"Aus der Tatsache, daß ein Preis gezahlt wurde, wird geschlossen, daß ein entsprechender Wert vorhanden sein müsse und umgekehrt, daß die Preise der Güter genau ihre Werte darstellen. Die Möglichkeit des Irrtums - Fehlinvestitionen, falsche Preisbildung-, die durch Bewertung gerade verhindert werden soll, wird begrifflich ausgeschlossen. Dieser Wertbegriff ist deshalb nicht brauchbar."
Auf welche Art und Weise tatsächlich Wert entsteht, hat jetzt das Max - Planck - Institut für Gesellschaftsforschung an Beispielen aus unserem Alltagsleben untersucht:
Wert
In modernen wohlhabenden Ökonomien ist die Nachfrage nach Gütern längst keine Frage der Bedarfsdeckung mehr. Warum aber kaufen wir immer mehr, anstatt einfach weniger zu arbeiten? Der Wert und die Attraktivität eines Gutes werden immer stärker durch seine symbolische Aufladung bestimmt. Damit symbolischer Wert entstehen kann, müssen Bedeutungen durch Kommunikation konstruiert und ausgefeilte soziale Strukturen aufgebaut werden. Forschungsprojekte am MPIfG gehen der Frage nach den Quellen des Werts von Gütern nach und identifizieren Bewertungsmechanismen in Märkten wie dem Weinmarkt oder dem Bestattungsmarkt.
"In einer Ökonomie des Verzichts wäre die Krise permanent."
Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
In verschiedenen Forschungsprojekten am Max - Planck - Institut für Gesellschaftsforschung sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den letzten Jahren der Frage nach den Quellen des Werts von Gütern nachgegangen. Dabei richtet sich das Interesse gerade auf Produkte, für die sich diese Frage besonders offensichtlich stellt: Warum geben Mensche jedes Jahr über acht Milliarden Euro für das Lotto aus, wo sie doch mit jedem Lottoschein statistisch die Hälfte ihres Einsatzes verlieren? Wie kann es sein, dass eine Flasche Wein für einhundert Euro verkauft wird, obwohl sie in der Produktion nicht teurer ist als eine Flasche für fünfzehn Euro und selbst Experten die Qualitätsunterschiede nicht schmecken? Warum geben Menschen viel Geld für einen Holzstuhl aus, nur weil er alt ist und möglicherweise einmal einer berühmten Familie gehörte?
Die Untersuchung von Lotto, Wein und Antiquitäten mag auf den ersten Blick ein wenig abwegig erscheinen. Sicher, mag man meinen, solche Phänomene gibt es, doch in den wirklich wichtigen Teilen der Wirtschaft spielt das doch keine Rolle! Dieser Schluss ist voreilig. Phänomene, die sich bei Wein und Antiquitäten finden lassen, treten auch bei Autos, Reisen und sogar bei der Nachfrage nach Innovationsgütern sowie auf Finanzmärkten auf.
Die Beschäftigung mit der sozialen Konstruktion von Wert ist somit ein Kernthema der Erforschung der Wirtschaft. Es geht dabei um die Identifizierung der Mechanismen, die in der Bewertung von Gütern wirken. Dies können moralische Überzeugungen sein, wie etwa bei Fairtrade - Produkten, bei denen die Käufer bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen, und zwar nicht, weil das Produkt besser ist, sondern weil die Produktionsweise mit ihren moralischen Werten korrespondiert. Das kann der Versuch der Erlangung einer eigenen Identität - etwa des sozialen Status oder der kulturellen Zugehörigkeit - sein, wenn modische Kleidung oder schicke Kleinwagen angeschafft werden. Es können aber auch Traumwelten sein, in die die Käufer von Gütern flüchten, etwa wenn sie ein Lotterieticket oder einen besonders alten Wein erwerben.
Wert, so die Ausgangsüberlegung der verschiedenen Forschungsprojekte am MPIfG zu diesem Thema, entsteht in modernen Ökonomien immer stärker durch die symbolische Aufladung von Gütern. Qualität ist nichts den Gütern Innewohnendes, sondern entsteht in der Gesellschaft - also in der Kommunikatioin über die Objekte und Dienstleistungen und in den Bedeutungen, die sie hierbei erlangen.
Damit symbolischer oder vorgestellter Wert entstehen kann, bedarf es nicht in erster Linie besonders guter Fabriken. Vielmehr bedarf es der Konstruktion von Bedeutungen durch Kommunikation und ausgefeilte soziale Strukturen wie anerkannte Experten, Rankings, Zertifikate, Marken, Diskussionsforen, Standards und soziale Netzwerke, mit Hilfe derer Unterscheidungen zwischen ansonsten ununterscheidbaren oder bedeutungslosen Objekten getroffen werden und Wert entspringt. Wie solche Qualitätsmarker oder Beurteilungsinstrumente entstehen und funktionieren, und wie sie zwischen den Marktakteuren umkämpft sind, ist Gegenstand der Forschung. Die durch Beurteilungsinstrumente geschaffenen Unterscheidungen erlauben Orientierung in einem ansonsten völlig unüberschaubaren Meer von Waren. Wie sonst sollte man zwischen Tausenden verschiedenen Weinen unterscheiden können oder zwischen den vielen Dutzend verschiedenen Aufnahmen von Beethovens Neunter Symphonie. Warum sollte man sich dafür überhaupt interessieren? Nicht technische Qualitätsunterschiede bestimmen den Wert von symbolisch aufgeladenen Gütern, sondern im Marktfeld intersubjektiv geteilte Bedeutungen. Dass das Cháteu Lafite - Rothschild seinen Wein als Premier Grand Cru Classé verkaufen kann, hat nichts mit dem Geschmack dieses Weines zu tun, sondern mit einer Klassifikation von Weingütern im Bordeaux, die seit 1855 nahezu unverändert besteht.
"Die Beschäftigung mit der Konstruktion ökonomischen Werts gibt nicht nur Einblicke in die soziale Konstruktion der Ökonomie, sondern auch Erkenntnisse über die Gesellschaft."
Die Beschäftigung mit der Konstruktion ökonomischen Werts gibt nicht nur Einblick in die soziale Konstruktion der Ökonomie, sondern auch Erkenntnisse über die Gesellschaft. Bei Lotterielosen lässt sich fragen, welche Bedeutung die Hoffnung auf den Hauptgewinn für die Integration der Gesellschaft hat. Bei Mode und Luxuswaren lässt sich fragen, welche Bedeutung diese für die Differenzierung sozialer Ordnung haben.
Die Beschäftigung mit der sozialen Konstruktion von Wert schärft zugleich den Blick für die Verwundbarkeit einer Wirtschaftsordnung, deren Grundlage wesentlich in der Symbolbedeutung der Objekte besteht. So wie Menschen die Nacht vor einem Geschäft zubringen, nur um als erste das neueste Produkt eines kalifornischen Computerherstellers zu besitzen, so kann dieses Interesse auch erlöschen. Doch was geschähe mit der deutschen Automobilindustrie, wenn Menschen zukünftig im Auto nichts anderes als ein Transportmittel sähen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen? Wer würde dann noch so viel Geld ausgeben wollen, um ein teures Auto aus Sindelfingen zu erstehen? Was würde dies für das Wachstum von Wirtschschaft bedeuten? Und wie sähe eine Gesellschaft aus, die sich nicht über die Symbolbedeutung von Waren differenziert?
(Jens Beckert)
Hallo Herr Schreyer, ich bin schön öfter auf Ihr Blog gestoßen und habe Ihre Beiträge immer geschätzt. Nun ist hier schon sehr lange Stillstand. Ich hoffe es geht Ihnen gut und hier gibt es bald wieder mehr zu lesen!
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