Montag, 23. November 2009

Zur Güte der Gewinnschätzungen von Aktienanalysten


Aktienanalysten lösen immer dann einen Herdentrieb aus, wenn sie sich der Konsensschätzung aller anderen Analysten anschließen. Dies führt zu kumulativen Prozessen am Aktienmarkt. Rober Shiller nennt es Irrational Exuberance, irrationalen Überschwang.


Rational handelnde Analysten bilden sich selbst eine Meinung zu den Gewinnaussichten des zu analysierenden Unternehmens. Was beeinflusst diese Analysten bzw. welche Determinanten beeinflussen die Güte der Gewinnschätzungen von Wertpapieranalysten?


Dieser Frage ist die DEUTSCHE BUNDESBANK nachgegangen:


Wertpapieranalysten fungieren in gewisser Weise als Bindeglied zwischen den von ihnen beobachteten Unternehmen und potenziellen Investoren beziehungsweise Marktbeobachtern, sodass sie auch als Informationsintermediäre angesehen werden können. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Vielzahl von Informationen unterschiedlicher Qualität zu sammeln, auszuwerten und - im Fall einer Gewinnschätzung - zu einer einzigen Zahl zu verdichten. Das Ergebnis ihrer Analyse wird in der Regel prominent veröffentlicht, wohingegen zu dem vorangegangenen Entscheidungsfindungsprozess keine Informationen bekannt gegeben werden. Allerdings ermöglicht erst die Kenntnis der die Entscheidung beeinflussenden Faktoren, fundierte Aussagen über die Qualität und Rationalität der gemachten Prognosen zu treffen. Im Folgenden werden verschiedene Determinanten analysiert, die auf den Entscheidungsprozess und die Prognosegüte eines Wertpapieranalysten einen Einfluss haben können. Dabei wird unterschieden, inwieweit einerseits das individuelle Umfeld die Vorhersagequalität bestimmt und andererseits öffentlich verfügbare Informationen ihren Niederschlag in den Prognosen finden.


Unabhängig von den zu überprüfenden Determinanten muss im Rahmen einer empirischen Untersuchung zur Prognosequalität grundsätzlich für den Vorhersagehorizont kontrolliert werden, der als zeitliche Differenz (in der Regel in Monaten) zwischen der Prognoseerstellung und dem Ende der prognostizierten Geschäftsjahre definiert wird. Erwartungsgemäß ergibt sich hier ein negativer Zusammenhang: Mit zunehmendem Prognosehorizont nimmt die Qualität der Vorhersagen ab. Ebenso kann auch das jeweilige Geschäftsjahr einen spezifischen Einfluss ausüben, was in einer Analyse entsprechend berücksichtigt werden muss.


Analysten- und brokerspezifische Faktoren


Unterschiede in der Prognosequalität einzelner Analysten lassen sich zum Teil mit dem individuellen Umfeld beziehungsweise analystenspezifischen Eigenschaften erklären. Verschiedene Studien zeigen etwa, dass eine lange Berufserfahrung die Prognosequalität signifikant positiv beeinflusst. Begründet wird dies zum einen mit einem Learning-by-doing-Effekt: Eine längere Ausübung der Analystentätigkeit trägt zu einer großen Erfahrung in diesem Berufsfeld bei, was entsprechend zu besseren Vorhersageergebnissen führt. Darüber hinaus führen Hong und Kubik (2003) für in den USA tätige Analysten an, dass eine Weiterbeschäftigung in dieser Branche eng an die Qualität der Prognosen geknüpft sei. Das bedeutet, dass Analysten mit vergleichsweise vielen Berufsjahren bereits einen Selektionsprozess durchlaufen haben, in dem sie sich gegen andere Konkurrenten durchgesetzt haben. Allerdings hat sich die positive Korrelation von Berufserfahrung und Prognosequalität insbesondere für europäische Analysten als schwach oder gar nicht vorhanden herausgestellt, wofür als Begründung unter anderem eine andere Anreizstruktur angeführt wird. Die Literatur differenziert daher noch einmal zwischen allgemeiner und unternehmensspezifischer Berufserfahrung. Letztere bezieht sich ausschließlich auf den Zeitraum, über den ein einzelner Analyst ein bestimmtes Unternehmen beobachtet. Der dabei gefundene positive Zusammenhang erweist sich in der empirischen Analyse in der Regel als robust, was unter anderem auf eine mit zunehmenden Berufsjahren immer besser etablierte Kommunikationsstruktur des Analysten zum Management des beobachteten Unternehmens zurückgeführt wird.


Eine weitere analystenspezifische Determinante, die in empirischen Studien auf einen potenziellen Effekt hin untersucht wird, ist die Anzahl der Prognosen, die ein Analyst in einem Geschäftsjahr für ein Unternehmen erstellt. Wenn eine große Anzahl von Revisionen notwendig ist, deutet dies auf Schwierigkeiten einer adäquaten Einschätzung hin, was gerade zu Beginn des Geschäftsjahres zu einem entsprechenden negativen Zusammenhang zwischen dieser Variable und der Prognosegüte führt. Dagegen sollte zum Ende des Geschäftsjahres die entsprechende Anzahl der Revisionen für die notwendigen Angleichungen gesorgt haben, sodass kein statistisch signifikanter Unterschied mehr feststellbar ist.


Zu der Gruppe der brokerspezifischen Faktoren zählt etwa die Größe des Portfolios, das ein einzelner Analyst zu betreuen hat. Hier geht die Theorie von einem negativen Zusammenhang aus. Je mehr Unternehmen beziehungsweise Sektoren ein Analyst zu beobachten hat, desto weniger Zeit bleibt ihm für die Analyse eines bestimmten Unternehmens, was sich entsprechend an einem signifikant größeren Prognosefehler ablesen lässt.


Auch die Größe des Arbeitgebers, bei dem der Analyst beschäftigt ist, erweist sich in verschiedenen Studien als statistisch signifikant. Insbesondere US - amerikanische Studien zeigen, dass Analysten, die bei größeren Analysehäusern beschäftigt sind, bessere Prognosen erstellen als ihre Kollegen aus kleineren Häusern. Eine mögliche Begründung dafür könnte zum einen darin liegen, dass die Analysten großer Brokerhäuser einen leichteren Zugang zum Unternehmensmanagement haben. Auch könnte ihnen eine bessere Ressourcenausstattung zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt auf Grund der zuvor genannten Gründe gelten die größten Analystenhäuser als die attraktivsten Arbeitgeber, sodass möglicherweise auch die besseren Analysten dort beschäftigt sind. Allerdings lässt sich dieses Argument nicht ohne Weiteres auf den europäischen Markt übertragen, da die Analystenhäuser bei der Auswahl ihrer zukünftigen Mitarbeiter nicht in derselben Ausschließlichkeit wie in den USA auf die vergangene individuelle Prognosequalität setzen.


Auch wenn mit Hilfe der zuvor genannten Variablen versucht wird, einen möglichst großen Teil der unterschiedlichen Prognosequalität mit analysten- und brokerspezifischem Verhalten zu erklären, bleibt doch ein großer unerklärter Rest, der dazu führt, dass sich in der Regel neben den genannten Determinanten auch die vergangene analystenspezifische Prognosequalität als hoch signifikant herausstellt. So zeigt Brown, dass ein einfaches Modell, in dem ausschließlich die individuelle vergangene Prognosequalität als erklärende Variable enthalten ist, einen genauso guten Erklärungsgehalt liefert wie ein Modell mit den zuvor beschriebenen Charakteristika des Analysten.


Verarbeitung allgemein verfügbarer Informationen


Wie bereits erwähnt besteht die eigentliche Leistung eines Finanzanalysten darin, vorhandene Informationen zu sammeln, zu gewichten und zu komprimieren. Eine wichtige und in der Literatur intensiv diskutierte Informationsquelle stellt fraglos die aktuelle Durchschnittsprognose der anderen Analysten - Kollegen dar. Dabei befindet sich der einzelne Analyst zunächst in der gleichen Situation wie die anderen, unbeteiligten Marktteilnehmer. Auf der einen Seite kennt er zwar das Ergebnis der vorliegenden Konsens-Schätzung, auf der anderen Seite weiß er nicht, welche Faktoren bei seinen Kollegen im Entscheidungsprozess eine Rolle gespielt haben. Im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern hat der Analyst auf Grund seiner eigenen Prognose allerdings eine Vorstellung davon, wie sich die Konsensschätzung ändern könnte.


Nach der Definiton von Banerjee (1992) wird das Verhalten des einzelnen Analysten genau dann als nicht rationales Herdenverhalten klassifiziert, wenn sich seine Prognose ausschließlich aus der Konsensschätzung der anderen Analysten speist und er eigene Informationen entsprechend vernachlässigt. Empirisch ist ein Verhalten nach dieser Definition allerdings schwer nachzuweisen. Da verschiedene Analysten normalerweise auf ähnliche Informationssignale reagieren, ist es wahrscheinlich, dass sie auch zu ähnlichen Empfehlungen kommen. In diesem Fall ist es also nicht eindeutig, ob Parallelbewegungen bei den Gewinnrevisionen der Analysten auf Herdenverhalten oder lediglich auf die gleiche Informationsgrundlage zurückzuführen sind. Clement, Hales und Xue (2007) weisen für die USA nach, dass die Konsensprognose durchaus auf rationale Weise verwertet wird. Danach bezieht ein einzelner Analyst die Informationen aus der Gemeinschaftsvorhersage umso stärker in die eigene Prognose ein, je größer die Anzahl ist, die an der entsprechenden Prognose beteiligt waren. In diesem Fall - wenn der Analyst die Konsensprognose als eine von mehreren Informationsquellen benutzt - kann sie zu einer Verbesserung der eigenen Prognosequalität führen. Insofern wäre es voreilig, den Nachweis eines Einflusses der Konsensprognose auf die Analystenentscheidung als nicht rationales Verhalten zu charakterisieren. Für Deutschland weisen Naujoks et al. (2009) sogar nach, dass die Analysten sich in ihren Prognosen systematisch von der Konsensprognose absetzen, um besser wahrgenommen zu werden ("Anti - Herding".


Ähnlich wie bei der Konsensprognose verhält es sich mit der vergangenen Aktienkursentwicklung. Auch wenn es sich um öffentlich bekannte und verfügbare Informationen handelt, kann die Berücksichtigung der Aktienkurse durchaus zur Verbesserung der Qualität von Gewinnprognosen beitragen.


Eine weitere Informationsquelle, bei der man ein ähnliches Analystenverhalten erwarten würde, ist der makroökonomische Ausblick. Sowohl unerwartete Veränderungen als auch eine gestiegene Unsicherheit bezüglich der zukünftigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sollten die analystenspezifische Gewinnprognose entsprechend beeinflussen.


Zitierte Literatur:


Hong/Kubik: Analyzing the Analysts. Career Concerns and Biased Forecasts, in: Journal of Finance 58, 2003, S. 313-351.

Brown: How Important is Past Analyst Forecast Accuracy?, in: Financial Analysts Journal 57, 2001, S. 44-49.


Banerjee: A Simple Model of Herd Behaviour, in: Quarterly Journal of Economics 57, 1992, S. 797-817.

Clement/Hales/Xue: When Do Financial Analysts Look to Others for Answers?, Working Paper, 2007.



Naujoks/Aretz/Kerl/Walter: Do German Security Analysts Herd?, in: Financial Markets and Portfolio Management 23, 2009, S. 3-29.







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