Sonntag, 7. November 2010

Empirische Analyse des vereinfachten Ertragswertverfahrens

Michael OLBRICH, Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes, hat am 18. Juni 2010 gemeinsam mit Christoph HARES und Alexander PAULY einen wegweisenden Aufsatz zur



veröffentlicht.

OLBRICH / HARES / PAULY fassen ihren Aufsatz "Erbschaftsteuerreform und Unternehmensbewertung" thesenförmig zusammen:

  1. Der in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG vom Gesetzgeber gewünschte und dem Leistungsfähigkeitsprinzip genügende Wert zur Bestimmung der steuerlichen Bemessungsgrundlage ist der individuelle Entscheidungswert des Steuerpflichtigen. Er wird mit investitionstheoretischen Bewertungsmodellen, im Regelfall dem Zukunftserfolgswertverfahren, ermittelt. Die Abschätzung der Zahlungsüberschüsse muss dabei stets unter Beachtung der mit der Schenkung / Vererbung entstandenen individuellen Eigentümerstellung des Steuerpflichtigen erfolgen. Bei der Frage, ob dem Zukunftserfolgswertverfahren die Erfolge aus der Fortführung oder der Liquidation zugrundezulegen sind, muss die Wahl auf die ökonomisch vorteilhaftere Alternative fallen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Steuerpflichtige aus außerökonomischen Gründen de facto gegen die ökonomisch vorteilhaftere Lösung entscheidet.

  2. Problematisch ist aus steuerpraktischer Sicht, dass der Steuerpflichtige dem Fiskus seinen Entscheidungswert nicht offenlegen, sondern ihm einen niedrigeren Argumentationswert als vermeintlichen Entscheidungswert kommunizieren wird. Es könnte dann zu einer zeit- und kostenintensiven Aufgabe der Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit werden, derartige Argumentationswerte auf ihren ökonomischen Gehalt hin zu überprüfen. Insbesondere die Beurteilung der Überschussprognose, die der Steuerpflichtige der Unternehmensbewertung zugrundelegt, würde Behörden und Rechtsprechung dabei vor große Herausforderungen stellen.

  3. Auch die neue, betriebswirtschaftlich orientierte Bewertungsmethodik im Schenkungs- und Erbschaftsteuerrecht bedarf daher aus Praktikabilitätsgründen einer Typisierung. Von Seiten des Gesetzgebers wurde hierfür das "vereinfachte Ertragswertverfahren" entworfen, von Seiten des Schrifttums wurden auch DCF - Methoden angeführt.

  4. Das vereinfachte Ertragswertverfahren gibt klare Bewertungsparameter vor und erhöht die praktische Umsetzbarkeit der Bewertung damit beträchtlich. Von Vorteil ist, dass es sich dabei um ein optionales, kein verpflichtendes Verfahren handelt. Sollte der aufgrund des vereinfachten Verfahrens ermittelte Unternehmenswert geringer als sein Entscheidungswert sein, wird der Steuerpflichtige das Rechenergebnis akzeptieren; sollte das Entscheidungswertkriterium verletzt werden, wird er hingegen auf einem stärkeren Subjektbezug der Bewertungsparameter bestehen.

  5. Die verbesserte Plausibilität aufgrund des vereinfachten Ertragswertverfahrens geht mit einer Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips einher, wobei diese Verletzung stets zugunsten des Steuerpflichtigen ausfällt. Aufgrund der vom BVerfG konstatierten besonderen Schutzwürdigkeit des Steuerpflichtigen gegenüber dem Staat ist diese Verletzung jedoch nicht zu beanstanden.

  6. Die in Teilen des Schrifttums alternativ vorgeschlagene Typisierung auf Basis kapitalmarkttheoretischer DCF - Verfahren räumen große Bewertungsspielräume ein und stellen bloße "Scheintypisierungen" dar. Eine Anwendbarkeit der DCF - Methoden würde die Zahl möglicher Argumentationswerte folglich vergrößern, nicht reduzieren. Aus Sicht des Fiskus ist sie daher zu verneinen, aus Sicht des Steuerpflichtigen zu begrüßen.

  7. Auch die in der Gesetzesbegründung und Teilen der Literatur befürwortete Anwendbarkeit einer Vielfalt unterschiedlicher Bewertungsmethoden ist differenziert zu beurteilen. Sie ist - abgesehen von dem Spektrum investitionstheoretischer Verfahren (Partial-, Totalmodell) - vom Wortlaut des BewG strenggenommen nicht gedeckt, erhöht die Zahl der Bewertungsspielräume und der damit verbundenen Argumentationswerte des Steuerpflichtigen und ist aus Sicht des Fiskus daher ungeeignet. Aus Sicht des Erben bzw. Beschenkten stellt sie naturgemäß aufgrund eben dieser Spielräume hingegen die attraktivste aller Lösungen des steuerlichen Bewertungsproblems dar.

(OLBRICH / HARES / PAULY, a.a.O., S. 1251, Abschnitt 2.2)


Ebenfalls in diesem Jahr ist zum selben Thema ein Arbeitspapier von Klaus HENSELMANN / Claudia SCHRENKER / Sebastian SCHNEIDER erschienen, das den Titel

Unternehmensbewertung für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke - Anwendung verschiedener Bewertungsmethoden im Vergleich

trägt.




Eine weitere Arbeit aus diesem Jahr, die sich mit der Reform der Erbschaftsteuer beschäftigt, liefert eine


Empirische Analyse der Unternehmensbewertung für die Erbschaftsteuer mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren




Autoren:


 (Quelle: Universität Paderborn)

Caren SURETH (Professor am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Universität Paderborn) und


Jens MÜLLER (Juniorprofessor für Tax Accounting an der Universität Paderborn).


Zusammenfassung

Neben branchenüblichen Bewertungsverfahren steht den Steuerpflichtigen mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren ein Unternehmensbewertungsverfahren zur Verfügung, das aufwendige Bewertungsgutachten im Einzelfall überflüssig machen soll und das Stuttgarter Verfahren für die Bewertung nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften sowie die Bewertung mit dem bilanziellen Eigenkapital bei Personenunternehmen ablöst. Wir sind der Frage nachgegangen, inwiefern eine marktnahe Bewertung von Unternehmensvermögen durch dieses gesetzlich kodifizierte Bewertungsverfahren erreicht werden kann. Dabei orientieren wir uns am Börsenkurs für Anteile an notierten Kapitalgesellschaften als den durch den Gesetzgeber für erbschaftsteuerliche Zwecke priorisierten und akzeptierten Marktwert. Auf der Grundlage einer Stichprobe von deutschen börsennotierten Unternehmen und nicht börsennotierten Unternehmen zeigt sich auf den ersten Blick, dass das neue Verfahren geringere Fehlbewertungen als nach alten Recht verursacht. Es wird jedoch zudem deutlich, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren eine höhere Streuung aufweist als die Bewertungsverfahren nach alten Recht, was im Einzelfall eine größere Ungleichbehandlung unterschiedlicher Vermögensarten bei der Erbschaftsteuer bedeutet. Durch Anwendung von Matchingprozeduren gelingt es, Ergebnisse für die mittlere Unterbewertung von nicht börsennotierten Unternehmen abzuleiten. Zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen lassen sich im Mittel keine maßgeblichen Unterschiede feststellen.  Allerdings können wir bei Personenunternehmen eine deutlich größere Streuung der Bewertungsdifferenzen beobachten. Insgesamt ist die Streuung der Fehlbewertung der nicht börsennotierten Unternehmen ebenfalls größer als bei den börsennotierten Unternehmen. Schließlich lässt sich konstatieren, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht nur darin scheitert, die Marktwerte von Unternehmen hinreichend genau zu approximieren, es zeigt auch keine wesentliche Verbesserung im Vergleich zum alten Recht. Einzig die einheitliche Bewertung unterschiedlicher Rechtsformgruppen scheint mehr in Richtung einer rechtsformneutralen Bewertung zu führen.

Fazit


Mit der jüngsten Erbschaftsteuerreform hat der Gesetzgeber die Bewertungsvorschriften unter anderem für unternehmerisches Vermögen neu gestaltet und erhofft sich damit eine Bewertung zu Marktpreisen. Können Marktpreise nicht direkt beobachtet werden, erlaubt das Bewertungsgesetz nun den Einsatz branchenüblicher Bewertungsverfahren. Allerdings wurde mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren wiederum ein Unternehmensbewertungsverfahren gesetzlich kodifiziert, das aufwendige Bewertungsverfahren im Einzelfall überflüssig machen soll. Wir haben uns mit der Frage beschäftigt, ob eine marktnahe Bewertung von Unternehmensvermögen für erbschaftsteuerliche Zwecke durch diese Reform erreicht werden kann.

Zunächst wurden die Abweichungen der steuerlichen Unternehmenswerte von Marktwerten anhand einer Stichprobe von deutschen börsennotierten Unternehmen zwischen 1987 und 2008 untersucht. Auf den ersten Blick scheint das neue Verfahren besser zu sein, da die mittlere Fehlbewertung geringer ausfällt als beim Stuttgarter Verfahren. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dies allerdings als Illusion. Der Median der Unterbewertung liegt bei 40 %, was immer noch deutlich vom Marktwert entfernt ist. Bedeutender ist jedoch, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren eine höhere Streuung aufweist als das alte Recht, was eine größere Ungleichbehandlung der betrachteten Unternehmen impliziert. Insgesamt erhält man nur für sehr wenige Unternehmen (8 % bis 18 %) einen Unternehmenswert, der dem geschätzten Marktwert nahe kommt. 

In einer weiteren Analyse matchen wir die Stichprobe der börsennotierten Unternehmen mit einer Stichprobe von nicht börsennotierten Unternehmen, um Rückschlüsse auf die Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Ergebnisse zu ziehen. Wir greifen dabei auf verschiedene Kombinationen von Matchingkriterien zurück, die qualitativ und auch quantitativ zu sehr ähnlichen Ergebnissen führen. Die geschätzte mittlere Unterbewertung der nicht börsennotierten Unternehmen liegt zwischen 5 und 15 Prozentpunkten über der vergleichbarer börsennotierter Unternehmen. Zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen lassen sich im Mittel keine maßgeblichen Unterschiede feststellen. Allerdings können wir bei Personenunternehmen eine deutlich größere Streuung der Bewertungsdifferenzen beobachten. Insgesamt ist die Streuung der Fehlbewertung der nicht börsennotierten Unternehmen ebenfalls größer als die der börsennotierten Unternehmen.

Es zeigt sich, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht nur darin scheitert, die Marktwerte von Unternehmen hinreichend genau zu approximieren, es stellt auch keine wesentliche Verbesserung im Vergleich zum Stuttgarter Verfahren dar. Einzig die einheitliche Bewertung unterschiedlicher Rechtsformgruppen scheint deutlich mehr in Richtung der gewünschten rechtsformneutralen Bewertung zu führen.

Es ist sehr fraglich, ob eine Marktbewertung überhaupt durch standardisierte Bewertungsverfahren ohne hinreichende Berücksichtigung individueller unternehmensspezifischer Faktoren erreichbar ist. 


Eine Verkehrsbewertung ist ökonomisch zwar wünschenswert, aber schwer operationalisierbar und administrierbar. Wegen des hohen Bewertungsaufwandes bei gleichzeitig geringen Aufkommenswirkungen stellt sich zu Recht die Frage nach einer ökonomischen Sinnhaftigkeit dieser Steuer.

Es bleibt abzuwarten, wie die neue Verkehrsbewertung in der Praxis funktionieren wird, wie die Verwaltung mit dem Nebeneinander verschiedener Bewertungsverfahren im Zweifelsfall umgeht und welche gerichtlichen Auseinandersetzungen durch Anwendbarkeit vieler Verfahren resultieren werden. 








 













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