalb durchaus als irrational bezeichnet werden. Bei Anwendung des Kapitalwertkalküls führt eine Senkung des risikolosen Basiszinssatzes ceteris paribus zu einem höheren Unternehmenswert. Schlussfolgerung: Die Folgen der Finanzkrise erhöhen die Werte von Unternehmen. Das wäre in der Tat eine Paradoxie.
Für Herbert HAESELER und Frank HÖRMANN ist dies der Ansatzpunkt für eine vernichtende Kritik an der DCF - Methodik:
Die Irrationalität der Kapitalmärkte
Hier sollen jedoch die konkreten Konsequenzen der Anwendung dieser Methoden für einzelne Entscheidungsträger in Zeiten irrationaler Zinssatzänderungen demonstriert werden. Die internationalen Kapitalmärkte sind nämlich gegenwärtig durch ein zunehmend irrationales Verhalten ihrer Akteure gekennzeichnet. Eine der Ursachen hierfür kann konkret darin gesehen werden, dass einzelne Teilnehmer, insbesondere Trader, durch Ersterfolge spielsüchtig werden und ihre Handlungen dann dieser Sucht gehorchen. Eine lesenswerte Quelle dazu stellt der ehemalige Trader und nunmehrige Professor für Philosophie Nassim Nicholas Taleb dar, der genau beschreibt, wie seine Vorgesetzten bei verschiedenen Fonds die Spielsucht der Trader (diese besuchten z.B. stets Casinos und Rennbahnen in ihrer Freizeit) aktiv unterstützten - mit der Argumentation, sie entwickelten dadurch ein "Gefühl für den Markt". Er beschreibt darin auch sehr anschaulich, weshalb gute Trader (welche kurzfristig große Erfolge mit ihren Investments erzielen) tatsächlich eben gefährliche Trader sind (sie gewinnen zu viel Selbstvertrauen und gehen immer größere Risiken ein, werden aber von ihren Vorgesetzten aufgrund ihres "Erfolges" gefördert, indem ihnen immer größere Portfolios zur Verwaltung anvertraut werden). Wegen dieser problematischen Scheinerfolge (in einer zufälligen Umgebung) kommt es zu einer kontinuierlichen Risikosteigerung, welche unvermeidlich irgendwann im Crash endet.
Auch die sog. Experimental Economics, eine Forschungsrichtung, in welcher versucht wird, mittels Experimenten (früher durch Hochhalten von Kartons im Hörsaal, heute mittels Simulationsprogrammen in Computernetzen) das Entstehen von Gleichgewichtspreisen zu erkunden, wissen längst, dass nur beim Handel realer Güter ein langfristiger Gleichgewichtspreis existiert. Sobald hingegen Wertpapiere gehandelt werden, kommt es stets zum gleichen Phänomen: Blase - Crash - Blase - Crash ...!
Die Ursache hierfür liegt darin, dass für Wertpapiere, insb. für Aktien, kein subjektiver Grenzpreis existiert. Bei jedem realen Gut kann ein Investor stets eine obere Preisgrenze nennen, die er keinesfalls zu überschreiten gewillt ist. Aus der Summe dieser subjektiven Grenzpreise ergibt sich dann, nach mehreren Transaktionsrunden, der sog. Gleichgewichtspreis. Bei Aktien existiert dieser subjektive Grenzpreis hingegen deshalb nicht, weil hier kein konkreter Nutzen erkennbar ist. Dieser ergibt sich vielmehr daraus, dass die anderen Marktteilnehmer den Wert dieses Papieres einschätzen. Da diese anderen Marktteilnehmer sich jedoch - anteilig - wieder am Verhalten des konkreten Investors selbst orientieren, stellen Aktienmärkte ein rückgekoppeltes Informationsnetzwerk dar. Rückgekoppelte Systeme sind jedoch durch ein chaotisches Verhalten gekennzeichnet.
Auch dies ist schon zumindest seit den 1960er - Jahren bekannt und wurde u.a. vom Entdecker der fraktalen Geometrie, Benoit B. Mandelbrot, in mehreren Publikationen ausführlichst und besonders eindrucksvoll dargelegt. Da seine Ansätze sich jedoch nicht dazu ge - / missbrauchen lassen, zukünftige Kurse zu "prognostizieren", fanden sie in der Anlagepraxis leider kaum Beachtung.
Welche geballte Marktmacht diese u.U. spielsüchtigen Trader entalten können, offenbart auch der jüngste "Skandal" bei der Societe General:
Der verantwortliche Maklere Kerviel hatte nach Angaben eines Beraters von Staatspräsident Nicolas Sarkozy bei seinen Spekulaitonen mehr als 50 Milliarden Euro aufs Spiel gesetzt. Der Betrag überstieg den Börsenwert der SG um rund 15 Milliarden Euro. Die Traditionsbank verlor durch die Spekualtion fast fünf Milliarden Euro.
Wer Taleb, Miller / Smith und Mandelbrot gelesen (und verstanden) hat, für den ist der Vorfall in der Societe Generale keine Überraschung, sondern offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs.
Von irrationalen Kapitalmärkten zu irrealen Unternehmenswerten
Um "die Märkte zu beruhigen", senkte die US - amerikanische FED den Leitzins Mitte Jänner 2008 zunächst um 0,75 Prozentpunkte, eine weitere Senkung um 0,5 Prozentpunkte wird erwartet und ist, bei Erscheinen dieses Beitrags, u.U. bereits vollzogen. Finanzexperten erwarten, dass auch die EZB früher oder später um eine ZInssatzsenkung nicht herumkommt.
Eine kumulative Zinssatzsenkung um insgesamt 1,25 Prozentpunkte wirkt sich jedoch, rein rechnerisch, bei einem bereits niedrigen Basiszinssatz von 4,25 % recht drastisch aus. Es handelt sich konkret bereits um nicht weniger als 29 % des Ausgangswerts. Im Modell der ewigen Rente erhöht aber bekanntlich die Verminderung der Alternativrendite stets die Rendite des zu bewertenden Investitionsobjektes; dies auch, ohne dass sich am Investitionsobjekt selbst irgendetwas verändert hätte!
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Es ist daher einsichtig, dass über die dogmatische Verkettung der Unternehmenswerte mit dem jeweiligen Zinsniveau in Zeiten zunehmender Volatilitäten und Irrationalitäten der Kapitalmärkte auch die solcherart ermittelten Kauf- bzw. Verkaufspreise keinesfalls zur nachhaltigen Zufriedenheit der involvierten Parteien führen können!
Fazit
Die Kapitalmärkte wurden und werden von den auf ihnen agierenden "Spielern" nach wie vor nicht als das erkannt, was sie in Wahrheit sind: ein rückgekoppeltes Informationsnetzwerk, welches chaotische Kursverläufe generiert (umgangssprachliche Formulierung: Casino). Jeder Theoretiker, der unter Ausblendung dieser Tatsache dogmatische Rechenmethoden für Unternehmensbewertungen empfiehlt, handelt in dieser Funktion daher grob fahrlässig!
Den mit der Unternehmensbewertung befassten Praktikern kann, solange sie von ihrer Standesvertretung faktisch genötigt werden, sich fragwürdigen, dogmatischen Formalismen zu unterwerfen, nur empfohlen werden, Unternehemensbewertungen gänzlich zu unterlassen bzw. jedenfalls ihre Bewertungsgutachten für die Dauer dieses ideologischen Regimes anders zu benennen!
(SWK Steuer- und Wirtschaftskartei, Jänner 2008, W 39)
Dieser Beitrag stammt aus dem Januar 2008. Die Wissenschaftler HAESELER/HÖRMANN hatten also "ihre Hand am Puls der Zeit".
Dennoch kann ihre Kritik nicht ohne Erwiderung bleiben:
Ohne ein Verfechter der "marktwert" - orientierten Bewertungskonzeption zu sein, muss man aus Gründen der Fairness das Augenmerk darauf richten, dass sich der risikolose Basiszinssatz und die Marktrisikoprämie nicht gleichgerichtet entwickeln müssen, wie es dieser Beitrag impliziert. Es ist also durchaus denkbar, dass eine Absenkung des Basiszinssatzes in seiner Wirkung auf den Kapitalisierungszinsfuß durch eine Erhöung der Marktrisikoprämie kompensiert wird, so dass der Kapitalisierungszinsfuß im Kapitalwertkalkül und damit auch die Unternehmenswerte trotz "irrationaler" Zinsentwicklung gleich hoch blieben.
Außerdem sollte man sich für ein besseres Verständnis der Unternehmensbewertung vor Augen halten, dass im Grunde genommen keineswegs der Wert eines Unternehmens berechnet wird. Vielmehr wird ein Kapitalbetrag festgelegt, den beispielsweise der präsumtive Käufer eines Unternehmens zu investieren bereit ist, weil er aus den ihm künftig vom Unternehmen zufließenden Zahlungsströmen eine Rendite auf sein Kapital erhält, die zumindest nicht niedriger als die seiner äquivalenten Investitions - Alternativen ist.
Zutreffend ist jedoch, Aktienmärkte als rückgekoppeltes Informationsnetzwerk zu charakterisieren. In letzter Konsequenz heisst das, auf den Finanzmärkten gibt es keine Gleichgewichtspreise. In dieser Hinsicht besteht Forschungsbedarf!
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