1966 veröffentlichte Siegfried VON WAHL seine bemerkenswerte Schrift "Die Bewertung von Bergwerks - Unternehmungen auf der Grundlage der Investitionsrechnung". In seiner Einleitung gibt Wahl einen guten Überblick über die damaligen Erkenntnisse zum Begriff des Wertes:
Wenn man die Zielsetzung dieser Arbeit betrachtet, muß man sich fragen, ob es richtig ist, die Problematik des Wertbegriffs überhaupt anzuschneiden. Denn es besteht kaum Aussicht darauf, auf wenigen Seiten - und mehr Raum steht hier nicht zur Verfügung - auch nur die gröbsten Umrisse des Wertphänomens herauszuarbeiten.
Die Schwierigkeiten liegen vor allem darin, daß Wert nicht ein Begriff ist, dessen Geltungsbereich sich auf die ökonomische Sphäre des menschlichen Seins beschränkt. Den Werten, mit denen sich die Wirtschaftswissenschaften vorrangig beschäftigen, stehen ethische, ästhetische, soziale usw. Werte gegenüber. Auch verwendet man den Ausdruck "Wert" ganz neutral zur Kennzeichnung einer Zahlengröße.
Wittmann hat untersucht, ob es möglich ist, einen "wirtschaftlichen Wert" von den Werten anderer Lebensbereiche abzusondern. Diesen könnte man dann, aufbauend auf den Funktionen eines solchen Begriffes innerhalb des wirtschaftlichen Bereiches, leichter definieren. Er kommt jedoch zu einem negativen Ergebnis: Obwohl Begriffe wie "wirtschaftlicher Wert" oder gar "betriebswirtschaftlicher Wert" von namhaften Autoren benutzt werden, ist die Definition eines solchen Wertes nicht möglich.
Entsprechend dem "kosmopolitischen" Charakter des Wertes sind die Wertanschauungen, mit denen sich die Betriebswirtschaftslehre befaßt, zum geringsten auf ihrem eigenen Boden gewachsen. Das ist erklärlich, weil die Betriebswirtschaftslehre, mindestens in ihren Anfängen, über kein eigenes theoretisches Fundament verfügte. Neben der Rechtswissenschaft ist es vor allem die Volkswirtschaftslehre gewesen, von der sie vieles für die Entwicklung einer eigenen Wert- oder Bewertungslehre übernommen hat.
In der Volkswirtschaftslehre hat die Wertdiskussion schon früh ein hohes theoretisches Niveau erreicht. Nach der auf Ricardo und Adam Smith zurückgehenden objektivistischen Werttheorie liegt der Wert eines Gutes in ihm selbst begründet. Wert ist Eigenschaft, qualitatives Merkmal, Eignung für einen objektiven Zweck. Im veränderten Gewand taucht dieser Grundgedanke auch in der Marxschen Produktionskostentheorie auf: Die Produktionskosten sind bestimmend für den Wert des Gutes, weil die Wertsumme der in die Produktion eingehenden Güter den Wert des produzierten Gegenstandes ausmacht.
Dieser Auffassung vom Wesen des Wertes steht die subjektivistische Werttheorie gegenüber, die von der österreichischen Grenznutzenschule entwickelt wurde. Der Wert eines Gutes wird durch den Nutzen bestimmt, den es bei einem Wirtschaftssubjekt stiftet. Maßgeblich ist der Grenznutzen, d.h. der Nutzen der letzten Teilmenge eines Gutes. Er muß mindestens so groß sein wie der geschätzte Nutzenentgang (das Grenzopfer) in der nächstdringlichen Verwendungsart.
Die individuelle, subjektive Nutzenempfindung ist, für sich allein genommen, nicht meßbar. Erst durch das Zusammentreffen vieler ein Gut betreffender Nutzenschätzungen auf dem Markt kommt es zu einem Gleichgewichtssystem, das durch eine Objektivierung der individuellen Nutzenschätzungen gekennzeichnet ist. Aus den subjektiven Wurzeln des Wertempfindes entsteht ein System "objektiver" Preise. Der Tauschwert ist der objektive Wert der Volkswirtschaftslehre.
Die moderne Volkswirtschaftslehre widmet ihre Aufmerksamkeit den Preisen in ihrer Abhängigkeit von den marktbeeinflussenden Faktoren. Das Wertphänomen ist demgegenüber in seiner Bedeutung zurückgetreten.
Die Wertvorstellungen der Betriebswirtschaftslehre sind durch die volkswirtschaftlichen Werttheorien stark geprägt worden. Das geht auch aus der Übernahme der Begriffe "objektiv" und "subjektiv" hervor, die allerdings durch ihre Verpflanzung in ein anderes Milieu ihre ursprüngliche Bedeutung z.T. verloren haben oder doch außerordentlich vieldeutig geworden sind. Der Einfachheit halber sei weiterhin in einen objektiven und in einen subjektiven Zweig betriebswirtschaftlichen Wertdenkens unterschieden.
Die Vertreter des objektiven Wertes in der Betriebswirtschaftslehre leiten, ähnlich wie die letzte Gruppe ihrer volkswirtschaftlichen Vorgänger, den Wert der Güter von ihren Preisen ab. Man differenziert hier jedoch und spricht von einem "geschätzten Preis", einem "erwarteten Preis" usf., um klarzumachen, daß man keine Identitiät der Begriffe Wert und Preis wünscht. Eine solche Umschreibung des Wertes als abgeleiteter Preis kann jedoch die originäre Wertdefinition nicht ersetzen. Bewertungsprobleme entstehen ja gerade dort, wo keine Marktpreise vorliegen, und die Bewertungsaufgabe liegt darin, den "richtigen" Preis zu ermitteln. Engels weist daher mit Recht darauf hin, daß die Definition des Wertes als irgendwie gearteter Preis eine Tautologie darstellt.
Die subjektive Richtung der betriebswirtschaftlichen Wertlehre knüpft ebenfalls an den entsprechenden volkswirtschaftlichen Wertbegriff an. Der wichtigste Zweig dieser Richtung stellt den Beziehungscharakter des Wertes in den Vordergrund. Wert ist die Beziehung zwischen dem Objekt und dem wertenden Individuum. Jedoch können auch die vielfältigen Definitionen, die im Kern diesen Inhalt haben, nicht befriedigen, solange sie nicht den Weg zeigen, wie die subjektiven Wertvorstellungen in rechenbare Größen umgewandelt werden können. Man steht vor der gleichen Situation wie vorher die subjektivistische Wertlehre der Volkswirtschaft. Deren Ausweichen auf die "Objektivierung" im Marktpreis hatte das Problem der Nutzenquantifizierung nicht gelöst, sondern nur abgeschoben.
Wittmann kommt aufgrund einer eingehenden Analyse zu dem Schluß, daß es einen verbindlichen Wertbegriff in der Betriebswirtschaftslehre nicht geben könne, weil der Nutzen nicht quantifizierbar sei. Er geht bei dieser Behauptung von einer subjektiven Wertauffassung aus. In einem System subjektiven Wertempfindens hält Engels die These Wittmanns für gerechtfertigt. Er bestreitet jedoch, daß dieser Ausgangspunkt, also das subjektive Nutzenempfinden, für die Betriebswirtschaftslehre irgendwelche Bedeutung hätte. Indem er auch den "Wertobjektivismus" ablehnt, setzt er den bisherigen Werttheorien eine neue, die "gerundive" Werttheorie entgegen. Wert ist dabei das Maß an "Vorziehenswürdigkeit" von Handlungen oder Gegenständen. Diese Definition gilt immer in Verbindung mit einer Zielfunktion, die je nach Bewerter oder Bewertungsobjekt wechseln kann. Die "Vorziehenswürdigkeit" wird also dadurch festgelegt, daß das zu bewertende Objekt die Zielfunktion erfüllt. Wichtig ist auch, daß jedem Wertenden sein eigenes "Entscheidungsfeld" zukommt. Dieses mag durch bereits vorhandene Gegenstände, durch Rechtsvorschriften, durch persönliche Fähigkeiten oder sonstiges gekennzeichnet sein.
Engels dürfte mit dieser Theorie die Wertdiskussion aus dem unfruchtbaren Dialog der "subjektiven" und "objektiven" Vertreter betriebswirtschaftlichen Wertdenkens herausgeführt haben. Die älteren Auffassungen werden z.T. durch sein weitergespanntes System aufgesogen. So mag sich der Wert - Subjektivist durch die Darlegungen Engels bestätigt fühlen: Hängt doch der Wert einer Sache oder einer Handlung auch nach der gerundiven Werttheorie von den individuellen Gegenbenheiten der Person ab, für die der Wert ermittelt wird. Jedoch: "Jeder, der über diese Angaben verfügt, kann den Wert kalkulieren." Insofern ist der Wert objektiv, d.h. intersubjektiv nachprüfbar.
Die gerundive Werttheorie wurzelt auf dem Boden der Entscheidungstheorie. Daher hat sie weniger den Wert von Gegenständen als den Wert von Handlungen im Auge. Selbst die gegenständlichen Werte werden mit dem Auge des Handelnden gesehen, dessen also, der sich entscheiden soll, ob er z.B. den Gegenstand A zu einem Preis von X kaufen soll oder nicht. Diese dynamische Auffassung vom Wert scheint uns ein wesentlicher Fortschritt modernen Wertdenkens zu sein.
Es liegt nach unserer Auffassung auch kein Mangel darin, daß die Engelssche Wertdefinition keinen abgesonderten betriebswirtschaftlichen Wertbegriff beschreibt. In der Tat ist die "Vorziehenswürdigkeit" ein Wertmaßstab, der auch in anderen Bereichen Gültigkeit hat. Entgegen der allgemeinen Wertdefinition, wie sie Wittmann vorher versucht hatte, ist dem gerundiven Wert die Zielfunktion beigegeben, die die Wertermittlung in einen bestimmten Bereich verweist. Entscheidend bleibt, daß die Zielfunktion erfüllt werden kann, weniger wichtig ist es, wie ein solcher Wertbegriff einzuordnen ist.
Engels ist nicht zuzustimmen, wenn er behauptet, es könne nicht im Interesse der betriebswirtschaftlichen Wertlehre liegen, sich um das Problem der Quantifizierung des subjektiven Nutzenempfindens zu bemühen. Im Gegenteil erlangt diese Frage zunehmend an Bedeutung. Wenn man, wie es Engels mit seiner gerundiven Werttheorie tut, eine Zielfunktion für die Fixierung des Wertbegriffes fordert, muß man sich darüber klar sein, worin die Zielgröße bestehen soll. Gerade die moderne Entscheidungs- und Investitionstheorie zeichnet sich dadurch aus, daß ihre Zielfunktionen nicht nur auf die Maximierung von meßbaren Erfolgen ausgerichtet sind, sondern ausdrücklich in der subjektiven Sphäre liegende (psychologische) Faktoren einbeziehen wollen. Versteht man unter Nutzen einen Überbegriff, der Geldnutzen, Sicherheitsnutzen usf. einschließt, so muß die weitere Aufgabe der theoretischen Wertforschung darin liegen, die bisher in Geld nicht ausdrückbaren Faktoren des Gesamtnutzens meßbar und so weit wie möglich mit dem Geldnutzen gleichnamig zu machen.
(von Wahl, Siegfried: Die Bewertung von Bergwerks - Unternehmungen auf der Grundlage der Investitionsrechnung, Köln und Opladen 1966, S. 1-4)
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